ALTERSVORSORGE

Deutsche Rente goes Kapitalmarkt

Sie kommt, die Aktienrente. Endlich, sagen die einen. Nicht weit genug gedacht, die anderen. Grundsätzlich aber ist jede Reform des deutschen Rentensystems ein positiver Schritt – vor allem, wenn sie die Chancen des Kapitalmarkts nutzt.

Text: Julia Thiem

ALTERSVORSORGE

Deutsche Rente goes Kapitalmarkt

Sie kommt, die Aktienrente. Endlich, sagen die einen. Nicht weit genug gedacht, die anderen. Grundsätzlich aber ist jede Reform des deutschen Rentensystems ein positiver Schritt – vor allem, wenn sie die Chancen des Kapitalmarkts nutzt.

Text: Julia Thiem

Das Solidaritätsprinzip ist einer der Grundpfeiler unserer Sozialversicherung – und eigentlich gut gedacht. Niemand ist nur für sich allein verantwortlich, weil das Kollektiv gemeinsam mehr erreichen kann. Allerdings hat das Prinzip einen Haken. Es geht von einer Balance zwischen denjenigen aus, die gerade eine Last stemmen können – etwa weil sie im Berufsleben stehen –, und denjenigen, die in ihrer aktuellen Situation vom Solidaritätsprinzip profitieren. Beim deutschen Rentensystem steht jedoch schon länger fest: Diese Balance ist gefährdet. Immer weniger Arbeitnehmende müssen immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren, weshalb der Staat immer mehr über Steuerzuschüsse ausgleichen muss. Richtig spannend wird es, wenn in den kommenden Jahren die „Baby-Boomer“ in Rente gehen – jene geburtenstarken Jahrgänge, die ein ohnehin schon aus dem Gleichgewicht geratenes System an seine Grenzen bringen könnten.

Wenn der Generationenvertrag nicht mehr funktioniert

Andere europäische Länder gehen einen anderen Weg, der gerade vor dem demografischen Wandel in den Industrienationen als gangbarer erscheint. Besonders Schweden und Norwegen werden mit ihrer Kapitalmarkt-Komponente als Vorbilder herangezogen. Daran will sich nun auch die deutsche Aktienrente orientieren, die vor allem die Liberalen in der Regierung forcieren.

Das Prinzip ist einfach: Das Bundesfinanzministerium will mit der nun auf den Weg gebrachten Aktienrente über eine Kapitaldeckung die gesetzliche Rente auf Dauer stärken und „demografiefester“ machen. Da allerdings nicht mehr viel Zeit bleibt, bis die Babyboomer geballt auf das Rentensystem treffen, will die Ampelkoalition bereits im Bundeshaushalt 2023 als ersten Schritt zehn Milliarden Euro für den Kapitalstock bereitstellen – finanziert zumindest teilweise über Schulden. Verwaltet wird die Aktienrente vom Staat, der die Milliarden am Kapitalmarkt investiert. Ab Mitte der 2030er-Jahre sollen die so erwirtschafteten Erträge dann die Beitragssätze der gesetzlichen Renten stabilisieren und das Rentenniveau konstant auf 48 Prozent halten.

Für die Bevölkerung ist die Aktienrente ein großer Schritt, immerhin sind die Menschen hierzulande nicht für ihre Risikofreude oder gar eine Aktienkultur bekannt. Laut Deutschem Aktieninstitut (DAI) hatte 2021 nur rund jeder sechste Mitbürger über 14 Jahren privat in Aktien investiert.

Immerhin: Die jüngere Generation scheint der Aktienrente gegenüber aufgeschlossen zu sein. Eine vom Deutschen Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) veröffentlichte Studie zeigt: 59 Prozent, also fast zwei Drittel der 18- bis 29-Jährigen, sind für die Aktienrente. 

Der Zeitpunkt für den Start eines kapitalgedeckten Rentenanteils ist jedoch auf den ersten Blick nicht optimal: Coronakrise und Ukraine-Konflikt haben an den Aktienmärkten für Unsicherheit gesorgt, was so manchen Index empfindlich auf Talfahrt schickte. Wer als Anleger jedoch einen langfristigen Anlagehorizont hat, und genau darum geht es letztlich bei der Aktienrente, muss sich um solche temporären Unsicherheiten weniger Gedanken machen. Studien zeigen, dass es langfristig betrachtet nur wenige Phasen gibt, in denen Kauf und Verkauf von Aktien so ungünstig lagen, dass Anleger Verluste gemacht hätten.

