Datenschutz

Gegen Spione
helfen nur
Gerichte und
Verschlüsselung

Zehn Jahre nach den Enthüllungen von Edward Snowden hat sich -an der Abhörpraxis der Geheimdienste nichts geändert.

Text: Markus Beckedahl


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Gegen Spione helfen nur Gerichte und Verschlüsselung

Zehn Jahre nach den Enthüllungen von Edward Snowden hat sich -an der Abhörpraxis der Geheimdienste nichts geändert.

Interview: Katharina Rudolph


Anfang Juni 2013 begannen die Snowden-Enthüllungen. Edward Snowden hatte in seiner mehrjährigen Arbeit bei der NSA und einem für den US-Geheimdienst arbeitenden Dienstleister eine Vielzahl von Dokumenten gesammelt und an die beiden Journalisten Glenn Greenwald und Laura Poitras übergeben. Kurz nach dem Start der Enthüllungen versuchte er aus Hongkong zu fliehen und landete in Moskau. Dort sitzt er seitdem fest. Würde er in ein anderes Land reisen, liefe er Gefahr, für seine Taten als Whistleblower für immer in einem US-Gefängnis zu landen.

Für viele kamen seine Enthüllungen wie eine große Überraschung, dabei war es offensichtlich: Geheimdienste, die teils über riesige Ressourcen verfügen und wenig demokratischer Aufsicht unterliegen, erfüllen ihre Aufgabe auch in Zeiten des Netzes und praktizieren eine globale anlasslose Massenüberwachung. Die Ziele gaben die jeweiligen Regierungen vor: Möglichst alles überwachen, was geht. Und seinerzeit ging sehr viel.

Snowdens Enthüllungen hatten eine Vorgeschichte, an die sich aber nur wenige erinnerten: Bereits Ende der 1990er-Jahre gab es mit den Echelon-Aufdeckungen einen Vorgänger-NSA-Skandal. Damals hatten investigative Journalisten offengelegt, dass das „Five Eyes“-Netzwerk von USA, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien nach dem Ende des Kalten Krieges den Aktionsraum und die Aufgaben der Geheimdienste geändert hatten. Sie überwachten nun die gesamte Welt, auch zum Zweck der Industriespionage. Das kommunizierte Ziel war aber immer noch der Kampf gegen den Terrorismus.

Massenüberwachung wie auf Steroiden

Das EU-Parlament richtete einen Untersuchungsausschuss ein. Dieser legte kurz nach dem 11. September 2001 seinen Abschlussbericht vor, der aber niemanden mehr interessierte. Stattdessen ging die anlasslose Massenüberwachung wie auf Steroiden weiter. Es gab noch mehr Geld und noch mehr Freiheiten für die Geheimdienste, alles zu überwachen und zu hacken, was möglich war. Solange es nicht den eigenen Staat betraf oder man sich nicht erwischen ließ.

Es war ja auch einfach. Verschlüsselung wurde kaum mitgedacht und galt eher als zusätzlicher Kostenfaktor. Alles, was nicht verschlüsselt übermittelt wurde, ließ sich an zen-tralen Datenknoten von Datenstaubsaugern abgreifen und rastern, um womöglich für immer gespeichert zu werden.

Viele Regierungen betrachteten die Enthüllungen eher als Machbarkeitsanalyse denn als Warnung.

Bereits der Start der Snowden-Enthüllungen offenbarte das System einer globalen Vorratsdatenspeicherung. Schon seit Ende der 1990er-Jahre hatten westliche Geheimdienste massiv dafür lobbyiert, dass Telekommunikationsunternehmen die Verbindungsdaten speichern mussten – also wer mit wem wann und wo telefoniert. Die EU schaffte 2004 per Richtlinie die passende Gesetzgebung, die seitdem mehrfach von Verfassungsgerichten für illegal erklärt wurde.

Eine der ersten Enthüllungen offenbarte das PRISM-Programm. Mit ihm verschafften sich US-Geheimdienste direkt Zugang zu den Nutzerdatenbanken der großen US-Plattformen, die seinerzeit schon die globale Netzwelt dominierten. Darüber durfte nicht gesprochen werden, die Überwachungsanordnungen wurden durch Geheimgerichte legitimiert.

Diese Offenlegungen beeinflussten spätere Gerichtsurteile. Aufgrund dieser Praxis hat der Europäische Gerichtshof bereits zweimal entschieden, dass Daten-Transferabkommen zwischen der EU und den USA nicht legal sind, weil in den USA der Datenschutz europäischer Bürgerinnen und Bürger nicht gewährleistet werden kann.

Die Folgen der Snowden-Enthüllungen sind immer noch zu sehen. Leider wurde zu einem Teil das wahr, was Kritiker schon seinerzeit befürchtet hatten: Die Aufdeckungen wurden von vielen Regierungen mehr als Machbarkeitsanalyse und weniger als Warnung gesehen. Wenn die anderen das einsetzen, dann möchte man diese Spielzeuge auch haben.

