DAS ERBE DES KOMMUNISMUS
Zum 70. Todestag des mörderischen Tyrannen zeigt sich erneut: In Russland wirkt der Geist von Josef Wissarionowitsch Stalin bis heute nach. Menschen sind weiterhin bloße Instrumente eines Herrschaftsapparates, der bedingungslose Unterwerfung zur Erreichung „höherer“ Ziele einfordert.
Text: Sascha Tamm
DAS ERBE DES KOMMUNISMUS
Zum 70. Todestag des mörderischen Tyrannen zeigt sich erneut: In Russland wirkt der Geist von Josef Wissarionowitsch Stalin bis heute nach. Menschen sind weiterhin bloße Instrumente eines Herrschaftsapparates, der bedingungslose Unterwerfung zur Erreichung „höherer“ Ziele einfordert.
Text: Sascha Tamm
Vor 70 Jahren, am 5. März 1953, starb Josef Wissarionowitsch Stalin. Er war für den Tod von Millionen Menschen, für gewaltiges menschliches Leid und die totale Verwüstung sozialer Beziehungen unter dem kommunistischen Herrschaftssystem, an dessen Spitze er mehr als 25 Jahre stand, verantwortlich. Doch als sein Tod in den offiziellen Medien der Sowjetunion verkündet wurde, war ein großer Teil der Bevölkerung tief betroffen. Zeitzeugen beschrieben, wie sie eine große Leere fühlten und sich nicht vorstellen konnten, ohne den im politischen und vor allem im Propaganda-apparat allgegenwärtigen Führer zu leben. Heute ist die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Russlands der Meinung, dass Stalin in der Geschichte ihres Landes eine positive Rolle gespielt hat.
Das sagt viel über den aktuellen Zustand der russischen Gesellschaft aus, in den sie nach kurzen Phasen der kritischen Auseinandersetzung mit Stalins Herrschaft wieder zurückgefallen ist. Das ist umso bedrückender, als dass so gut wie jede Familie in der So-wjetunion Opfer des Regimes Stalins zu beklagen hatte, sei es durch Exekution, durch Lagerhaft, durch Verbannung oder Diskriminierung.
Viel ist über die Persönlichkeit Stalins geschrieben worden – und sicher haben seine Eigenschaften eine Rolle bei seinem Aufstieg zu gewaltiger Macht und zu einem der mörderischsten politischen Führer der Weltgeschichte gespielt. Doch er war vor allem Repräsentant und Symptom eines politischen Denkens und eines Herrschaftssystems, die bis heute fortwirken.
Totale Kontrolle des Staates
den Georgien im Jahr 1878 geboren, stieg Josef Wissarionowitsch Dschughaschwili, der sich 1912 den Kampfnamen Stalin gab, in den Rängen der Bolschewiki und nach der Machtübernahme in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion auf. Von 1927 bis zu seinem Tod hat er die Sowjetunion geführt. Dabei spielte es keine große Rolle, welche konkreten Ämter in Partei und Staat er in bestimmten Zeiträumen einnahm – er ließ sich gern und zutreffend „Woschd“ (Führer) nennen.
Sein Denken und sein Handeln waren von zwei Motiven geleitet. Einerseits sah er sich und die Kommunistische Partei als Exekutor historischer Gesetze, als Schöpfer einer neuen Ordnung. Diese Überzeugung rechtfertigte für ihn – und für zahlreiche seiner Mitstreiter – praktisch alles, auch jedes Verbrechen.
Andererseits war er der Überzeugung, dass nur die totale Kontrolle aller Lebensbereiche, selbst seiner engsten Umgebung, seine Herrschaft erhalten kann. Immer wieder veranlasste er „Säuberungen“ des Parteiapparats, ließ vermeintliche Feinde der Partei, in seinen Augen Hindernisse für den sozialistischen Aufbau, entlarven und verurteilen, foltern und töten.
