JUDENHASS

Kunstfreiheit ist keine Ausrede für Antisemitismus

Kunst- und Kulturveranstaltungen wie die documenta wirken tief in die Gesellschaft hinein. Umso weniger ist dort Platz für Judenfeindlichkeit.

Text: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

JUDENHASS

Kunstfreiheit ist keine Ausrede für Antisemitismus

Kunst- und Kulturveranstaltungen wie die documenta wirken tief in die Gesellschaft hinein. Umso weniger ist dort Platz für Judenfeindlichkeit. 

Text: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Der Antisemitismus ist in Deutschland in vielfältiger Form präsent. Judenfeindliche Ressentiments, antisemitische Übergriffe gegen Jüdinnen und Juden und Beschädigungen jüdischer Einrichtungen wie vor Kurzem durch die Schüsse auf die Essener Synagoge sind leider an der Tagesordnung. Sie erschweren Jüdinnen und Juden das Leben in Deutschland. Trotz intensiver Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit und der Feiern von 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland 2021 ist Judenhass weit verbreitet. Die Kriminalitätsstatistik für 2021 dokumentiert erneut einen Höchststand antisemitischer Delikte. Und diese Vorfälle sind lediglich die Spitze eines Eisberges, unter dessen Oberfläche sich noch eine Vielzahl von Beleidigungen gegenüber Jüdinnen und Juden, Verwüstungen und Schändungen jüdischer Friedhöfe und Vorwürfe auf den Schulhöfen verbergen.

Aber auch der Kunst- und Kulturbereich ist nicht frei von Vorwürfen des Antisemitismus. Die documenta 15 im September 2022, die große Ausstellung gegenwärtiger Kunst mit weltweitem Ruf, führte mit ihrer antisemitisch verwandten Bildsprache auf Großplakaten und in Filmvorführungen zu einem auch über Deutschland hinaus wirkenden Skandal.

Es geht um die Existenz Israels

Leider ist das nicht das erste Mal in der Kunst- und Musikwelt. Beispielhaft seien nur manche Texte des deutschen GangstaRap erwähnt. Oder es sei an das mit einem Davidstern bemalte aufblasbare Plastikschwein erinnert, mit dem Roger Waters von „Pink Floyd“ bei Konzerten seine Kritik an der Finanzwelt bebilderte. Und daran, dass der gleiche Roger Waters die sogenannte BDS-Bewegung (Boykott, Deinvestment, Sanktion) massiv unterstützt, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will und bei der führende Vertreter offen das Existenzrecht Israels bestreiten und diesen Staat abschaffen wollen. Seit den 2000er-Jahren bilden Kulturboykotte einen wesentlichen Teil der BDS-Kampagne. Dabei drängen deren Aktivisten im Kulturbereich tätige Personen und Ensembles aus Drittländern zu Absagen ihrer Auftritte in Israel. Und leider fügen sich einige der ansonsten sehr auf ihre Unabhängigkeit bedachten Künstlerinnen und Künstler diesem Druck.

Zurück zur documneta 15. Bereits im Vorfeld waren die Veranstalter und das kuratierende Kollektiv Ruangrupa mit berechtigten Rassismus- und Antisemitismusvorwürfen konfrontiert worden, unter anderem auf dem Blog des „Kasseler Bündnisses gegen Antisemitismus“. Dennoch wurde ein sehr umstrittenes Werk des indonesischen Kollektivs Taring Padi ausgestellt. Auf dem bereits 20 ahre alten Großplakat sind eindeutig antisemitische Motive zu sehen. So sind auf dem schwarzen Hut eines Mannes, der scheinbar eine Schläfenlocke trägt, SS-Runen dargestellt. Ein weiterer Mann mit Schweinsnase wird als Angehöriger des Mossad ausgewiesen.

Für mich ist Antisemitismus Menschenfeindlichkeit, egal wo.
Josef Schuster

Nichts rechtfertigt Antisemitismus

Das Künstlerkollektiv hatte die Installation auf der documenta mit dem Argument verteidigt, dass Antisemitismus im indonesischen Kontext eine andere Bedeutung habe. Die Rechtfertigung der Gruppe zeugt entweder von Naivität, bewusster Schmähung oder Uneinsichtigkeit. Denn nichts kann diese Diffamierung von Jüdinnen und Juden rechtfertigen, auch keine nachkoloniale Erzählung. Das sind Ausflüchte, die in Deutschland nicht akzeptabel sind. Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz, auch nicht auf der documenta.

