KRISENVORSORGE

Mehr Katastrophe
als Schutz

Der Bevölkerungsschutz in Deutschland funktioniert – noch. Auf die komplexen Herausforderungen der Zukunft sind weder Akteure noch Bevölkerung gut vorbereitet.

TEXT: MAIKE RADEMAKER

Ein ehemaliger Schutzraum im Keller des Rathauses von Saterland, einer niedersächsischen Gemeinde bei Oldenburg. Heute wird er als Lager genutzt.
Ein ehemaliger Schutzraum im Keller des Rathauses von Saterland, einer niedersächsischen Gemeinde bei Oldenburg. Heute wird er als Lager genutzt.

KRISENVORSORGE

Mehr Katastrophe als Schutz

Der Bevölkerungsschutz in Deutschland funktioniert – noch. Auf die komplexen Herausforderungen der Zukunft sind weder Akteure noch Bevölkerung gut vorbereitet.

TEXT: MAIKE RADEMAKER

Die nächste Katastrophe könnte schon vor der Tür stehen. Etwa ein Cyberangriff wie 2020 in Israel, als Hacker die Wasseranlagen des Landes attackierten, um das Trinkwasser zu verseuchen. Die Katastrophe könnte aber auch eine Dürre sein, die über -Jahre heranschleicht. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hält eine solche Dürre für ein „durchaus realistisches Ereignis“, wie es in einer Risikoanalyse heißt. Sie könnte gravierende Auswirkungen haben: Tote, Hilfebedürftige, Stromausfälle, weil die Kraftwerke nicht gekühlt werden können, kein Transport mehr auf Schiffen, schlechte Ernten, steigende Preise. Und lokal könnte auch die Trinkwasserversorgung ausfallen.

Notbrunnen und Vorräte

Ohne Essen hält es der Mensch drei Wochen aus. Ohne Trinken kaum zwei Tage. Für den Fall von Trinkwasserproblemen ist daher vorgesehen, dass entweder Wassertankwagen einspringen oder dass auch Trinkwassernotbrunnen genutzt werden. Von diesen Brunnen gibt es in ganz Deutschland 5 200 Stück, größtenteils in Ballungszentren. Das reicht, um einige Tage 30 Prozent der Bevölkerung zu versorgen – wenn jede Person 15 Liter pro Tag bekommt. Allerdings sind die 30 Prozent nur ein Durchschnittswert. Bremen und Hamburg haben es gut, da werden alle versorgt, woanders sind es weniger als 30 Prozent.

Voraussetzung ist so oder so, dass die Brunnen funktionieren. In Berlin versagen 400 von 2 000 dieser Brunnen. Übrig bleibt dort dann nur noch die Eigenvorsorge, die das BBK immer wieder fordert, der Vorrat, den alle zu Hause haben sollten. Doch laut einer Umfrage des Forschungsunternehmens YouGov sind nur 16 Prozent der Bevölkerung nicht nur im Hinblick auf das Wasser, sondern auch auf sonstige Vorräte, Taschenlampen und Medikamente auf Notfälle vorbereitet. Das ist der Bevölkerungsschutz in Deutschland: In vielen Studien sind potenzielle Gefahren und Szenarien beschrieben, sogar geübt. Es gibt Risikoanalysen und Grünbücher. Es geht darin um normale bis extreme Hochwasser, um Starkregen, um Waldbrände, um Erdbeben, um Pandemien, um Cyberangriffe und wie man damit umgeht. Seit dem Krieg in der Ukraine wird außerdem auch wieder über Schutzbunker gesprochen. In Deutschland gibt es 599 Bunker, das reicht für rund 450 000 Menschen – bei einer Bevölkerung von mehr als 83 Millionen.

In Deutschland gibt es Bunker für 450 000 Menschen – bei einer Bevölkerung von mehr als 83 Millionen. 

In Deutschland gibt es Bunker für 450 000 Menschen – bei einer Bevölkerung von mehr als 83 Millionen.

Schlecht gewappnet

Dabei ist Forschern und Verwaltung längst klar, dass die Gefahr umfassender Katastrophen enorm gewachsen ist, durch die Klimakrise, durch Terror und infolge der Digitalisierung. Zwar hat man sich auf viele altbekannte Situa-tionen relativ gut eingerichtet: Rund 1,7 Millionen Menschen engagieren sich – oft ehrenamtlich – in Feuerwehren, im Technischen Hilfswerk und in den Rettungsdiensten. In den Landkreisen werden Feldbetten, Sandsäcke und Notvorräte gelagert; Katastrophenschutz ist Ländersache. Aber für die neuen, komplexen und extremen He-rausforderungen ist Deutschland nicht gewappnet, obwohl Expertinnen und Experten seit Jahren warnen.

Es gebe, hieß es schon 2010 vom BBK, kein konkretes Schutz- und Interventionsziel, kein modernes Planungswissen und auch keine modernen Planungsinstrumente. Und die „überwältigende Mehrheit der Bevölkerung“ weiß weder, wie sie sich verhalten soll, noch sorgt sie vor. Dabei zeigt das Warnsystem, wie schlecht die Lage ist. Bis 1990 heulten in Deutschland probehalber regelmäßig 80 000 Sirenen. Als der Kalte Krieg beendet schien, wurden viele Sirenen abgebaut oder verfielen. Zwar forderten Katastrophenexperten regelmäßig weiterhin ein gutes und vor allem modernes Warnsystem. Es gebe eine „zwingend zu schließende beachtliche Warnlücke“, schrieb das BBK 2010. Die Lücke wurde nicht geschlossen. Zehn Jahre später wurde der deutsche Warntag selber zur Katastrophe. Sirenen funktionierten nicht, auf dem Handy liefen Warnungen gar nicht oder zu spät ein.

Chaos bei der Ahr-Flut

Ein Jahr darauf zeigte sich grausam, was das heißt. Als im Ahrtal die Fluten stiegen, wurden Feuerwehren nicht alarmiert, manche Sirenen heulten nicht, die Koordination der verschiedenen Akteure funktionierte schlecht, es gab kein Lagebild, es herrschte Chaos. Dabei hatte die Regierung schon vor der Ahrtalflut ein neues Konzept beschlossen, in Reaktion auf die Coronapandemie mit dem Maskenchaos und Warteschlangen im Frühjahr 2021. Allein 88 Millionen Euro sollen in den Sirenenausbau fließen. Es sollen Notbrunnen saniert und Menschen zu Pflegehelfern ausgebildet werden. Ein neues Lagezentrum ist geplant. „Die Kernelemente des Neuausrichtungskonzepts werden mit Hochdruck weiter vorangetrieben“, heißt es zur Beruhigung beim Bundesinnenministerium.

Beim Warnsystem ist der Hochdruck allerdings noch nicht angekommen. Während des Probealarms in Bayern am 12. Mai 2022 blieben wieder Sirenen stumm. Warnungen in der „NINA“-App des BBK kamen zu spät oder gelangten nicht über die Stummschaltung. Und weiterhin fehlt es an den Anlagen. In Bayern liegen in den Ämtern 1 500 Anträge auf neue Sirenen vor, wie der Bayerische Rundfunk berichtet, doch der Ausbau wird Jahre dauern. Aber am 8. September 2022 ist wieder Probealarm. Das ist Deutschland.

Maike Rademaker arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Ihre Schwerpunkte sind Arbeitsmarkt- und Umweltthemen.

Maike Rademaker arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Ihre Schwerpunkte sind Arbeitsmarkt- und Umweltthemen.

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