INSOLVENZRECHT

Wirksame Sanierungsmöglichkeiten für Unternehmen

Deutschland hat im vergangenen Jahr sein Restrukturierungsrecht neu gefasst. Die Mühe hat sich gelohnt.

TEXT: MARIE LUISE GRAF-SCHLICKER

INSOLVENZRECHT

Wirksame Sanierungsmöglichkeiten für Unternehmen

Deutschland hat im vergangenen Jahr sein Restrukturierungsrecht neu gefasst. Die Mühe hat sich gelohnt.

TEXT: MARIE LUISE GRAF-SCHLICKER

Das deutsche Insolvenzrecht nimmt im internationalen Benchmarking eine Spitzenposition ein. Grund dafür ist insbesondere, dass es wirksame Sanierungsinstrumente bereithält. Gesetzliche Regelungen zu einer Sanierung außerhalb der Insolvenzordnung, die das mit einer Insolvenz verbundene Stigma des unternehmerischen Scheiterns vermeiden, fehlten jedoch lange im deutschen Recht. Die Vergleichsordnung von 1935, die solche Regelungen enthielt, wurde mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung 1999 abgeschafft – sie war wegen ihrer starren Mindestquote zur Gläubigerbefriedigung von 35 Prozent nahezu bedeutungslos geworden.

Neue Impulse für ein Restrukturierungsverfahren außerhalb eines Insolvenzverfahrens kamen 2012 von der EU-Kommission unter dem Gesichtspunkt der Bildung einer Kapitalmarktunion. Sie betrachtete die sehr unterschiedlichen Regelungen der Mitgliedstaaten zum Umgang mit unternehmerischem Scheitern als entscheidendes Hindernis für den freien Kapitalfluss in der Europäischen Union. Anlage- und Kreditrisiken könnten nur auf der Grundlage des voraussichtlich anzuwendenden Insolvenzrechts ermittelt werden, hieß es. Dies sei wegen der unzureichenden Harmonisierung dieses Rechts mit erheblichem Aufwand verbunden, was die Kapitalmarktfinanzierung belaste. Daher wollte die Kommission mit ihrem Richtlinienvorschlag vom November 2016 möglichst einheitliche Maßstäbe für eine vorinsolvenzliche Restrukturierung schaffen. Dieses Ziel musste der europäische Gesetzgeber jedoch wegen der sehr unterschiedlichen Regelungen zur Sanierung krisenbehafteter Unternehmen in den Mitgliedstaaten teilweise revidieren. Die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz vom Juni 2019 sieht daher noch erhebliche Spielräume für die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht vor.

Die Kernregelungen der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz waren bis zum 17. Juli 2021 ins nationale Recht umzusetzen. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Umsetzungsfrist nicht ausgeschöpft. Bereits zum 1. Januar 2021 ist die Richtlinie mit dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) in deutsches Recht umgesetzt worden. Das neue deutsche Gesetz enthält kein durchstrukturiertes Verfahren zur Sanierung eines krisenbehafteten Unternehmens außerhalb eines Insolvenzverfahrens, sondern es bietet eine Toolbox für die Sanierung mit unterschiedlichen Instrumenten und Vorgehensmöglichkeiten des Schuldners an. Von Amts wegen ist ihm ein Restrukturierungsbeauftragter nur noch in besonderen Fällen zur Seite zu stellen.

Zentrales Element des Rechtsrahmens dieses Gesetzes ist der Restrukturierungsplan, der vom Schuldner gegebenenfalls mithilfe Dritter zu konzipieren ist. Er kann im Konsens mit allen beteiligten Gläubigern beschlossen, aber auch gegen den Willen einer Minderheit durchgesetzt werden. Anders als im Insolvenzverfahren kann der Schuldner festlegen, welche Gläubiger von dem Restrukturierungsplan betroffen sein sollen. Als dessen Gegenstand ausgeschlossen sind allerdings Forderungen aus oder im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen, aus unerlaubter Handlung oder solche, die als Sanktion gegen den Schuldner verhängt wurden. 

Eigenverantwortlich gesteuerte Sanierung

Falls nicht alle betroffenen Gläubiger dem Restrukturierungsplan zustimmen, kann dieser gegenüber den Verweigerern nur Wirkung erzeugen, wenn der Schuldner drohend zahlungsunfähig ist, er also seine Zahlungsverpflichtungen innerhalb der nächsten 24 Monate nicht erfüllen kann, er sein Vorhaben beim zuständigen Restrukturierungsgericht anzeigt und den Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigen lässt. Restrukturierungsgerichte sind grundsätzlich die Amtsgerichte am Sitz eines Oberlandesgerichts, abweichende Regelungen gelten für die Oberlandesgerichte Celle und Hamm. Im OLG-Bezirk Celle ist das Amtsgericht Hannover zuständig, im OLG-Bezirk Hamm das Amtsgericht Essen.