„Für mich ist Antisemitismus Menschenfeindlichkeit, egal wo“, so Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Interview mit der „Deutschen Welle“. „Es gibt natürlich Länder, in denen antijüdische, antiisraelische Stereotype leider gang und gäbe sind. In einem Land wie Deutschland, mit seiner Geschichte und seiner Verantwortung, darf das überhaupt nicht sein.“ Mit diesen Worten bringt Schuster die Debatte mit wenigen Worten auf den Punkt: Offenen Antisemitismus nicht zu erkennen und als Kunstfreiheit zu definieren, das ist auf der documenta passiert. Und das hat nicht nur der Kunstschau geschadet.

Leider wurde wie häufig reagiert – erst mit Abschwächungen, dann mit den Worten „Man wird doch noch mal sagen dürfen  …“ bis zur Kunstfreiheit, die mit solchen Darstellungen nur den Diskurs und das Hinterfragen ermöglichen wollte. Wieder wurde der Vorwurf des Antisemitismus nicht ernst genug genommen, obwohl doch bekannt ist, wie stark antisemitische Vorfälle in den letzten Jahren zugenommen haben. Nach andauernden Protesten wurde die Installation verhüllt und schlussendlich entfernt. Aber die Filmvorführungen mit antisemitischen Teilen blieben und wurden immer wieder aufgeführt. Gerade Kunst- und Kulturveranstaltungen wie die documenta wirken in die Gesellschaft mit der Vielfalt der künstlerischen Darstellungen und Performances hinein. Deshalb muss schon bei Planung und Auftragsvergabe alles getan werden, um Antisemitismus wie auch Rassismus auszuschließen. Es ist keine Kunst, Menschen zu verunglimpfen oder zu diskriminieren und das Unsagbare als erlaubt für sich zu reklamieren. Eine Kunst ist es, den berühmten Satz, den Schiller dem Marquis von Posa zuschreibt: „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“, im Sinne von Toleranz und Nächstenliebe und Achtung der Menschenwürde umzusetzen.

Keine Rückkehr zur Tagesordnung

Deshalb ist es so wichtig, den Blick der Öffentlichkeit auch auf diejenigen zu lenken, die Antisemitismus genauso rücksichtslos verbreiten wie die notorischen Judenhasser, die ihn aber geschickter ummänteln und rechtfertigen wollen. Es gibt keine Rechtfertigung für Antisemitismus, weder gesellschaftlich noch politisch noch künstlerisch. Auch der Liberale, der die hohen Werte der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit in sich trägt und sie verteidigt, kann und wird keine Zugeständnisse an die Feinde der Freiheit machen.

Um es ganz klar zu sagen: Kunstfreiheit ist nicht die Legitimation für Antisemitismus. Kunstfreiheit erlaubt eben nicht jede Demütigung oder Verletzung der Menschenwürde, denn nichts anderes ist Antisemitismus. Auch Kunstfreiheit rechtfertigt nicht jede Form verletzender Darstellung. Und auch die Kunstfreiheit muss sich daran ausrichten, was das schlimmste Menschheitsverbrechen uns bis heute als Verantwortung überträgt. Verunglimpfung von Juden, Bedienen von Stereotypen, Relativieren der Shoah sind inakzeptabel.

Nach der documenta 15 kann nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden. Es gibt einiges zu klären, um zukünftig nicht wieder in vergleichbare Situationen zu kommen. Dazu gehört, ob das Verfahren zur Themenbestimmung und die Auswahl der Kuratoren geändert werden müssen, welche Fehler von den Verantwortlichen gemacht wurden und warum zu spät reagiert wurde. Es ist auch notwendig, sich mit dem Einfluss des BDS auf verschiedene Kulturbereiche zu befassen und darüber zu diskutieren, wie andockfähig israelbezogener Antisemitismus, aber auch relativierende Ansätze der postkolonialen Theorien im Bereich der Kultur wirken.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende
Vorsitzende des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende
Vorsitzende des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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