Schwierige Zukunft: die Veteranen
Nicolai (36 Jahre), Rostan (36) und Vadim (19) (v.l.n.r.)

Ukraine

Ein Leben
nach dem Krieg

Seit fast 20 Monaten wütet der Krieg in der Ukraine, schafft Zerstörung, Tod – und traumatisierte Menschen. Wie sollen die ukrainischen Veteraninnen und Veteranen jemals wieder in die Normalität zurückfinden?

Text: Alexander Kloß

Schwierige Zukunft: die Veteranen
Nicolai (36 Jahre), Rostan (36) und Vadim (19) (v.l.n.r.)

Ukraine

Ein Leben
nach dem Krieg

Seit fast 20 Monaten wütet der Krieg in der Ukraine, schafft Zerstörung, Tod – und traumatisierte Menschen. Wie sollen die ukrainischen Veteraninnen und Veteranen jemals wieder in die Normalität zurückfinden?

Text: Alexander Kloß

Nachdem Kiew die erste russische Angriffswelle im vergangenen Jahr zurückgeschlagen hatte, führt die ukrainische Gegenoffensive in ein langsames Gemetzel. Doch auch wenn der Krieg eines Tages endet, sind viele Probleme längst nicht gelöst. Gewissermaßen fangen sie erst an.

Denn neben dem Jahrhundertprojekt Wiederaufbau gilt es vor allem jene wieder in die Gesellschaft einzugliedern, die an der Front ihr Leben riskiert haben: die Veteranen. Aktuell gibt es in der Ukraine mehr als eine halbe Million Veteranen, staatlich anerkannte Kriegsrückkehrer. Mehr als 85 Prozent von ihnen stammen aus dem seit 2014 geführten Verteidigungskrieg gegen Russland, der Rest kämpfte im sowjetischen Afghanistankrieg, im Irak, in anderen internationalen Einsätzen oder im Zweiten Weltkrieg. Auch die „Liquidatoren“ zählen dazu, die nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl mit der Eindämmung der Strahlenverseuchung beauftragt waren. Doch all diese Zahlen verblassen im Vergleich zur Veteranenwelle, die noch bevorsteht.

Die ukrainische Ministerin für Veteranenangelegenheiten, Yulia Laputina, schätzt, dass sich die Zahl der Kriegsrückkehrer im Land bis Kriegsende verachtfachen wird. Mit vier Millionen Veteranen bei nunmehr weniger als 40 Millionen Einwohnern wäre das der höchste Bevölkerungsanteil weltweit. Dafür wurde 2018 Laputinas Ministerium gegründet, mit einem Budget von umgerechnet 33 Millionen Euro.

Da er das Gefühl hatte, dass in der Ukraine zu wenig für die Veteranen getan wird, gründete der Militärpsychologe Artem Denissow 2018 das Veterans Hub in Kiew. Mithilfe der Stiftung wollte er Kriegsrückkehrern einen sicheren Raum bieten, um ihre Erfahrung mit geschultem Personal zu teilen, eine Wohnung und Arbeit zu finden oder sich mit Kameraden auszutauschen. Die Räume des Veterans Hub in Kiew und der Stadt Winnyzja im Südwesten des Landes sind weitläufig und lichtdurchflutet. Im Eingangsbereich hängen Abzeichen und Aufnäher verschiedener Bataillone.

Depressive Veteranen

Doch obwohl der gelernte Psychologe selbst als Freiwilliger im Krieg diente, fühlt er sich schuldig. „Weil ich in Sicherheit bin, während meine Kameraden an der Front kämpfen.“ Oft denkt er an Szenen aus dem Krieg zurück. An verletzte Frontkämpfer beispielsweise, die nicht gerettet werden konnten. „Ich besuche selbst einen Therapeuten“, sagt er.

Laut dem ukrainischen Veteranenministerium tun sich viele ehemalige Soldaten damit schwer, nach Hilfe zu fragen, und fühlen sich deshalb mit ihren Problemen alleingelassen. Hilfeleistungen, auf die sie Anspruch hätten, wie Wohnungsgeld oder Rehabilitation, nutzten sie nicht. Viele Veteranen litten unter Depressionen, was sich auf die Familie auswirke. Dies spiegelt auch die Erfahrung des Veterans Hub wider: Etwa die Hälfte der Hilfesuchenden sind nicht die unmittelbar Betroffenen, sondern Angehörige.