Für die totale Kontrolle des Staates setzte er auf einen wachsenden Sicherheitsapparat und gleichzeitig auf eine allumfassende Propaganda. Millionen Menschen fielen seiner Herrschaft direkt zum Opfer, wurden getötet oder litten in den Lagern des „Gulag-Systems“. Ein immer weiter intensiviertes System der Denunziation und Bespitzelung, der Kontrolle von Kunst und Medien pervertierte das gesellschaftliche Leben, höhlte Familien und persönliche Beziehungen aus und zerstörte sie dauerhaft. Die Folgen verheeren bis heute die russische Gesellschaft.
Der Preis, den die Menschen für die Zukunftsträume der politischen Herrscher zahlen, ist gewaltig.
Am Kreml schmücken Mitglieder der russischen Kommunistischen Partei Stalins Büste anlässlich seines 70. Todestages.
Tödliche Ideologie
Oft wird argumentiert, dass man doch die positiven Ergebnisse, die Modernisierung und Industrialisierung, den Sieg im Zweiten Weltkrieg zu Stalins Gunsten auf die Waagschale legen müsse. Doch die Verbrechen Stalins, seiner Helfer, seiner Partei und seines Apparates waren keine „Entartungen“ oder Abweichungen. Sie entsprangen unmittelbar dem Geist der kommunistischen Ideologie – und anderer kollektivistischer Bewegungen.
Menschen wurden von Stalin nur als Mittel für übergeordnete Ziele angesehen – oder als Hindernisse, die es auszumerzen galt. Auch menschliche Bindungen waren Hindernisse. Freiwillige Zusammenschlüsse, der Streit um unterschiedliche Vorstellungen, Werte und Ziele waren in den Augen Stalins Gefahren für seine Macht und die der Partei. Dieses Denken ist bis heute präsent – nicht nur in Russland und nicht nur bei Sozialisten und Kommunisten. Die Verachtung gegenüber schwierigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen, rechtsstaatlichen und anderen Mechanismen, die das Erreichen von politischen Zielen behindern oder verzögern können, ist weit verbreitet.
Die Herrschaft Stalins und der Kommunistischen Partei baute auf wichtigen Entwicklungslinien der russischen Geschichte auf. In Russland waren demokratische, rechtsstaatliche Institutionen vor den Umwälzungen von 1917 sehr wenig ausgeprägt, die allermeisten Menschen waren gegenüber politischen Entscheidungen machtlos. Das begründete, wenigstens teilweise, die Anziehungskraft der Bolschewiki, die 1917 die Macht an sich rissen.
Doch der Preis, den die Menschen für die Zukunftsträume der politischen Herrscher zahlen mussten und bis heute zahlen, ist gewaltig. Sie wurden Instrumente eines politischen Herrschaftsapparates, der bedingungslose Unterwerfung zur Erreichung „höherer“ Ziele einfordert. Dieses Denken, für das Stalin in besonderer Weise steht, ist bis heute wirkmächtig.
Keine Alternative zur Macht
Ein wesentlicher Faktor dabei ist, dass die meisten Menschen in Russland nicht glauben, dass es zur „Macht“ (so werden die Staatsorgane genannt) und ihren Instrumenten eine realistische Alternative gibt. Gewalt und ihre Androhung sind es, die politische Entscheidungen bestimmen, nicht öffentliche Debatten, das in Institutionen eingebundene Austragen von Konflikten und die Suche nach Kompromissen. Das Denken in den Kategorien Freund und Feind beherrscht das Weltbild vieler. Die kommunistische Ideologie ist von einem nationalistischen Narrativ abgelöst worden – die Struktur des Denkens und Handelns hat sich wenig verändert.
Es gab in der Geschichte Russlands Phasen, in denen über die Verbrechen Stalins und deren Folgen offen gesprochen werden konnte. Doch sie waren kurz und wurden immer wieder von den Machthabern beendet. Heute werden diejenigen Organisationen, die sich dafür einsetzen, die Erinnerung wachzuhalten, als ausländische Agenten diskreditiert und sanktioniert. Stalins Geist lebt weiter. Umso mehr gilt es, diejenigen zu unterstützen, die auch das Bewusstsein für seine Verbrechen und sein mörderisches System wachhalten wollen.
Sascha Tamm ist Referatsleiter Nordamerika und Lateinamerika der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Sascha Tamm ist Referatsleiter Nordamerika und Lateinamerika der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
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