REFORMSTAU
Es ist Krise, und überall hakt es. Doch statt Reformen gibt es immer neue Entlastungspakete. Dabei wäre genau jetzt die Zeit für mehr Eigenverantwortung.
TEXT: MARGARET HECKEL
REFORMSTAU
Es ist Krise, und überall hakt es. Doch statt Reformen gibt es immer neue Entlastungspakete. Dabei wäre genau jetzt die Zeit für mehr Eigenverantwortung.
TEXT: MARGARET HECKEL
Corona, Energiekrise, Ukraine-Krieg: Wer Psychologen fragt, wie wir Menschen uns wappnen können, wird auf Resilienz und Selbstwirksamkeit verwiesen. Das ist unsere Fähigkeit, Widrigkeiten konstruktiv zu verarbeiten und selbstgesetzte Ziele zu erreichen. Doch ausgerechnet beim Erwirtschaften unseres Lebensunterhalts sind diese Fähigkeiten derzeit immer weniger gefragt. Statt jeden und jede von uns zu ertüchtigen, unsere Ziele zu erreichen, schüttet uns ein angeblich fürsorglicher Staat mit immer neuen angeblichen Leistungen zu – vom Neun-Euro-Ticket übers Energiegeld bis zu den Prämien für E-Autos und Wärmepumpen. Je mehr aber der Staat im Detail zu regeln versucht, desto mehr verheddert er sich im Klein-Klein. Höchste Zeit also, das Dickicht wieder zu lichten. Es ist höchste Zeit, Prioritäten zu setzen, Regeln zu definieren und auf die Kreativität der Menschen zu setzen. Wir brauchen mehr Marktwirtschaft und weniger Staatsdirigismus.
Hemmschuh Bürokratie
Eines der wichtigsten Problemfelder in dieser Hinsicht ist zweifellos die Verwaltung. Ob Faxgeräte in den Gesundheitsämtern, monatelanges Warten auf den Pass oder eine durchschnittliche Genehmigungsdauer von sieben Jahren für ein Windrad – die deutsche Bürokratie hat sich von einem viel bewunderten Wettbewerbsvorteil in den Gründerjahren der Republik zum wahrscheinlich größten Hemmschuh für weiteres Wirtschaftswachstum in der Zukunft entwickelt. Dabei sind die Lösungsansätze offensichtlich – und sie lassen sich durchaus verwirklichen, wie viele andere Länder zeigen. Sie heißen Digitalisierung, Transparenz und Wettbewerb. Und es bedarf verbindlicher Fristen, um die Beharrungskräfte der Bürokratie auszuhebeln. Das geht beispielsweise so: Jeder Bauantrag, der nicht binnen sechs Monaten bearbeitet ist, gilt automatisch als genehmigt.
Und noch ein weiteres Prinzip der Marktwirtschaft wäre in der Politik hilfreich – die Orientierung am „Return on Investment“. Übersetzt und lose definiert, ist das die Beantwortung der Frage, welche Wirkung ein ausgegebener Euro aus Steuergeldern erzielt. Das zu messen, ist im politischen Raum schwieriger als in der Wirtschaft. Doch schon das Gedankenexperiment lohnt sich. Der Erkenntnisgewinn ist frappierend. Nur zwei Beispiele: Ist es sinnvoller, einen Euro in frühkindliche Bildung zu investieren oder in Berufseingliederungskurse für die immer noch fast zehn Prozent eines Jahrgangs, die keinen Schulabschluss schaffen? Wo reduziert ein investierter Euro im Straßenbau den CO2-Ausstoß am meisten – beim Bau von Autobahnen, Landstraßen oder Radwegen?
In unserem Privatleben lassen sich solche Fragen auch ohne Taschenrechner sehr leicht beantworten. Wir alle haben ein gutes Gespür für Kosten-Nutzen-Rechnungen. Als Staatsbürger und Staatsbürgerinnen ist uns dieses Wissen inzwischen jedoch weitgehend abhandengekommen: Wer kann bei einem jährlichen Sozialbudget von mehr als 1040 Milliarden Euro (letzter Stand im Vor-Corona-Jahr 2019) noch sagen, wer genau wie von staatlichen Leistungen profitiert? Oder gar, ob die jeweiligen Ausgaben bestmöglich ihren Zweck erreichen?
Ist es sinnvoller, einen Euro in frühkindliche Bildung zu investieren oder in Hilfen für Menschen ohne Schulabschluss?
Ist es sinnvoller, einen Euro in frühkindliche Bildung zu investieren oder in Hilfen für Menschen ohne Schulabschluss?
Digitalisierung, Transparenz, Wettbewerb
Auch hier helfen Digitalisierung, Transparenz und Wettbewerb. Eine interessante Übersicht bietet ein interaktives Tool des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Es listet auf, was wir im Durchschnitt an den Staat zahlen und was wir von ihm bekommen – und zwar nach verschiedenen persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung und Einkommen. Es zeigt sich beispielsweise, dass wir mit Mitte 50 die höchsten Abgaben zahlen – rund 20 500 Euro im Jahr. Klingt viel? Was aber, wenn gleichzeitig die Über-85-Jährigen im Durchschnitt 30 500 Euro vor allem aus den Sozialversicherungen beziehen? Und wenn dabei auf einen Blick ersichtlich ist, dass letztere Gruppe in den nächsten Jahren überproportional wächst und erstere kontinuierlich abnimmt? Zeigt das nicht, dass weitere Sozialreformen unabdingbar sind?
Eine Politik für mündige Bürgerinnen und Bürger tut gut daran, Digitalisierung, Transparenz und Wettbewerb auf -allen Ebenen des staatlichen Handelns voranzubringen. Das ist die Grundlage, auf der wir selbstverantwortlich handeln können.
Margaret Heckel arbeitet als Autorin, Journalistin und Moderatorin. Ihr Spezialgebiet ist der demografische Wandel und die sich wandelnde Arbeitswelt. Zuvor war sie Politikchefin der „Welt“, der „Welt am Sonntag“ sowie der „Financial Times Deutschland“.
Margaret Heckel arbeitet als Autorin, Journalistin und Moderatorin. Ihr Spezialgebiet ist der demografische Wandel und die sich wandelnde Arbeitswelt. Zuvor war sie Politikchefin der „Welt“, der „Welt am Sonntag“ sowie der „Financial Times Deutschland“.
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