Isa Genzken in ihrem Studio: Eigentlich sind ihre Kunstwerke Selbstporträts, sagte sie einmal.

In der Gegenwart

„Meine Antennen
sind Fühler“

Isa Genzken ist eine der wichtigsten Künstlerinnen in Deutschland.
Seit fünf Jahrzehnten benutzt sie die ganze Gegenwart als Material.
Über eine Künstlerin mit Mut und erstaunlicher Weitsicht. 

Text: Philipp Hindahl

In der Gegenwart

„Meine Antennen
sind Fühler“

Isa Genzken ist eine der wichtigsten Künstlerinnen in Deutschland.
Seit fünf Jahrzehnten benutzt sie die ganze Gegenwart als Material.
Über eine Künstlerin mit Mut und erstaunlicher Weitsicht.

Text: Philipp Hindahl

Wenn man versuchen wollte, ein Bild für Isa Genzkens Tätigkeit zu finden, dann wäre die Antenne nicht das schlechteste. „Weltempfänger“ heißt eine Serie von ihr, das sind in Beton gegossene Radios, aus denen meist zwei Drähte ragen: senden und empfangen. Wie versteinerte Insekten sehen diese Objekte aus. 1984 machte die Künstlerin die Arbeit „Mein Gehirn“, eine Gipsnachbildung ihres Gehirns, aus dem ein Draht ragt. Zu jener Zeit war Genzken schon in der Mitte ihrer Karriere.

Damit ist man schon mittendrin in ihrer Geschichte: Genzken, 1948 in Bad Oldesloe geboren, studierte Kunst und Philosophie in Düsseldorf und Köln. Hier landeten die Minimalismus- und Fluxus-Künstlerinnen und -Künstler aus den USA als Erstes. Im Sommer 1973 führte Genzken die „Instructions for a Mental Exercise“ aus. Sie lag auf dem Boden der Galerie Konrad Fischer, mit weit offenen Augen. Das Ganze war eine Performance von Bruce Nauman. Die liest sich heute wie eine Achtsamkeitsübung, aber damals standen solche Praktiken für eine radikal neue Kunstauffassung, die Kategorien wie Betrachter und Künstlerin, Zufall und Planung oder Werk und Teilhabe durcheinanderwirbelte.

Ansicht der Ausstellung
„Isa Genzken. 75/75“ in der Berliner Neuen Nationalgalerie

Minimalistische Handarbeit

Genzkens frühe Skulpturen fügten sich ziemlich genau in den Minimalismus jener Jahre. Ihre Ellipsoide und Hyperbolos lassen zu Unrecht eine industrielle Herstellung vermuten. In Wirklichkeit fertigte Genzken die länglichen Objekte von Hand in ihrem Atelier. Eigenartigerweise kommt man nicht umhin, bei diesen langen, propellerartigen Stücken an Menschen zu denken – vielleicht sogar an Menschen, die mit weit offenen Augen am Boden liegen.

Als sich Genzken schon längst vom Minimalismus verabschiedet hatte, erinnerten ihre Skulpturen immer noch oft an das menschliche Maß. Sie sind heute in Berlin zu besichtigen: Derzeit zeigt die Neue Nationalgalerie Genzkens Werk, 75 Stücke anlässlich des 75. Geburtstags der Künstlerin. Die Skulpturen verteilen sich auf den Bau von Mies van der Rohe und lassen den Raum unheimlich belebt wirken. „Eigentlich“, sagte Genzken vor wenigen Jahren, „sind das alles Selbstporträts.“ 

Im Laufe der 1980er-Jahre geschah etwas in Genzkens Werk. Sie schuf eine Skulptur mit dem Titel „Neubau“, und an die Stelle der formalen Strenge ihrer vorherigen Werke tritt eine kritische, manchmal witzige Auseinandersetzung mit Bauten und Städten. Ein Stück Hommage steckt in Genzkens Beschäftigung mit Architektur, doch verweigerte sie den Respekt. „Fuck the Bauhaus“ heißt eine Serie aus dem Jahr 2000. Das war nicht das erste Mal, dass sich Genzken an der Moderne abarbeitete.

„Neubau“ ist in Gips gegossen und erinnert an ein grobes Architekturmodell eines finsteren Hochhauses. Wieder spricht das künstlerische Interesse an der Stadt – damit ist sie nicht alleine: Ed Ruscha, das Duo Bernd und Hilla Becher oder Denise Scott Brown und Robert Venturi widmen sich der geschmähten Architektur der Straßenränder. Genzken ist bekennende Metropolenbewohnerin, die zwischen Berlin und New York pendelt. Genauso wie die Orte wechselt die Künstlerin ihren Stil. „Sie wagte sich mit ihrem Mut immer wieder auf ungesichertes Terrain“, sagt Daniel Buchholz, dessen Galerie seit den 1980ern mit Genzken arbeitet. „Das liegt nicht zuletzt an den von ihr verwendeten Materialien, die immer betont zeitgenössisch waren und nie rückwärtsgewandt.“

Nicht zurückschauen, so lautete eine der kulturellen Maßgaben ab den 1990er-Jahren. Genzkens Arbeiten jener Jahre befreiten sich von Minimalismus und Härte: Alles durfte Material sein. Fortan machte sie Assemblagen: Einmal mehr verwirrt sie Maßstäbe, und in schwindelerregender Weise kombinierte sie daumengroße Spielzeugfiguren, Möbel, transparente Materialien, sodass alle Elemente um die Aufmerksamkeit der Betrachtenden konkurrierten. 

Werkschau an der Spree: Blick über ein Kunstwerk in den Ausstellungsraum im Erdgeschoss (l.). Im Vordergrund „Der junge Gewichtheber“. „Untitled“ oben rechts, darunter die „Weltempfänger“.

 Das Vorausschauende
macht sie zu einer Modernen.
Daniel Buchholz

Mutiger Stilwechsel

2007 umwickelte sie den Deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale mit einem orangefarbenen Netzstoff, innen zeigte sie eine Installation mit dem Titel „Oil“: Von der Decke hingen Figuren in Astronautenanzügen, manche lagen am Boden, Rollkoffer, Kunststoff allenthalben. „Das ist Plastik, also auch Öl“, sagte Genzken damals. In den Jahren nach dem 11. September, den Kriegen um Öl und kurz vor der Weltwirtschaftskrise von 2008 kam man nicht umhin, hier die angeschwemmten Reste global vernetzter Warenkreisläufe zu sehen.

„Neubau“ ist in Gips gegossen und erinnert an ein grobes Architekturmodell eines finsteren Hochhauses. Wieder spricht das künstlerische Interesse an der Stadt – damit ist sie nicht alleine: Ed Ruscha, das Duo Bernd und Hilla Becher oder Denise Scott Brown und Robert Venturi widmen sich der geschmähten Architektur der Straßenränder. Genzken ist bekennende Metropolenbewohnerin, die zwischen Berlin und New York pendelt. Genauso wie die Orte wechselt die Künstlerin ihren Stil. „Sie wagte sich mit ihrem Mut immer wieder auf ungesichertes Terrain“, sagt Daniel Buchholz, dessen Galerie seit den 1980ern mit Genzken arbeitet. „Das liegt nicht zuletzt an den von ihr verwendeten Materialien, die immer betont zeitgenössisch waren und nie rückwärtsgewandt.“

Philipp Hindahl hat Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main und Paris studiert. Er lebt in Berlin und schreibt über Kunst, Architektur, Bücher und Gesellschaft.

Philipp Hindahl hat Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main und Paris studiert. Er lebt in Berlin und schreibt über Kunst, Architektur, Bücher und Gesellschaft.

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