Wahl in Polen

Wenn zwei
sich streiten …

Polen ist zwischen zwei politischen Blöcken immer stärker polarisiert. Wer das glaubt, irrt: Viele jüngere Wählerinnen und Wähler haben die konservative PiS und die liberale Bürgerplattform satt. Von den Wahlen am 15. Oktober könnte eine dritte Partei profitieren.

Text: Mirosław Wlekły / Aus dem Polnischen
von Benjamin Voelkel

Krzysztof Bosak, Chef der Partei Konfederacja, bei einer Wahlkampfveranstaltung. 

Wahl in Polen

Wenn zwei
sich streiten …

Polen ist zwischen zwei politischen Blöcken immer stärker polarisiert. Wer das glaubt, irrt: Viele jüngere Wählerinnen und Wähler haben die konservative PiS und die liberale Bürgerplattform satt. Von den Wahlen am 15. Oktober könnte eine dritte Partei profitieren.

Text: Alexander Görlach


Tomek ist 31 Jahre alt und lebt in Gołdap, direkt an der Grenze zur Oblast Kaliningrad, also zu Russland. Er ist noch nie wählen gegangen, weil es ihm nicht so wichtig war. Diesmal will er gehen. Denn er hat die Nase voll von den ständigen Kämpfen und Rivalitäten zwischen den Leuten von Jarosław Kaczyński und Donald Tusk. An andere Spitzenpolitiker, die Polen regierten, kann er sich nicht erinnern. Die abwechselnde Regierung dieser beiden Parteien bezeichnet er als Seilschaft. 

Obwohl die Wahl zwischen der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Jarosław Kaczyński und der Bürgerplattform (PO), der größten Gruppierung des Wahlbündnisses Bürgerplattform von Donald Tusk, für viele Menschen wie selbstverständlich erscheint, geben heute in Umfragen kaum mehr als zwei Drittel der Polinnen und Polen an, einer der beiden Parteien ihre Stimme geben zu wollen. Vor den letzten Parlamentswahlen 2019 haben sich noch mehr als 76 Prozent der Befragten für das Duopol ausgesprochen.

Seit 2005 haben die beiden Parteien die politische Landschaft immer stärker polarisiert, was zu Zwietracht in Familien und unter Freunden führte. PiS-Chef Jarosław Kaczyński ist heute 74 Jahre alt, sein Kontrahent Donald Tusk 66.

Hoffnung auf Wandel

Im Wahlkampf stellt sich die PiS hauptsächlich als Bollwerk gegen die Opposition dar, die Polen ein schreckliches Schicksal bereiten werde: Sie wolle Sozialleistungen für Kinder streichen oder das Renteneintrittsalter stark erhöhen.

Seit Beginn des Wahlkampfes versuchen sich die Parteien PiS und PO in sozialen Fragen zu überbieten. Die Regierung beschloss, den Polen zu den Ferien kostenlose Autobahnen zu schenken – profitiert haben davon aber eher die Wohlhabenderen als die Ärmeren. Als die Regierung die Erhöhung der finanziellen Leistungen für Kinder, des sogenannten 500 plus, auf 800 plus für 2024 ankündigte, erklärte Donald Tusk umgehend, sie sollten schon jetzt angehoben werden.

Doch solche Sozialversprechen verfangen immer weniger bei den Polen. Immer mehr von ihnen, besonders unter den jungen Menschen, möchten nicht, dass der Staat sich nimmt, um dann zu verteilen. Von der Rückkehr zu einer neoliberalen Politik, wie sie Polen in den 1990er-Jahren vorschwebte, ist vielerorts die Rede. Die Hoffnungslosigkeit und Frustration – ausgelöst von der Covid-19-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und der Teuerung – verwandeln sich immer öfter in Wut auf den gegenwärtigen Regierungsstil.

„Für wen?! Na, für die Konfederacja!“, antwortet Tomek empört auf die Frage, für wen er stimmen wird. Eine andere Wahl, so meint er, habe er nicht.

Die Umfragewerte für die Populisten der Partei Konfederacja (Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit) erreichen schon bis zu 15 Prozent. Sie ist im Verlauf weniger Monate dieses Jahres zur drittstärksten Kraft in der polnischen Politik aufgestiegen. Gerade unter jungen Menschen ist sie populär – in Umfragen spricht sich jeder dritte von ihnen für die neue Partei aus.

Soziale Versprechungen verfangen oft nicht mehr.

