Wirtschaft

„Uns fehlt die Gründerkultur“

Die Innovationsforscherin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer über den Aufschwung nach der Pandemie, marktwirtschaftliche Klimapolitik und die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von erfolgreichen Start-ups.

Text: Annett Witte
Illustration: Jan Roeder

Frau Professor Schnitzer, in der Coronakrise haben die Haushalte in Deutschland 200 Milliarden Euro zusätzlich gespart. Man hatte ja kaum Gelegenheit, Geld auszugeben. Können wir das nachholen? Es gibt sicherlich Nachholeffekte, aber nicht in dieser Höhe. Niemand wird sich die Haare jetzt gleich zweimal hinterei­nander schneiden lassen und jetzt noch einen neuen warmen Mantel kaufen. Auch die nicht stattgefundenen Restaurantbesuche wird man nicht alle nachholen können. Manche Gelegenheiten sind vorbei oder ergeben sich jetzt einfach nicht mehr.

Was heißt das für die Lage der deutschen Wirtschaft? Wie geht es uns?

Vor allem die von gesundheitspolitisch bedingten Einschränkungen betroffenen Branchen wie die Gastronomie, Kultur und Tourismus, aber auch Teile des Einzelhandels haben es schwer. Ihre Einbußen stehen zwar nur für ein paar wenige Prozentpunkte des Bruttoinlandprodukts. Aber für die Menschen ist es sehr sichtbar und deswegen drückt das auf die Stimmung. Doch im verarbeitenden Gewerbe sehen wir wieder hohe Exportzahlen. Die ökonomischen Indikatoren zeigen nach oben, die Auftragsbücher sind voll, vor allem wegen der guten Ausfuhrlage. 

Welche Märkte sind es, die den Export derzeit kräftig ziehen? 

Vor allem China und die Vereinigten Staaten. In China ist die Pandemie schnell überwunden gewesen. Dort hat schon im zweiten Quartal 2020 die Wirtschaft wieder angezogen. Und selbst die Vereinigten Staaten, die ja massiv von der Pandemie betroffen waren, haben das wirtschaftlich sehr gut überstanden. Der Einbruch war nicht so stark wie in der EU, und heute sind die Amerikaner schon wieder am Ausgangspunkt, wo sie vor der Pandemie standen.

Das liegt gewiss daran, dass Amerika mit dem Impfen so gut vorankommt? 

Das hilft natürlich sehr.

In der Krise hat es eine Vielzahl an wirtschaftspolitischen Eingriffen gegeben, von Kurzarbeit bis Konjunkturpaket, Mehrwertsteuersenkung und Staatsbeteiligungen. Wie kommen wir da wieder heraus? 

Die aktuellen Hilfen für Unternehmen, die von Schließungen betroffen sind, müssen wieder abgebaut werden, wenn die Schließungen vorbei sind. Auch die anderen Unternehmen sollten keine Hilfen mehr brauchen, wenn sich die Lage weiter normalisiert. Selbst das Kurzarbeitergeld sollte dann rasch abgebaut werden können. Es wird wichtig sein, dass die Unternehmen dann zügig all die Restrukturierungen vornehmen, die nicht nur die Krise selbst fordert, sondern allein schon der Strukturwandel, der in vielen Branchen bereits vor der Krise einsetzte. Es heißt jetzt schleunigst Hausaufgaben machen.

Wo liegen denn Hausaufgaben unerledigt herum? 

Die Krise hat von vielen Unternehmen gefordert, ihr Geschäftsmodell zu digitalisieren, nicht alle waren darauf gut vorbereitet. Insbesondere der deutsche Mittelstand hinkte im europäischen Vergleich hinterher. Aber einige haben es jetzt doch in sehr kurzer Zeit geschafft, ihre Struktur so umzubauen, dass sie mit ihren Kundinnen und Kunden digital interagieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice schicken konnten. Gerade für Anbieterinnen und Anbieter von Dienstleistungen war das eine große Chance. Früher haben viele Vorgesetzte ihren Beschäftigten nicht recht getraut, wenn diese von zu Hause arbeiten wollten, aber jetzt konnten sie sehen, wie gut das funktioniert. Da hat sich einiges getan. Ob das dauerhaft ist, wird sich zeigen. Das ist das eine. 