Die deutsche Bundesregierung versuchte erst mal zu suggerieren, dass sie davon nur aus der  Zeitung wisse. Es gab einen kurzen Aufschrei – auch von sehr konservativer Seite –, als bekannt wurde, dass sogar das Handy der Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört wurde. US-Präsident Barack Obama kam nach Deutschland, um ihr zu versprechen, dass man dies nicht mehr machen wolle. Ein Versprechen, was deshalb einfach zu geben war, weil man auf dieses Handy auch verzichten konnte, wenn man alle anderen Handys drum herum abhörte. Weitere „No-Spy-Abkommen“ gab es nicht.

Ein NSA-Untersuchungsausschuss wurde im Bundestag eingerichtet, der sich mangels Kooperationsinteresse vonseiten der US-Amerikaner damit beschäftigte, was unsere eigenen Geheimdienste, das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst denn so getrieben hatten.

Knietief im Sumpf von NSA und Co.

Der Untersuchungsausschuss und begleitende journalistische Recherchen stießen dabei in ein Wespennest. Unsere Geheimdienste standen entgegen öffentlicher Aussagen mindestens knietief mit im NSA-Überwachungssumpf und hatten mehrfach willentlich das Grundgesetz gebrochen, das sie eigentlich schützen sollten. Oder zumindest anders interpretiert, wie ihre Juristen verklausuliert erklärten. Da wurde unter anderem die Weltraumtheorie erfunden, nach der das Grundgesetz mit seinen Einschränkungen ja nur auf der Erde wirke. Alles in der Luft, wie zum Beispiel Satellitenkommunikation, dürfe man selbstverständlich überwachen.

 Entgegen öffentlicher Aussagen brachen unsere Geheimdienste das Grundgesetz, das sie schützen sollten.

Die anschließende Reform des BND-Gesetzes durch die damalige Große Koalition legalisierte alle verfassungswidrigen Praktiken und weitete sie sogar aus. Es gab noch mehr anlasslose Massenüberwachung und Hacking-Erlaubnisse, zumindest aber unter einem legalen Deckmantel – bis das Bundesverfassungsgericht wieder einen guten Teil davon für verfassungswidrig erklärte.

Die anschließende Reform des BND-Gesetzes durch die damalige Große Koalition legalisierte alle verfassungswidrigen Praktiken und weitete sie sogar aus. Es gab noch mehr anlasslose Massenüberwachung und Hacking-Erlaubnisse, zumindest aber unter einem legalen Deckmantel – bis das Bundesverfassungsgericht wieder einen guten Teil davon für verfassungswidrig erklärte.

Eine erneute Reform brachte dann wieder mehr Überwachungsbefugnisse. Der BND darf jetzt Staatstrojaner, also spezielle Spähsoftware einsetzen, um Informationen zu sammeln. Außerdem speichert er nun wieder sechs Monate lang Vorratsdaten. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht die frühere sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt, aber nun darf der BND zumindest „Maschine-zu-Maschine“-Kommunikation speichern. Nach den Erfahrungen mit der Weltraumtheorie muss man davon ausgehen, dass damit jede Kommunikation über Apps gemeint ist – und folglich die Informationen, wo die Telefone gerade sein könnten und mit wem sie kommunizieren.

Die Verabschiedung der EU-Datenschutzgrundverordnung im Juli 2023 stand im Zeichen der Enthüllungen. Zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes gegen EU-US-Datenaustauschabkommen (Schrems I und II) verwiesen auf PRISM und Co., um Daten besser zu schützen – denn Informationen von Europäern und natürlich allen anderen Nicht-US-Amerikanern gelten in den USA als vogelfrei und werden selbstverständlich gerastert, gespeichert und möglicherweise irgendwann gegen sie verwendet.

Im Juli 2023 beschloss die EU-Kommission mit dem Data Privacy Framework den dritten Versuch eines gemeinsamen Datenschutzrahmens. Der Europäische Gerichtshof wird auch darüber wieder zu urteilen haben. An den grundlegenden Kritikpunkten hat sich wenig geändert.

Dagegen schützen nur Verfassungsgerichte und Verschlüsselung. Letzteres wird zum Glück endlich mitgedacht.

Markus Beckedahl ist netzpolitischer Aktivist und Journalist in Berlin und schreibt über Themen der digitalen Gesellschaft. Er gründete den Blog Netzpolitik.org und initiierte die re:publica-Konferenz.

Markus Beckedahl ist netzpolitischer Aktivist und Journalist in Berlin und schreibt über Themen der digitalen Gesellschaft. Er gründete den Blog Netzpolitik.org und initiierte die re:publica-Konferenz.

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