David R. Goldfield ist Professor für Geschichtswissenschaft an der University of North Carolina. Er betätigt sich außerdem als Schriftsteller und Filmregisseur.
DER WESTEN SORTIERT SICH
Frauen haben zunehmend das Sagen bei den Midterm elections, glaubt David R. Goldfield. Ein Grund dafür, warum die Demokraten hoffen dürfen. Der Historiker wagt einen Ausblick auf die anstehenden Wahlen in den USA.
INTERVIEW: SASCHA TAMM
DER WESTEN SORTIERT SICH
Frauen haben zunehmend das Sagen bei den Midterm elections, glaubt David R. Goldfield. Ein Grund dafür, warum die Demokraten hoffen dürfen. Der Historiker wagt einen Ausblick auf die anstehenden Wahlen in den USA.
INTERVIEW: SASCHA TAMM
Herr Goldfield, in einigen Monaten finden in den Vereinigten Staaten die Parlamentswahlen statt. Wie wichtig sind internationale und globale Themen in diesem Wahlkampf?
Kaum. Das sehe ich schon bei den Studentinnen und Studenten. Amerikanische Studentinnen und Studenten sind meistens sehr provinziell. In North Carolina, wo ich lehre, kommen die meisten aus diesem Staat und interessieren sich vor allem für die Entwicklungen hier. Doch am 30. April haben wir sie in einer Umfrage sagen lassen, welche Themen für sie besonders wichtig sind. Zu unserer Überraschung tauchte die Ukraine auf der Liste der zehn wichtigsten Themen auf, an fünfter Stelle. Doch je länger der Krieg dauert, desto mehr wird das Interesse schwinden. Das Thema ist zudem eher interessant für jüngere Wähler. Für die Älteren zählen Themen wie die Inflation deutlich mehr. So gilt für den Wahlkampf: Es gibt drei wichtige Themen. Erstens die Wirtschaft, zweitens die Wirtschaft und drittens die Wirtschaft. Die Wirtschaftslage wird die amerikanischen Wahlen entscheiden, zusammen mit der Wahlbeteiligung.
Im Präsidentschaftswahlkampf hatten sowohl Donald Trump als auch Joe Biden die Globalisierung kritisiert. Spielt das jetzt, in Zeiten großen Wirtschaftswachstums, ebenfalls noch eine Rolle?
Wir erleben derzeit in den Vereinigten Staaten eine Veränderung in der Wahrnehmung der Globalisierung. Im Jahr 1972 begannen zwei junge Demokraten, Gary Hart und Bill Clinton, über die Auswirkungen der damals erst kommenden Globalisierung auf die amerikanische Wirtschaft zu sprechen. Sie hielten die Globalisierung für eine sehr gute Sache. Heute wissen wir, dass es insgesamt eine gute Entwicklung war. Aber es gibt negative Erscheinungen – bei der Beschäftigung, bei den Lieferketten. Und es gibt Bedenken, dass wir vielleicht zu weit gegangen sind. Heute sehen viele Menschen beispielsweise den Bau von neuen Fabriken in Mexiko als Ursache für den Verlust von Jobs hier. Dabei haben unsere Wirtschaftsbeziehungen mit Mexiko in Wirklichkeit mehr Jobs in den Vereinigten Staaten geschaffen – aber die Jobs haben sich verändert. Was Präsident Biden angeht, so hat er seit Beginn seiner politischen Karriere eine enge Verbindung zur Arbeiterschaft in den traditionellen Industrien und zu den Gewerkschaften. Das hat Einfluss auf seine Politik hinsichtlich der Globalisierung.
Wird die Bedrohung durch China als globaler Konkurrent ein Thema sein?
Nein. Wenn Amerikaner derzeit an Außenpolitik denken, denken sie an Russland. China ist nicht sehr populär in den Vereinigten Staaten. Aber das schlechte Image Chinas ist mehr durch das Coronavirus bedingt als durch irgendwelche wirtschaftlichen und geopolitischen Faktoren.
Bei den Parlamentswahlen, den sogenannten Midterm elections, verliert meist die Partei des amtierenden Präsidenten. Wird es auch diesmal so kommen?
Wenn wir in die Geschichte seit 1946 schauen, so hat in diesen 76 Jahren die Partei des Präsidenten nur zweimal Sitze im Repräsentantenhaus und im Senat hinzugewonnen. Einmal davon geschah das nach den Anschlägen vom 11. September 2001, also unter sehr außergewöhnlichen Umständen. In diesem Jahr haben wir ebenfalls außergewöhnliche Umstände, aber wohl nicht in diesem Ausmaß.
Die Wahrheit ist, dass die Unterstützung der Latinos und Latinas für die Demokraten sinkt.
Die Wahrheit ist, dass die Unterstützung der Latinos und Latinas für die Demokraten sinkt.
Ist der Eindruck richtig, dass die religiöse Zugehörigkeit politisch eine immer größere Rolle spielt?
