DIGITAL SPEZIAL

„Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Öffentlichkeit"

Nach dem Willen des Europaparlaments sollen in der EU künftig auch einheitliche europäische Listen politischer Bündnisse oder Parteien zur Wahl stehen. Wozu das gut ist, erklärt Damian Boeselager, Gründer der ersten paneuropäischen Partei Volt.

INTERVIEW: AMELY RECHBERG

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„Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Öffentlichkeit"

Nach dem Willen des Europaparlaments sollen in der EU künftig auch einheitliche europäische Listen politischer Bündnisse oder Parteien zur Wahl stehen. Wozu das gut ist, erklärt Damian Boeselager, Gründer der ersten paneuropäischen Partei Volt.

INTERVIEW: AMELY RECHBERG

Herr Boeselager, das Europaparlament hat am 3. Mai die Empfehlung verabschiedet, dass es in künftigen Europawahlen eine Zweitstimme geben soll. Was soll das bringen?

Das ist hilfreich, wenn man eine wirkliche europäische Demokratie aufbauen möchte. Bisher – und seit mehr als 40 Jahren – gibt es in der Europäischen Union ja statt einer wirklichen Europawahl nur 27 nationale Wahlen zum Europaparlament. Doch mit einer europäischen Zweitstimme und einheitlichen europäischen Listen können alle Bürger und Bürgerinnen für europäische Parteien mit europäischem Programm stimmen. Es wird auf diese Weise auch möglich, EU-Abgeordnete politisch zur Rechenschaft zu ziehen. Und wir tun einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Öffentlichkeit.

Wie sieht dieser Weg aus?

Die europäische Öffentlichkeit entsteht mit einer gemeinsamen parlamentarischen Demokratie. Die Europawahlen können ein die Nationen verbindendes Element sein, wenn man über die gleichen Parteien, deren Programme, Kandidaten und Kandidatinnen abstimmt, und wenn sich dies dann auf die europäische Regierung auswirkt, also auf die Europäische Kommission. Zudem erwarte ich, dass sich die Menschen wie auch die Medien dann stärker als bisher mit der europäischen Dimension der Wahlen befassen werden. Die Berichterstattung in den Medien konzentriert sich heute eher auf die unterschiedlichen Meinungen der Mitgliedstaaten als auf die Positionen der europäischen Parteien und politischen Strömungen. Zu oft unterscheiden wir zwischen den Regierungen in den Hauptstädten und der Europäischen Kommission, statt zwischen liberalen oder sozialdemokratischen Positionen.

Was ist Europas größtes Problem?

Europa ist mit vielen Problemen konfrontiert: der russischen Invasion in der Ukraine, der Klimakrise, dem immer noch unmenschlichen Asylsystem, der schlechten Skalierbarkeit von digitalen Lösungen etc. Das größte Problem der EU ist jedoch, dass wir nicht gut genug mit diesen Herausforderungen umgehen. Das liegt daran, dass die EU im Kern immer noch eine zwischenstaatliche Organisation ist – über die wichtigsten Fragen müssen 27 Regierungschefs einstimmig entscheiden. Das macht die EU träge und intransparent. Wir müssen dringend dafür sorgen, dass die EU entscheidungsfähig wird.

Wie soll das gehen?

Das wird nur gehen, wenn wir wie eine normale Demokratie funktionieren. Wir brauchen dafür eine über das Europaparlament gewählte Regierung, die entscheidungs- und handlungsfähig ist und die bei groben Fehlern schnell, bei kleineren Fehlern mittelfristig ersetzt werden kann. Die zweite Kammer der EU, der Rat, sollte wie eine Art Bundesrat oder amerikanischer Senat funktionieren, nicht aber, wie derzeit, als permanente Vetomacht. Dafür müssen wir die EU verändern, sie reformieren. Wenn das geschafft ist, werden wir auch die großen Herausforderungen unserer Zeit angehen können.

Ist das Europaparlament eigentlich politisch genug?

In allen Parlamentsdebatten gibt es fundamentale politische Divergenzen zwischen konservativen, sozialdemokratischen, grünen und liberalen Positionen. Das war schon immer so, auch in den Debatten über den Aufbaufonds, den Digital Governance Act, die Regulierung der europäischen Asylagentur und das Wahlrecht. Allerdings müssten wir diese Kontroversen besser an die Öffentlichkeit bringen, sodass der Austausch der politischen Meinungen im Parlament über Brüssel und Straßburg hinaus gehört wird. Aber auch das reicht nicht: Wir müssen die EU wie gesagt zu einer echten parlamentarischen Demokratie machen. Das können wir nur durch eine ambitionierte Reform der Verträge erreichen.

Welche Lehren sind aus der Konferenz zur Zukunft Europas zu ziehen?

Sie hat uns eine einzigartige Chance gegeben, und wir sollten die Gelegenheit nutzen, um die EU agiler und transparenter machen. Wir müssen ihr ermöglichen, einen eigenen Haushalt zu verwalten, der für sozial-, gesundheits-, wirtschafts- und sicherheitspolitische Probleme genutzt werden kann. Außerdem müssen wir darüber nachdenken, wie wir den Zugang zur Europäischen Union für neue EU-Länder besser organisieren und sicherstellen können, dass alle Mitglieder tatsächlich die Werte und Ideale der Union vertreten. Dass Europa in Krisen seit 20 Jahren mehr oder weniger handlungsunfähig ist, ist ein klares Signal, dass es Zeit ist, sich zu verändern. Wir dürfen diese Chance nicht vergeuden.

Wieviel können einzelne Europaabgeordnete erreichen?

Meine Erfahrungen sind da grundsätzlich positiv. Man kann im europäischen Parlament wahnsinnig viel als Einzelperson erreichen, wenn man sich anstrengt. Anders als in nationalen Parlamenten kann man tatsächlich an Gesetzen mitschreiben und so systemische Veränderungen in der ganzen EU erreichen. Das erfordert ein tiefes Einarbeiten – und es macht einfach Freude. Ich kann allen nur empfehlen, politisch aktiv zu werden und unsere Gesellschaft auf diese Weise mitzugestalten!

Damian Boeselager ist Mitglied des Europaparlaments. Er hat 2017 gemeinsam mit Andrea Venzon aus Italien und Colombe Cahen-Salvador aus Frankreich die erste paneuropäische Partei Volt Europa gegründet. In der Europawahl 2019 gewannt Volt Deutschland mit 0,7 Prozent der Stimmen eines der 96 deutschen Mandate.

Damian Boeselager ist Mitglied des Europaparlaments. Er hat 2017 gemeinsam mit Andrea Venzon aus Italien und Colombe Cahen-Salvador aus Frankreich die erste paneuropäische Partei Volt Europa gegründet. In der Europawahl 2019 gewannt Volt Deutschland mit 0,7 Prozent der Stimmen eines der 96 deutschen Mandate.

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