Kunst & Erinnerung
Mit seiner Austellung „New York 9/11“ in Leipzig bietet der Künstler
Yadegar Asisi einen besonderen und sehr emotionalen Zugang zu den Terroranschlägen in New York.
Text: Axel Novak
Kunst & Erinnerung
Mit seiner Austellung „New York 9/11“ in Leipzig bietet der Künstler Yadegar Asisi einen besonderen und sehr emotionalen Zugang zu den Terroranschlägen in New York.
Text: Axel Novak
New York, 8.41 Uhr: Die Stadt liegt friedlich in der morgendlichen Spätsommersonne. Das Leben brodelt, Menschenmassen sind auf dem Weg in ihre Büros, der Berufsverkehr quält sich durch die Straßen, Touristen strömen vor das World Trade Center. Alltag am 11. September 2001 in New York.
Der 11. September 2001 hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Und vermutlich kann jeder exakt Auskunft darüber geben, an welchem Ort er damals war, als er vom Anschlag erfuhr. Ein Drittel der Weltbevölkerung, heißt es heute, hat die Attentate live gesehen.
Mit diesem im Grunde banalen Blick auf die Weltstadt New York schafft der Architekt und Künstler Yadegar Asisi einen hochemotionalen Zugang zu einem Terroranschlag, der wie kaum ein anderer unsere Gegenwart verändert hat. Denn die Szenerie zeigt die Stadt, fünf Minuten bevor ein Flugzeug im Nordturm des World Trade Centers einschlägt. Der Angriff auf die USA beginnt – und wenig später der Krieg gegen den Terror, in dessen Verlauf fast eine Million Menschen getötet werden. Darum geht es bei der Ausstellung „New York 9/11 – Krieg in Zeiten von Frieden“, die bis mindestens Ende des Jahres im Leipziger „Panometer“ zu sehen ist. Mit einem überdimensionalen Panorama zeigen Asisi und sein Team, wie New York im Moment vor der Apokalypse aussah.
Mit seinen monumentalen
Panoramen schafft Yadegar Asisi
spezielle Erlebnisse in 3D
– nun zum wiederholten Mal in Leipzig.
Der 11. September 2001 hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Und vermutlich kann jeder exakt Auskunft darüber geben, an welchem Ort er damals war, als er vom Anschlag erfuhr. Ein Drittel der Weltbevölkerung, heißt es heute, hat die Attentate live gesehen.
Von „Blitzlichterinnerung“ sprechen Psychologen, wenn das Gehirn emotionale, detailreiche Erinnerungen an Ereignisse immer wieder aus den Tiefen des Gedächtnisses hervorholt. Ob man will oder nicht. Die Ermordung von John F. Kennedy. Die Bilder von der Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Oder im aktuellen Krieg der Russen in der Ukraine die Bilder der Toten in Butscha. Diese Bilder werden drängender, je häufiger man sich an sie erinnert und über sie spricht. Dazu gehören auch die Bilder der brennenden Türme, aus denen Menschen aus der Höhe stürzen.
Asisi aber verzichtet in seiner Installation auf diese Bilder und zeigt stattdessen den Moment vor dem Anschlag. „Die Bilder haben wir alle im Kopf. Die kommen von allein. Mit der Konzen-
tration auf diesen einen Augenblick will ich eine Gefühlsebene schaffen“, sagt er. Die bloße Vorstellung des Angriffs sei viel mächtiger und emotionaler, als es ein Abbild sein könne. Für das gewaltige 360-Grad-Pa-norama ließ er Straßenszenen in einem Berliner Studio nachträglich mit Komparsen fotografieren.
Angst vor dem Terror
Es gibt mittlerweile mehrere Ausstellungen und Museen zu den Ereignissen vom 11. September. Die wohl wichtigste Institution ist das „National September 11 Memorial Museum“. Am historischen Ort in Manhattan zeigt es den Anschlag in all seinen Facetten, kulturell, politisch und ökonomisch. Unendlich viele Details erzählen von dem Tag, von der Vorbereitung des Anschlags, von den Rettungsmaßnahmen und den vielen Menschen, die damals gestorben sind.
Die politischen Auswirkungen von 9/11 beschäftigen uns noch heute. Nach den Kriegen in Afghanistan und im Irak schwelen die Konflikte in den Regionen weiter. In den westlichen Ländern hat sich Angst vor Terror breitgemacht, die Euphorie der Globalisierung und der internationalen Zusammenarbeit ist einer großen Verunsicherung gewichen. Sorgen um die gesellschaftlichen Umbrüche prägen die politische Diskussion. Eine massiv verschärfte Sicherheitspolitik ist eine der Antworten darauf.
Die Ausstellung in Leipzig bietet dazu einen ganz eigenen Zugang: den Blick zurück mit dem Wissen danach. Für Asisi ist „New York 9/11“ das vierte Projekt, bei dem er sich mit den Zerstörungen und dem Wahnsinn des Krieges beschäftigt. Zuvor liefen „Die Mauer“, „Leipzig 1813“ und „Dresden 1945“. Und weil die Auswirkungen der Anschläge so fundamental sind, lässt Asisi die Besucherinnen und Besucher auch nicht sofort zum trügerisch friedlichen Großbild gehen. Sondern sie bleiben vorerst auf dem Boden vor dem Panorama und passieren eine Ausstellung.
Eigenständige Installationen versetzen die Menschen aus der Gegenwart in die Zeit zurück: Ein nachgebautes Wohnzimmer zeigt Projektionen der Kriegsreden westlicher Politiker. Ein massiver Grenzzaun wird zur Reaktion des Westens auf Fluchtbewegungen, die mit den Kriegen entstehen. Zwei 22 Meter hohe, vergoldete Türme machen das Ausmaß der Kosten erfahrbar, die die Kriege nach dem 9. September gekostet haben. „Wir haben uns entschieden, zwei Türme zu bauen, die den Zwillingstürmen ähnlich sehen – dargestellt in Gold“, erläutert Asisi. Die Gebilde mitten im Gasometer stehen symbolisch für ein Zehntel der Summen, die die Kriege in Afghanistan und Irak gekostet haben.
Erst nach dem Rundgang durch diese Räume gelangt man zur Aussichtsplattform vor dem großen Panorama. Der Blick schweift durch die Bäume des Friedhofs der Kirche St. Pauls Chapel, über die Grabsteine und hinüber zum Zaun, hinter dem der typische New Yorker Alltagstrubel stattfindet. Weit oben ragen die beiden Hochhäuser in den hellblauen Himmel. Wenige Minuten später wird ein Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers einschlagen. Und die Welt, die wir kannten, für immer verändern.
Axel Novak arbeitet als Journalist in Berlin und Brandenburg. Die Anschläge vom 11. September verfolgte er fassungslos aus dem Büro der „Financial Times Deutschland“.
Axel Novak arbeitet als Journalist in Berlin und Brandenburg. Die Anschläge vom 11. September verfolgte er fassungslos aus dem Büro der „Financial Times Deutschland“.
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