Nach unserer Verfassung gilt bei uns die Trennung zwischen Kirche und Staat. Aber es gab niemals eine Trennung zwischen Religion und Politik. Religion spielt schon länger eine gewaltige Rolle im politischen Prozess. Dazu nur ein Beispiel: Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 wählten 80 Prozent der evangelikalen Christen Donald Trump, 2020 sogar 81 Prozent. Jüdische Wählerinnen und Wähler entschieden sich 2016 zu 69 Prozent für Hillary Clinton, vier Jahre später stimmten 71 Prozent für Joe Biden. Die verschiedenen politischen Sympathien reflektieren nicht nur Unterschiede zwischen den Religionen, sondern auch ihre Geschichte in den Vereinigten Staaten. So hat die jüdische Wählerschaft mehrheitlich demokratische Kandidaten unterstützt, seit sie im Jahr 1832 für Andrew Jackson stimmte. Er hatte sich gegen die Idee gewehrt, Juden und Katholiken von Wahlen auszuschließen.
Ein Drittel der Wählerschaft der Republikaner folgt Donald Trump bedingungslos.
Ein Drittel der Wählerschaft der Republikaner folgt Donald Trump bedingungslos.
Erwarten Sie diesmal eine große Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern?
Die Wahlbeteiligung bei Midterms war immer sehr niedrig. Doch es gab eine wichtige Ausnahme – 2018. Damals lag die Wahlbeteiligung bei mehr als 47 Prozent. Das mag nicht viel erscheinen, doch für Midterms ist es sehr viel. Prognosen sagen derzeit, dass die Wahlbeteiligung wieder ungefähr so hoch sein könnte.
Bei den Midterms 2018 gab es vor allem eine Pro- und Anti-Trump-Mobilisierung. Existiert diese immer noch, auch wenn er nicht mehr im Amt ist?
Sie existiert noch, aber nicht in demselben Ausmaß. Wenn die Demokraten glauben, nur mit einer Anti-Trump-Stimmung Menschen in die Wahllokale zu bringen, so wird das wahrscheinlich nicht funktionieren. Es müssen andere Wahlmotive her.
Könnte die Auseinandersetzung um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein solches Motiv sein?
Das ist sehr gut möglich. Der Schlüssel zum Gewinn von allen nationalen Wahlen sind die in den Vororten lebenden Frauen. Seit 1970 sind die Vereinigten Staaten ein Land der Vororte, der „Suburbs“. Dort leben mehr Menschen als in den Städten und auf dem Land. Frauen in den Suburbs wählen öfter als Männer, und sie bilden die Mitte des Wählerspektrums. Sie unterstützten in den Achtzigern Ronald Reagan, 2008 und 2012 jedoch Barack Obama. Im laufenden Jahr war ihr Interesse an den Wahlen nicht besonders groß – bis das Thema Schwangerschaftsabbruch relevant wurde. Das Thema wird zumindest für die Wahlbeteiligung eine Rolle spielen, besonders mit Blick auf weiße Frauen aus den Suburbs. Das ist ein gutes Zeichen für die Demokraten.
In 76 Jahren hat die Partei des Präsidenten nur zweimal Sitze bei Midterms hinzugewonnen.
In 76 Jahren hat die Partei des Präsidenten nur zweimal Sitze bei Midterms hinzugewonnen.
Wie wirkt sich die verschiedene ethnische Herkunft der amerikanischen Bevölkerung aus, von Lateinamerikanern, farbigen Menschen oder Menschen mit asiatischem Hintergrund?
Nach der Volkszählung 2010 sagte jeder „Demografie ist Schicksal, und die Republikaner werden für immer in der Minderheit sein.“ Und ich höre oft, dass die Demokraten die Stimmen der Latinos oder der Asiaten oder irgendeiner anderen Gruppe sicher haben. Das ist nicht wahr. Die Wahrheit ist, dass die Unterstützung der Latinas und Latinos für die Demokraten sinkt.
Die größte Unterstützung haben die Demokraten unter den jüdischen und den muslimischen Wählerinnen und Wählern – stabil mehr als 70 Prozent. Die Unterstützung seitens der spanischstämmigen Wählerschaft geht dagegen zurück, besonders bei den Männern. Die Ursache dafür ist, dass bei ihnen ihre römisch-katholische -Religion eine wesentliche Rolle spielt und dass für sie die Familie eine hohe Bedeutung hat. Die Republikaner ziehen Nutzen daraus, dass in dieser Gruppe beispielsweise große Vorbehalte gegenüber gleichgeschlechtlichen Ehen bestehen. Die Wählerinnen und Wähler mit asiatischem Hintergrund sind sehr divers, wählen aber tendenziell demokratisch, zu etwa 60 Prozent. Georgia hat jetzt zwei demokratische Senatoren – vor allem wegen der asiatischen Wählerschaft in den Suburbs von Atlanta. Doch sie sind in vielen sozialen Fragen eher konservativ. Hier liegt einiges Poten-zial für die Republikanische Partei.
Welchen Einfluss hat Trumps öffentliche Unterstützung für bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten bei den bevorstehenden Wahlen?
Ein Drittel der Wählerschaft der Republikaner folgt Donald Trump bedingungslos. Für ein weiteres Drittel ist seine Meinung wichtig, sie geht in ihre Wahlentscheidung ein. Historisch betrachtet haben weder im Amt befindliche noch ehemalige Präsidenten wie Trump keine besonders wichtige Rolle gespielt. Die Menschen sind auf lokale Fragen fokussiert, sie wählen ihre -Repräsentanten. Gleichzeitig gibt es diese fast kulthafte Verehrung für Trump. Das wird eine Rolle spielen. Wie wir bei den Vorwahlen sehen, sind die -Ergebnisse indes gemischt.
Sascha Tamm ist Referatsleiter Transatlantischer Dialog und Lateinamerika bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
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