IM KONTEXT
Horst Möller durchwandert die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre.
Text: Karl-Heinz Paqué
IM KONTEXT
Horst Möller durchwandert die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre.
Text: Karl-Heinz Paqué
Dramatischer geht es kaum. Keine Nation hat im 20. ahrhundert so viele harte politische Brüche erlebt wie Deutschland: vom autokratischen Kaiserreich 1918 zur demokratischen Weimarer Republik und von dort 1933 in die Nazi-Diktatur; ab 1949 im Westen zurück in eine demokratische Republik und im Osten in eine eine neue, diesmal kommunistische Diktatur; und dann ab 1990 vereint in Freiheit und Frieden. Wirtschaftlich waren die Brüche nicht minder scharf: radikale Währungsreformen 1923, 1948 und im Osten 1990 sowie tiefgreifende Wechsel der Wirtschaftsordnungen nach den beiden Weltkriegen und im Osten nochmals 1990 im Zuge der Wiedervereinigung.
Diese lange Geschichte erzählt der renommierte Historiker Horst Möller, langjähriger Präsident des Instituts für Zeitgeschichte München/Berlin, auf weniger als 600 Textseiten. Er tut es sprachlich pointiert und inhaltlich konzise. Darin liegt die Kraft dieses Buches: Es fesselt durch die großen Bögen und deren überzeugende Deutungen, ohne sich an Details der Fakten oder strittigen Interpretationen festzubeißen. Erfrischend dabei die Bereitschaft des Verfassers zum klaren Urteil, und zwar stets aus bürgerlich-liberaler Perspektive. Hier schreibt ein Historiker, der von Demokratie, Rechtsstaat und sozialer Marktwirtschaft überzeugt ist und den (steinigen) Weg dorthin als gewaltigen Fortschritt unseres Landes ansieht.
Dahrendorf betrachtet überhaupt – Kant und nicht Rousseau folgend – den Konflikt, die „Antagonismen menschlicher Anlagen in der Gesellschaft, ja die ‚ungesellige Geselligkeit‘ der Menschen“ als Quelle des Fortschritts. Er bekennt sich damit zur stets vorhandenen Unvollkommenheit der Zustände, die nach immer neuen Anläufen der Ordnungsversuche verlangt. Auch die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung gehört dazu: oft beklagenswert, aber durchaus in der Natur menschlicher Anlagen und Unterschiede begründet. Ähnlich illusionslos sieht er den merkwürdig unvollkommenen Zustand der Europäischen Union – irgendwo im Niemandsland zwischen technokratischer Macht der Kommission und demokratischen Emanzipationsversuchen des Europäischen Parlaments.
Kein Platz für historischen Determinismus.
Horst Möller: „Deutsche Geschichte – die letzten hundert Jahre. Von Krieg und Diktatur zu Frieden und Demokratie“, Piper (2022), 656 Seiten, 32 EUR
Dabei macht Möller wiederholt deutlich, dass handelnde Personen eine gewichtige Rolle spielten – im Positiven wie im Negativen. Nichts musste so kommen, wie es kam; einen historischen Determinismus gab und gibt es nicht. Besonders deutlich wird dies an der zeitweise hoffnungsvollen, aber schließlich doch tragischen Geschichte der Zwanzigerjahre. Das beliebte Diktum, die Weimarer Republik sei eine Republik ohne Demokraten gewesen, bezeichnet Möller wörtlich als Unsinn. Und ebenso weist er die Behauptung zurück, sogenannte Vernunftrepublikaner, die sich wie Stresemann nolens volens mit dem Übergang vom Kaiserreich zur Republik abfanden, seien schlechte Demokraten gewesen. Er zeigt, dass gerade die politische „Vernunft“ half, den Weg in stabilere Verhältnisse zu ebnen, wie die Karrieren von Friedrich Ebert und Gustav Stresemann zeigen. Beide waren große Staatsmänner und starke Säulen der Republik. Allerdings starben sie zu früh, gesundheitlich ausgelaugt von den Belastungen ihrer Ämter und den ständigen Beschimpfungen vonseiten der politischen Extremen.
So fatal der frühe Tod führender Politiker in der Weimarer Republik war, so glücklich war das lange politische (und physische) Überleben großer Persönlichkeiten in der Nachkriegszeit der Bonner Republik. Konrad Adenauer und Ludwig Erhard hatten genug Zeit, ihre Grundentscheidungen für Westbindung und Marktwirtschaft mit Erfolg durchzusetzen. Ähnliches gilt für Willy Brandt und Walter Scheel, die die Weichen für die Ostpolitik stellten. Und Ähnliches gilt auch für Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher: Niemand rechnete mit der deutschen Einheit, aber nach der Politik der Nachrüstung und der finanzpolitischen Konsolidierung der Achtzigerjahre war der Boden bereitet, um nach dem Fall der Mauer entschlossen handeln zu können.
In all diesen Fällen hätte es auch anders kommen können. Günstige Umstände und begabte Politiker mit Autorität – das muss eben zusammenkommen, damit zentrale Ziele erreicht werden. Und wenn beides fehlt, wie in der Weltwirtschaftskrise 1930–1932 nach Stresemanns Tod, dann kann es auch zur Katastrophe kommen. Für beides liefert die Geschichte Deutschlands dramatische Beispiele. Für einen historischen Determinismus ist da kein Platz. So jedenfalls Horst Möller. Mit diesem Buch hat er mich überzeugt.
Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er ist Volkswirt mit einem Lehrstuhl für Internationale Wirtschaft. Die weltwirtschaftliche Entwicklung beschäftigt ihn seit seinem Studium in den Siebzigerjahren. Bereits vor zehn Jahren schrieb er ein Buch über die Folgen des demographischen Wandels: „Vollbeschäftigt, das neue deutsche Jobwunder“.
Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er ist Volkswirt mit einem Lehrstuhl für Internationale Wirtschaft. Die weltwirtschaftliche Entwicklung beschäftigt ihn seit seinem Studium in den Siebzigerjahren. Bereits vor zehn Jahren schrieb er ein Buch über die Folgen des demographischen Wandels: „Vollbeschäftigt, das neue deutsche Jobwunder“.
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