Eine vom Ministerium in Auftrag gegebene Studie vom August 2022 zeigt, dass 60 Prozent der Veteranen des Ukraine-Krieges seit 2014 nach ihrem Einsatz weiter im Militär verbleiben. Nur jeder Siebte geht einem zivilen Beruf nach. Oft blieben die Veteranen unter sich, da das Misstrauen gegenüber Fremden zu groß sei. Dies führt laut einer Studie des deutschen Global Public Policy Institutes (GPPi) wiederum zur sozialen Abspaltung und Marginalisierung der Veteranen.

 Sie brauchen Intimität und oft auch eine Umarmung – das geht online nicht.
Arina Rozwadowski

Eine jener wenigen außenstehenden Zivilistinnen, die es geschafft haben, engen Kontakt mit Veteranen aufzubauen, ist Arina Rozwadowski. Wie Denissow ist sie ausgebildete Psychologin und auf den Umgang mit Soldaten und Binnenflüchtlingen spezialisiert. Sie bietet ihnen kostenlose Therapie an. Die meisten dieser Patienten kämen auf Empfehlung ihrer Kameraden, sagt sie. Nur so hätten sie das nötige Vertrauen, sich zu melden. Normalerweise halte sie ihre Sitzungen online ab, aber Veteranen treffe sie in der Regel persönlich. „Sie brauchen Intimität und oft auch eine Umarmung – das geht online nicht.“ Dafür nutzt sie eine spärlich eingerichtete Wohnung im Herzen der Kiewer Innenstadt.

Ein Teil des Problems liegt laut Arina darin, dass die Ukraine immer noch in alten Denkweisen gefangen ist. Es sei unüblich, zum Psychologen zu gehen. „Man schämt sich dafür“, sagt sie. „In der Sowjetunion wurde unser Fach lange nicht als Wissenschaft anerkannt.“

Scham der Betroffenen

In den Krankenhäusern gebe es deshalb selten die nötigen Mittel, um die Traumata der Soldaten aufzuarbeiten. „Die Veteranen werden dort wie am Fließband abgefertigt“, so Arina.

Nahezu alle Beteiligten sind sich einig, dass es eine Wende in der ukrainischen Veteranenpolitik geben muss. Doch diese Quadratur des Kreises muss Kiew gelingen, um eine verlorene Generation zu verhindern. Solch eine Wende in der Veteranenpolitik benötigt laut den Erkenntnissen des GPPi vor allem zwei Schalthebel: einerseits eine bessere finanzielle Ausstattung für das Ministerium und gesellschaftliche Projekte. Andererseits müssen Betroffene tatsächlich in die Gesellschaft eingebunden werden, um soziale Spaltung zu verhindern und Radikalisierungstendenzen zu unterbinden.

Zumindest beim zweiten Punkt könne jeder schon jetzt seinen Teil beitragen, findet Arina. „Selbst der Nachbar, der anbietet, gemeinsam Wodka zu trinken, kann bei der Bewältigung helfen.“ Wichtig sei, den Veteranen aufzuzeigen, dass sie nicht allein sind – und dass die Gesellschaft sie wertschätzt. Denn letztlich teilen sie den gleichen Traum wie nahezu alle Ukrainerinnen und Ukrainer: dass ihr Einsatz an der Front bald nicht mehr nötig sein wird und sie in Frieden leben können.

Alexander Kloß arbeitet als freier Journalist in Berlin. Als Osteuropa-Redakteur des „Tagesspiegel“ berichtete er aus der Ukraine, aus Moldau und dem Kaukasus. Er war außerdem als Reporter für die Nachrichtenagentur Reuters tätig.

Alexander Kloß arbeitet als freier Journalist in Berlin. Als Osteuropa-Redakteur des „Tagesspiegel“ berichtete er aus der Ukraine, aus Moldau und dem Kaukasus. Er war außerdem als Reporter für die Nachrichtenagentur Reuters tätig.

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