Und das andere? Das andere sind die Wirtschaftszweige, in denen es schon vor der Krise einen Strukturwandel hätte geben müssen, den aber die deutschen Unternehmen nicht genug vorangetrieben haben, beispielsweise in der Automobilindustrie. Mit dem Konjunkturpaket, aber auch mit Vorgaben aus Brüssel und Berlin ist jetzt noch einmal klarer geworden, dass eine Energie- und Verkehrswende kommt, und zwar rasch. Die Automobilhersteller haben daraufhin einiges unternommen. Für ihre Zulieferer wird es nicht immer leicht sein, sich anzupassen. Es wird Unternehmen geben, die sich neu orientieren, die sich durchlavieren und auch welche, die es nicht schaffen. Dass Unternehmen im Zuge des Strukturwandels aus dem Markt ausscheiden, gehört dazu und ist wichtig, damit die Ressourcen für neue Anbieter frei werden. Das ist ein ganz natürlicher Prozess.

„Wir denken in der Wirtschaftspolitik nach wie vor sehr stark an die etablierten Unternehmen, statt auch einmal im Interesse der Dynamik auf Start-ups zu setzen.“

Monika Schnitzer ist Inhaberin des Lehrstuhls für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2020 ist sie Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Das Bundesverfassungsgericht hat Nachbesserungen am Klimaschutzgesetz verlangt. Welche Signale sollte die Politik setzen, damit wir innovationsfreundlich bleiben? 

Ich plädiere ganz klar weniger für Verbote als für marktbasierte Ansätze. Die negativen Auswirkungen der mit dem Energieverbrauch verbundenen Emission von CO2 sollten einen Preis haben, an denen sich die Menschen und die Unternehmen orientieren. Das Problem ist allerdings, dass der Preis, der diese negativen Nebenwirkungen des Energieverbrauchs vollständig in Rechnung stellen würde, sehr hoch ist. Man muss das abpuffern. Hilfreich ist ein solches Preissignal indes nur dann, wenn es die Chance gibt, sich daran anzupassen: wenn die Menschen also Handlungsalternativen haben. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich hatten sich seinerzeit daran entzündet, dass die CO2-Abgabe die Benzinpreise in die Höhe trieb, ohne dass die Leute mit anderen Verkehrsmitteln zur Arbeit kommen konnten. 

Man braucht also einen hinreichend guten öffentlichen Nahverkehr... 

... oder man muss auf Elektromobilität umsteigen. Aber selbst mit der Kaufprämie, die es jetzt dafür gibt, kann sich noch lange nicht jeder ein neues Elektroauto leisten. Da gibt es eine soziale Unausgewogenheit, die man bedenken muss. Außerdem gibt es ein Henne-Ei-Problem: Die Anbieter wollen das Netz der Ladestationen erst ausbauen, wenn genug Autos diese nutzen können, aber die Autos werden nicht gekauft, solange es nicht genug Ladestationen gibt. Hier ist es sinnvoll, dass der Staat koordinierend eingreift. 

Schafft die Automobilindustrie das nicht auch alleine? 

Grundsätzlich schon, aber sie hat es vor sich hergeschoben. Erst jetzt, wo klar ist, dass es ernst wird und dass die ausländische Konkurrenz die Nase vorn hat, wachen die deutschen Unternehmen auf. Das beweist, dass es am Ende immer der Wettbewerb ist, der die Wirtschaft in Bewegung bringt. Wir kennen dieses Muster aus der Innovationsforschung. Ein neues Unternehmen hat einen starken Anreiz, in innovative Bereiche vorzustoßen. Aber wer schon ein gut funktionierendes Geschäftsmodell besitzt, der verspürt in der Regel nur einen geringen Anreiz, dieses von Grund auf zu erneuern. Der Mehrgewinn ist nicht so groß. Er macht sich damit ja in gewissem Umfang selber Konkurrenz. Das beschreibt sehr genau die Situation der deutschen Automobilhersteller.

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