KULTUR

Meinungsvielfalt in Post-Ost

Die russlanddeutsche Community ist viel bunter, als man glaubt, sagt Irina Peter. Sie ist Co-Host des Podcasts „Steppenkinder“ und so etwas wie die Stimme der Aussiedler-Community in Deutschland.

Text: Christoph Giesa

KULTUR

Meinungsvielfalt in Post-Ost

Die russlanddeutsche Community ist viel bunter, als man glaubt, sagt Irina Peter. Sie ist Co-Host des Podcasts „Steppenkinder“ und so etwas wie die Stimme der Aussiedler-Community in Deutschland.

Text: Christoph Giesa

Frau Peter, der Podcast „Steppenkinder“ dreht sich um die Unterschiede in der Gruppe der Russlanddeutschen. Das ist ganz schön unübersichtlich, wenn man von außen drauf schaut.

Das kann man so sehen. Doch die Unterschiede werden gar nicht wahrgenommen. Ein kleiner, aber umso lauterer Teil der Gruppe bekommt riesige Aufmerksamkeit und beschädigt das Ansehen aller.

Was meinen Sie damit genau?

Es gibt immer wieder Demonstrationen von russlanddeutschen und russischen Menschen in Deutschland, die sich gegen Putins Krieg in der Ukraine positionieren. In den Medien sind das allerdings eher Randnotizen, das dominierende Bild ist ein anderes. Mich ärgert es, wenn problematische Minderheitenpositionen eine deutlich überproportionale Aufmerksamkeit bekommen. Und bevor Sie an der Stelle nachfragen: Ja, ich bin davon überzeugt, dass der größte Teil der postsowjetischen Community hier in Deutschland gegen den Krieg ist. Ich kenne viele Menschen, die in der ehemaligen Sowjetunion geboren wurden, die sich mit ihren Sprachkenntnissen und darüber hinaus für die hierher geflüchteten ukrainischen Menschen engagieren. Die bekommen allerdings nicht die gleiche Wahrnehmung wie diejenigen, die mit Autokorsos und russischen Flaggen ihre Unterstützung für diesen Wahnsinn zeigen.

Was ist Ihre Erklärung für diese einseitige Aufmerksamkeit? Liegt das an den Medien?

Die Medien haben da sicherlich eine wichtige und nicht immer ruhmreiche Rolle, nicht erst seit Beginn des Kriegs in der Ukraine. Die Erzählung der besonders konservativen, besonders putintreuen oder rechtswählenden Russlanddeutschen ist schon einige Jahre älter und einer der wichtigsten Gründe, warum ich begonnen habe, mich gesellschaftlich zu engagieren.

 Das Bild des rechten Russland-deutschen ist überholt.
Irina Peter

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat viele Menschen wieder sehr politisiert, ganz unabhängig von ihrer Familiengeschichte. Gilt das in der Gruppe der Russlanddeutschen noch einmal besonders?

Gerade Menschen wie ich, die zur so genannten mitgebrachten Generation gehören, haben auch nicht mehr und nicht weniger Grund, sich gegen diesen Krieg zu positionieren als alle anderen Menschen in diesem Land auch. Die wenigsten von uns haben jemals in Russland gelebt. Wenn es eine Prägung vor der Übersiedlung gab, dann eine sowjetische oder eine kasachische. Viele sind nicht einmal russischsprachig in dem Sinne, dass sie Russisch im Alltag oder in der Familie verwenden.

Die Erwartungshaltung vonseiten der Gesellschaft, sich klar zu positionieren, ist gegenüber der Gruppe der Russlanddeutschen trotzdem da.

Klar. Aber das macht es ja nicht automatisch legitim. Ich habe das Gefühl, dass das auch mit diesem missverständlichen Begriff „Russlanddeutsche“ zu tun hat. Der bezieht sich ursprünglich auf das zaristische Russland, in das unsere Vorfahren damals ausgewandert sind und das über die Grenzen des heutigen Russlands hinausragte. Aber das weiß kaum jemand mehr. Die nötige Differenzierung fehlt. Das sorgt in der Community selbst zunehmend für Unmut.

