ENERGIE

Freiheitsenergie vom Meer – die Ruhe vor dem Sturm?

Offshore-Windparks sollen die Energiewende retten. Doch bis dahin ist noch jede Menge zu tun. Vieles fehlt, um Windparks auf hoher See zu errichten und an die Stromnetze an Land anzubinden.

Text: Karina Würtz
Illustrationen: Andrea Ucini

ENERGIE

Freiheitsenergie vom Meer – die Ruhe vor dem Sturm?

Offshore-Windparks sollen die Energiewende retten. Doch bis dahin ist noch jede Menge zu tun. Vieles fehlt, um Windparks auf hoher See zu errichten und an die Stromnetze an Land anzubinden.

Text: Karina Würtz
Illustrationen: Andrea Ucini

Wenn es um das Thema Offshore-Windenergie und Energiewende geht, kann man sich derzeit vor Superlativen kaum retten – Zeitenwende, Freiheitsenergien und der „Doppel-Wumms“ bedeuten maximales Pathos. Im gesamtgesellschaftlichen Akt der Neuvermessung unserer Realität wandelt sich dabei fraktionsübergreifend auch der Blick auf die erneuerbaren Energien. Diese, bis vor nicht allzu langer Zeit häufig noch als energiepolitischer Sonderweg belächelt, verheißen nun eine sichere, resiliente, unabhängige und nicht zuletzt CO2-arme Energieversorgung.

Akademische Fata Morgana?

Politische Eintracht, politische Ziele, damit ein klarer Weg in eine rosige energetische Zukunft? Für den Offshore-Windkraftausbau eher nicht. Oder nicht so einfach. Denn die äußerst ambitionierten Ausbauziele der Ampelkoalition (30 GW bis 2030, mindestens 40 GW bis 2035 und 70 GW bis 2045) treffen nach Jahren der – politisch verursachten – Stagnation des Sektors auf eine Branche im Rückwärtsgang, die nun auf Turbo schalten soll. Ohne eine smarte und mutige Industriepolitik droht sonst insbesondere das 2030-Ziel als „akademische Fata Morgana“ am Horizont zu verkommen: schließlich haben wir zwölf Jahre gebraucht, um 8 GW ins Wasser zu stellen, nun sollen 22 GW in sieben Jahren folgen.

Der Bedarf an Offshore-Windturbinen, Kabeln, Stahltürmen, Fundamenten und der Bau der Konverterstationen bedeuten in der Fertigung, für die Zwischenlagerung und die seeseitige Verladung einen sehr hohen und schwerlastfähigen Flächenbedarf, der so in den deutschen Häfen schlicht nicht vorhanden ist. Unsere dänischen und niederländischen Nachbarn haben das bereits vor Jahren erkannt und ihre Häfen Esbjerg und Eemshaven für die nächste Generation des Offshore-Windenergiezubaus fit gemacht. Zwar ist es in geopolitisch unsicheren Zeiten ein Gut von unschätzbarem Wert, wenn man sich auch in Zukunft auf stabile und freundschaftliche Nachbarschaftsbeziehungen stützen kann. Für den heimischen Rückhalt des Offshore-Ausbaus sowie den Investitions-, Technologie- und Wirtschaftsstandort Deutschland wäre es jedoch von Vorteil, wenn zumindest ein Teil der entstehenden massiven Wertschöpfung innerhalb unserer Landesgrenzen stattfände. Hier sind unsere Nachbarn findiger und entschiedener, was die Infrastrukturinvestitionen und die Nutzung europäischer Mittel angeht. 