Anleger mit langfristigem Horizont müssen sich um temporäre Unsicherheiten weniger Gedanken machen.

Übrigens hatten auch die Schweden mit ihrem Pensionsfonds AP7 keinen besseren Start: 2000 war gerade die Dotcom-Blase geplatzt. Die Verluste damals: minus 40 Prozent. Hat es dem Staatsfonds geschadet? Die durchschnittliche Rendite von gut 11 Prozent pro Jahr lässt etwas anderes vermuten. Dabei musste der Fonds die ersten zehn Jahre sogar noch 50 Prozent seines Vermögens in festverzinsliche Produkte investieren. Erst seit 2010 darf ein höheres Risiko eingegangen werden, was das Fondsmanagement auch ausnutzt: Das Kapital wird mittlerweile komplett in Aktien investiert.

Auch in Norwegen gibt es zwei Staatsfonds, die das dortige Rentensystem nachhaltig stabilisieren. Im „Staatlichen Pensionsfonds Norwegen“ (SPN) werden die Überschüsse der Sozialversicherung nach der 60-40-Regel verwaltet. 60 Prozent fließen in Aktien und andere Eigenkapitalinstrumente, 40 Prozent in festverzinsliche Wertpapiere. In einem weiteren staatlichen Pensionsfonds werden die Einnahmen aus dem Öl- und Gasverkauf investiert. Auch hier fließt der Großteil in Aktien, gefolgt von etwas unter 30 Prozent Anleihen und einem kleinen Rest, der in Immobilien oder Infrastrukturprojekte investiert ist.

Reicht die Aktienrente?

Unsere skandinavischen Nachbarn zeigen also: Der Schritt an den Kapital-markt für eine stabile Altersversorgung ist richtig. Allerdings muss die Euphorie, dass die Aktienrente nun alles regelt, etwas gebremst werden. Denn erstens liegt der zunächst geplante Kapitalstock für die Aktienrente deutlich unter dem, was in Schweden und Norwegen bereits seit Jahren investiert wird. Und zweitens ist das kapitalgedeckte System in beiden Ländern nur einer von mehreren Bausteinen. Weitere elementare Unterschiede zum deutschen System: In beiden Ländern ist die betriebliche Altersvorsorge verpflichtend. In Norwegen zahlen Arbeitgeber mindestens zwei Prozent des Nettoeinkommens, in Schweden sind es mindestens 4,5 Prozent des Bruttoeinkommens. Außerdem zahlen in Schweden ausnahmslos alle Erwerbstätigen ab 16 Jahren in die staatliche Rentenversicherung ein – also auch Beamte und Selbstständige. Und auch in Norwegen beteiligen sich bis auf wenige Ausnahmen alle einkommensabhängig an der staatlichen Rente.

Die Kapitaldeckung ist also nur ein Aspekt, der die Skandinavier zum Vorbild macht. Deshalb ist die deutsche Aktienrente ein positiver Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit des Rentensystems. Aber vermutlich nur ein erster.

Umstrittener Baustein in der Altersvorsoge

Viele Menschen befürworten einen „Bürgerfonds“, einen Vorläufer der Aktienrente

Die große Mehrheit der Deutschen geht davon aus, dass das Rentenniveau absinkt. Eine Aktienrente könnte die Rente stabilisieren.

Mehr Männer vertrauen der Aktienrente als Frauen

47%

Frauen sind eher zurückhaltend bei Investitionen an der Börse – und bei der Aktienrente.

65%

Vor allem Männer betrachten die Aktienrente als Mittel zur Stabilisierung der Renten.


Unter jungen Menschen ist die Zustimmung am größten

Je jünger die Befragten sind, desto höher fällt ihre Zustimmung zu einer Aktienrente aus.

Vertrauen in den Staat als Verwalter des Vermögens

Gut die Hälfte der Geringverdiener hat Vertrauen in den Staat als Verwalter des Aktienvermögens. 

Menschen mit mittlerem Einkommen ... 

... sehen den Staat nur zu 44 Prozent gern in der Rolle des Vermögensverwalters.

Bei Menschen mit höherem Einkommen ...

.. liegt die Zustimmung bei 47 Prozent.

Julia Thiem arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich als Journalistin und Autorin.

Julia Thiem arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich als Journalistin und Autorin.

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