Wie äußert sich der?

Bisher kann man das eher punktuell wahrnehmen. Aber dann mit Macht. Anfang November etwa wurde eine Dokumentation des SWR mit der „Goldenen Kartoffel“ ausgezeichnet, die ganz massiv das sowieso schon existente holzschnittartige Bild der Community bedient hat und keinen Unterschied zwischen Russlanddeutschen und russischen Staatsbürgern in Deutschland gemacht hat. Es ist einfach wichtig zu verstehen, dass Menschen, die aufgrund ihrer Deportationserfahrungen in der Sowjetunion nach Deutschland umsiedeln konnten, jüdische Kontingentflüchtlinge, russische Arbeitsmigrantinnen oder mit Deutschen verheiratete russische Staatsbürger komplett unterschiedliche Geschichten und Identitäten mitbringen.

Wenn man nun nach einem richtigen Sammelbegriff suchte, dann wäre der ...

Vermutlich postsowjetisch, oder „post-Ost“, wie es umgangssprachlich heißt. Da wird dann recht schnell deutlich, dass sich dahinter unterschiedliche Geschichten verbergen müssen.

Und doch kann man auch nicht wegdiskutieren, dass ein Teil der Community in den letzten Jahrzehnten einen eigenen Bezug zu Putins Russland hergestellt haben, den die Biografie so gar nicht hergibt.

Das stimmt. Aber wenn man diese Menschen danach fragt, wie es dazu kam, liegt die Antwort letztlich eher in Deutschland als in Russland. Wenn man aus der zusammenfallenden Sowjetunion, wo man immer „der Deutsche“ war, dann hierherkommt, um plötzlich als „der Russe“ gesehen zu werden, macht das etwas mit Menschen. Man wollte deutsch sein und war dann doch nicht deutsch genug. Wenn dann die Freunde selbst Migrationsgeschichte haben und man als einer von ihnen angesehen wird, ist es auch nicht besonders attraktiv, immer die deutsche Identität zu betonen – so habe ich das zumindest bei einigen Russlanddeutschen wahrgenommen. 

Also ist das vermeintlich pro Russische gar nicht der Kern der Sache, sondern eher die Abneigung gegen einen deutschen Staat, von dem man sich nie richtig angenommen gefühlt hat?

Zum Teil bestimmt. Es geht um Kränkungserfahrungen, diffuse, aber auch konkrete, wie etwa nicht anerkannte Bildungsabschlüsse nach der Übersiedlung. Und genau da setzt seit Jahren Putins Propaganda ganz gezielt und höchst effektiv an.

In Ihrer Podcast-Reihe beschäftigen Sie sich immer auch mit aktuellen Bezügen. Glauben Sie, dass man aus den Fehlern der 1990er- und 2000er-Jahre für heute etwas lernen kann?

Auf jeden Fall. Gerade aktuell etwa, im Umgang mit den geflüchteten Menschen aus der Ukraine. Es braucht, jenseits von Empathie und helfenden Händen, auch kreative neue Wege, die diesen Menschen ermöglichen, sich hier möglichst schnell ein neues Leben aufzubauen und ein Teil der Gesellschaft sein zu können. Da geht es beispielsweise auch um Sprache in bestimmten Berufen. Weniger das Beharren auf das Deutsche, mehr Offenheit auch für das Englische könnte da beispielsweise helfen.

Christoph Giesa ist Kolumnist und Publizist. Er lebt in Hamburg und arbeitet für verschiedene Tageszeitungen und Radiosender.

Christoph Giesa ist Kolumnist und Publizist. Er lebt in Hamburg und arbeitet für verschiedene Tageszeitungen und Radiosender.

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