Doch nicht nur auf der Suche nach Inspiration ist es wichtig, über die Landesgrenzen hinaus zu blicken. Eröffnete Deutschland im Jahr 2010 mit „alpha ventus“ noch den weltweit ersten Hochsee-Offshore-Windpark, setzt sich weltweit inzwischen fast jedes Land mit einer Dekarbonisierungsstrategie ambitionierte Offshore-Windkraft-Ausbauziele. Allein die aktuell prognostizierte Projektpipeline von Ländern in Europa, der Asien-Pazifik-Region sowie den amerikanischen Ländern summiert sich auf über 260 000 egawatt bis 2030 – was rund 15 000 Windenergieanlagen und dem Energie-Äquivalent von gut 260 Atomkraftwerken entspricht. Das ist eine spürbare und ernst zu nehmende Konkurrenz um knappe Produktionsfaktoren wie Flächen, Fachkräfte, Rohstoffe wie Seltene Erden und Kupfer sowie Stahl und Schiffe – Tendenz dramatisch steigend. Angesichts dieses massiven internationalen Wettbewerbs sollten wir nicht nur der Offshore-Windenergie in Deutschland eine überragende öffentliche Bedeutung zugestehen, wie im Osterpaket geschehen, sondern auch die dafür notwendigen Produktionsfaktoren sicherstellen. Alles andere wäre naiv.

Ein besonders illustratives Beispiel stellt der Offshore-Konverterbau als neuralgischer Punkt des Netzausbaus dar. Die 20 000 Tonnen schweren Plattformen sind für den Offshore-Gleichstrom-Netzausbau unabdingbar. Derzeit werden sie weltweit ausgeschrieben und mangels Alternativen häufig von Werften in Fernost zusammengeschweißt. Deutschland hat seine heimische Fertigung 2018 eingestellt und stattdessen Kreuzfahrtschiffe gebaut.

Wir haben zwölf Jahre gebraucht, um 8 GW ins Wasser zu stellen, nun sollen 22 GW in sieben Jahren folgen.
Karina Würtz

Echter Strategiewechsel

Das könnte man wieder ändern. Aber für den Bau der zukünftigen Generation an 2-GW-Plattformen kommen in Europa nur zwei bis drei Standorte infrage – einer davon ist die Werft in Rostock-Warnemünde als Teil der insolventen MV-Werften. Hier schlug das neue nationale Sicherheitsinte-resse Mitte des Jahres bereits das neue überragende öffentliche Interesse der Offshore-Windenergie, als die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Standort übernahm und dem Marinearsenal zur Nutzung überließ – statt einem Offshore-Investor zum Konverterbau. Gegenwärtig laufen erfreulicherweise Verhandlungen über eine Co-Nutzung, sodass hoffentlich eine Win-win-Situation geschaffen wird.

Auch in der Vergangenheit stellte sich bereits die Frage, ob es klima- und industriepolitisch sinnvoll sein kann, diese Stahlgiganten mit deutschem Stahl in Dubai oder Indonesien zu schweißen und anschließend um die halbe Welt zu schleppen. Und wollen wir wirklich sensible elektrotechnische Anteile und die entsprechende Software in China fertigen lassen, mitten in einer Debatte über Sicherheit und Unabhängigkeit?

Offen ist zudem noch, wie eine energiepolitische maritime Sicherheitsarchitektur aussehen sollte, wenn wir künftig unsere Energieversorgung leitungsgebunden aufs Meer stellen. Die Offshore-Ausbauziele Deutschlands und der nordischen Anrainer, die Vision eines vermischten europäischen Offshore-Netzes und die Pläne zur industrieskalierten Wasserstoffproduktion machen Nord- und Ostsee in den kommenden Jahrzehnten zu einem „Powerhouse“ der Energieversorgung. Wer soll sinnvollerweise zukünftig die kritische Energieerzeugung auf See überwachen? Die deutsche Marine ist dafür aktuell nicht zuständig, sondern das Bundesinnenministerium.

Mit der Definition neuer politischer Ausbauziele ist ein bedeutender Schritt getan worden. Zum ersten Mal seit Jahren decken sich diese mit dem, was klimapolitische Studien als notwendigen Energiewende-Beitrag der Offshore-Windenergie sehen. Dies ist angesichts der hier skizzierten He-rausforderungen jedoch nur der Anfang, wenn die Vision Wirklichkeit werden soll. Die Arbeit fängt gerade erst an.

Karina Würtz ist seit 2021 Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie. Zuvor hat die Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin bei RWE den Offshore-Windpark Nordsee Ost vor Helgoland geführt.

Karina Würtz ist seit 2021 Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie. Zuvor hat die Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin bei RWE den Offshore-Windpark Nordsee Ost vor Helgoland geführt.

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