Umstrittene Konföderation

Im Allgemeinen verbindet man die Partei Konfederacja mit den Nationalisten, mit der Parole „Polen den Polen“, mit Hooligans und teils gewalttätigen „Unabhängigkeitsmärschen“ in Warschau. Doch das erklärt nicht den Erfolg der Partei. Im Vordergrund steht nämlich ihr extrem liberaler Ansatz in wirtschaftlichen Fragen.

Die jungen Polen, von denen die Mehrzahl heute die Konföderation wählen möchte, versichern zwar, dass sie sich vielen universellen und traditionell als wichtig angesehenen Werten verbunden fühlen, doch diese haben mehr mit persönlichem Glück zu tun als mit politischen Ideen. Studien zufolge sind Liebe, Gesundheit, Familie und Freundschaft die wichtigsten Werte für die jungen Menschen. Traditionelle Werte wie Glaube und Gott, Ehre, Vaterland, Patriotismus, Prestige, Macht und Politik sind hingegen von geringer Bedeutung. Auch betrachten die jüngeren Polen solche traditionellen Werte nicht als Gegensatz zu Toleranz, weshalb sie stramm rechte Ideen wie den Austritt aus der EU oder die Einschränkungen von LGBT-Rechten ablehnen. Stattdessen beklagen sie die Inflation und die Lebenshaltungskosten, sprechen sich für Steuersenkungen und für die Lockerung des Abtreibungsverbots aus. Auch die Trennung zwischen Staat und Kirche ist für sie sehr wichtig.

Bei ihrem Versuch, den Konservativen die Macht zu entreißen, griff die PO auch zu rechten Argumenten. Immer öfter gab sie sich patriotisch und bemühte die weiß-roten Landesfarben.

Vor allem das Thema Migration führt zu heftigen Auseinandersetzungen. Im Sommer wies Donald Tusk nach, dass die Anzahl an Arbeitsmigranten unter der PiS-Regierung ein Vielfaches größer sei als zur Zeit seiner Regierung wenige Jahre zuvor. Die PO wirft der Regierung zudem vor, heimlich massenhaft Migranten von außerhalb der EU ins Land zu holen und dann der EU die Schuld an der Einwanderung zuzuweisen. In einem inzwischen berühmten Tweet vom 2. Juli warnte Tusk auf Twitter gar vor einer Flut an Einwanderern.

Die PiS wiederum schürt Ängste vor dem EU-Asylpaket und ruft zeitgleich mit der Parlamentswahl zum Referendum auf, bei dem es unter anderem um diese Frage geht: „Unterstützt du die Aufnahme von Tausenden illegalen Einwanderern aus dem Nahen Osten und Afrika, wie sie der von der europäischen Bürokratie auferlegte Zwangsaufnahmemechanismus vorsieht?“ Dabei hatte die EU-Kommission schon erklärt, dass Polen wegen einer Million Geflüchteter aus der Ukraine von der Aufnahmeverpflichtung befreit werden kann.

Feindbild Deutschland

Dabei fügt die Auseinandersetzung mit Europa noch einen weiteren Aspekt hinzu, den Umgang mit Deutschland. Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), hatte im ZDF gesagt, dass „jede Partei den Rechtsstaat akzeptieren“ müsse und die Partei Jarosław Kaczyńskis deshalb von der EVP „bekämpft“ werde. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki reagierte scharf auf diese Äußerung. Für die PiS war ausgemacht, dass Oppositionsführer Donald Tusk neben seinen Diensten für Russland obendrein ein Vertreter deutscher Interessen sei. Das ist ein weiterer Fall antideutscher Stimmungsmache der Regierung, die seit September vergangenen Jahres Reparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro für die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Verluste fordert.

Auch dieses Thema wird im Wahlkampf immer aggressiver vorgetragen. Um das polnische Parlament, den Sejm, fuhr lange Zeit ein Auto mit einem Anhänger, auf dem eine Plakatwand vor einer neuen Regierung Tusk warnte. Und auf dem Platz vor der überfülltesten U-Bahn-Station Warschaus werden Unterschriften für Reparationen aus Deutschland gesammelt.

Die PiS hat weiterhin stabile Umfragewerte, aber dennoch könnten ihr wenige Prozentpunkte fehlen, um selbstständig regieren zu können. Dann könnten die kleineren Parteien wie die linke „Lewica“ und „Der Dritte Weg“ zum Zünglein an der Waage werden. Oder die Konföderierten.

Mirosław Wlekły ist Reporter, Schriftsteller und Sachbuchautor. In seinem Buch „Gareth Jones“ geht es um den Völkermord des Holodomor in der Ukraine.

Mirosław Wlekły ist Reporter, Schriftsteller und Sachbuchautor. In seinem Buch „Gareth Jones“ geht es um den Völkermord des Holodomor in der Ukraine.

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