Ob und zu welchem Zeitpunkt das Restrukturierungsgericht in die Sanierung eingebunden wird, bleibt dem Schuldner überlassen. Er kann den Sanierungsprozess grundsätzlich eigenverantwortlich steuern. Die Abstimmung über den Sanierungsplan kann unter seiner Leitung außergerichtlich entweder in einem schriftlichen Abstimmungsprozess oder in einer Versammlung erfolgen. Für das Abstimmungsverfahren sind die von dem Plan betroffenen Gläubiger je nach ihrer Rechtsstellung in unterschiedliche Gruppen einzuteilen. Die Annahme des Plans setzt grundsätzlich eine qualifizierte Mehrheit von 75 Prozent der Forderungen in einer Gruppe voraus. Wird die notwendige Mehrheit in einer Gruppe nicht erreicht, kann unter engen Voraussetzungen, insbesondere wenn die Mitglieder aus dieser Gruppe durch den Plan nicht schlechter gestellt werden als ohne Plan, dennoch eine Planbestätigung erreicht werden.

236.000

Vollerwerbs-Gründungen in Deutschland 2021. Die Zahl der Unternehmensgründungen im Vollerwerb ist in Deutschland nach dem Coronaknick 2020 im Jahr 2021 wieder auf das Vorkrisenniveau gestiegen. So haben sich 35 000 neue Unternehmen mehr gegründet, das entspricht einem Plus von 18 Prozent. 

236.000

Vollerwerbs-Gründungen in Deutschland 2021. Die Zahl der Unternehmensgründungen im Vollerwerb ist in Deutschland nach dem Coronaknick 2020 im Jahr 2021 wieder auf das Vorkrisenniveau gestiegen. So haben sich 35 000 neue Unternehmen mehr gegründet, das entspricht einem Plus von 18 Prozent. 

Vorprüfung beim Restrukturierungsgericht

Der Schuldner kann aber auch das Restrukturierungsgericht in die Abstimmung über den Restrukturierungsplan einbinden. Bereits vor der gerichtlichen, jedoch ebenfalls vor der außergerichtlichen Abstimmung kann er beim Restrukturierungsgericht eine Vorprüfung aller Fragen beantragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans von Bedeutung sind. Voraussetzung dafür ist, dass der Schuldner drohend zahlungsunfähig ist und seine Restrukturierungsabsicht beim zuständigen Restrukturierungsgericht angezeigt hat. Das gilt ebenso, wenn der Schuldner zur Verwirklichung des Restrukturierungsziels gegen einzelne, mehrere oder alle Gläubiger Vollstreckungs- oder Verwertungssperren beantragt.

Die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans erfolgt ausschließlich auf Antrag des Schuldners. Das Gericht hat die Planbestätigung abzulehnen, falls der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist, falls die Vorschriften über Inhalt, Verfahren und Annahme des Plans in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet wurden, falls die Ansprüche der Gläubiger aus dem Plan nicht erfüllt werden können, falls bei einer vorgesehenen neuen Finanzierung kein schlüssiges Sanierungskonzept vorliegt oder falls die Annahme des Plans unlauter herbeigeführt wurde. Auf Antrag eines Gläubigers ist die Planbestätigung abzulehnen, wenn dieser bei der Abstimmung über den Plan geltend gemacht hat, dass er durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechter gestellt wird als ohne einen solchen. 

Eine wichtige Folge eines bestätigten Plans ist, dass dessen Regelungen, Vollzugshandlungen sowie vorgesehene neue Finanzierungen zum Schutz der sanierungsbeteiligten Gläubiger regelmäßig nicht angefochten werden können.

Zahl der Insolvenzen in Deutschland Laut Angaben des Statistischen Bundesamts gab es 2021 rund 60 Prozent mehr Insolvenzen als im Vorjahr. Der Grund für den niedrigen Wert 2020 liegt demnach hauptsächlich in der wegen der Coronakrise ausgesetzten Insolvenzantragspflicht.

Zahl der Insolvenzen in Deutschland Laut Angaben des Statistischen Bundesamts gab es 2021 rund 60 Prozent mehr Insolvenzen als im Vorjahr. Der Grund für den niedrigen Wert 2020 liegt demnach hauptsächlich in der wegen der Coronakrise ausgesetzten Insolvenzantragspflicht.

Marie Luise Graf-Schlicker war langjährige Leiterin der Abteilung Rechtspflege im Bundesjustizministerium und hat den Umbau des Insolvenzrechts zu einem modernen Sanierungsinstrument maßgeblich geprägt.

Marie Luise Graf-Schlicker war langjährige Leiterin der Abteilung Rechtspflege im Bundesjustizministerium und hat den Umbau des Insolvenzrechts zu einem modernen Sanierungsinstrument maßgeblich geprägt.

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