Update

Mehr Recherche statt Überzeugung

Im Umgang mit den Populisten von AfD und Co. hilft keine Hysterie. Sondern sauberer Journalismus mit penibel recherchierten Informationen. Das Publikum will Fakten, um sich selbst ein Urteil bilden zu können.

Text: Michael Hirz

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Das Ende der kollektiven Hysterie?

Im Umgang mit den Populisten von AfD und Co. hilft keine Hysterie. Sondern sauberer Journalismus mit penibel recherchierten Informationen. Das Publikum will Fakten, um sich selbst ein Urteil bilden zu können.

Text: Michael Hirz

Dem russischen Nobelpreisträger Iwan Pawlow verdanken wir die Erkenntnis, dass unser Verhalten stark auf Reflexen beruht. Auf bestimmte Reize folgen – gewissermaßen automatisiert – erwartbare Reaktionen. Dieser Mechanismus, den Pawlow in Experimenten mit Tieren belegt hat, lässt sich auf Menschen übertragen, auch auf ganze Berufsgruppen. Zum Beispiel auf Politiker und Medien. Besonders gut ist das beim Umgang mit der sogenannten Alternative für Deutschland zu beobachten, der AfD. Seit zehn Jahren erst gibt es diese Partei, sie hat ihr Spitzenpersonal in dieser kurzen Zeit mit beachtlicher Rasanz verschlissen und ausgetauscht, sie hat sich programmatisch mehrfach gehäutet und immer weiter radikalisiert, sie wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet – und legt dennoch in Wahlen immer weiter zu. In Umfragen erzielt sie immer neue Spitzenwerte.

Diese erschreckende Erfolgsroutine löst die immer gleichen hilf- und folgenlosen Reflexe bei demokratischen Parteien und veröffentlichter Meinung aus. Diese Reaktionen beheben das Problem mit einer in Teilen demokratiefeindlichen, islamophoben und rassistischen Partei nicht, sondern bedienen die auf Aufmerksamkeit um jeden Preis zielende Strategie der AfD. Die hat von Donald Trump und anderen Rechtspopulisten gelernt, dass auch negative Berichterstattung einträglich sein kann. Gelernt, dass wiederholte Unwahrheiten irgendwann zumindest als Meinung im Diskurs akzeptiert werden. Wie also umgehen mit dieser Partei, wie über sie berichten, wie ihre Führungsfiguren behandeln? Verschweigen? Geht nicht, dass würde ihr einen Opferstatus verleihen. Ständig attackieren? Festigt die Märtyrerrolle.

Hilf- und folgenlose Reflexe bedienen die Strategie der AfD, die auf Aufmerksamkeit um jeden Preis zielt.

Allerdings könnten sich Medien einmal selbstkritisch fragen, warum Woche für Woche mit hyperventilierenden Headlines die neuesten Umfrageergebnisse zur Parteienpräferenz verbreitet werden. Der tatsächliche Informationswert solcher Zahlen ist mehr als dürftig, schließlich sind Umfragen zur Stimmungslage keine Wahlen, beeinflussen aber genau diese Stimmungslage. Das Ignorieren der AfD in der journalistischen Beobachtung scheidet als Option ebenfalls aus, denn sie ist ein nicht wegzudiskutierender Faktor des politischen Alltags geworden. Auch ein alarmistischer und moralisierender Grundton in der Berichterstattung hilft nicht, er ist schlicht bevormundend – und wird oft auch so empfunden. Das Publikum, das belegen Studien hinlänglich, will keinen belehrenden Meinungsjournalismus, es will Fakten, auf deren Basis es sich selbst ein Urteil bilden kann.

Es hilft wohl nur eines: berichten, einordnen, Fakten checken. Das ist anstrengend, aber investigativer, nachsetzender Journalismus ist nun mal so. Und an gründlicher Vorbereitung und penibler Recherche mangelt es häufig. Da wird vor allem bei Wortlaut-Interviews – wie kürzlich beim spektakulären „Stern“-Titel mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel – auf die eigene Überzeugung vertraut. Doch das ist nicht nur zu wenig. Es hilft sogar denjenigen, die Anspruch auf Hilfe verspielt haben, weil sie ohnehin nicht nach den Regeln einer offenen und liberalen Gesellschaft spielen.

Allerdings könnten sich Medien einmal selbstkritisch fragen, warum Woche für Woche mit hyperventilierenden Headlines die neuesten Umfrageergebnisse zur Parteienpräferenz verbreitet werden. Der tatsächliche Informationswert solcher Zahlen ist mehr als dürftig, schließlich sind Umfragen zur Stimmungslage keine Wahlen, beeinflussen aber genau diese Stimmungslage. Das Ignorieren der AfD in der journalistischen Beobachtung scheidet als Option ebenfalls aus, denn sie ist ein nicht wegzudiskutierender Faktor des politischen Alltags geworden. Auch ein alarmistischer und moralisierender Grundton in der Berichterstattung hilft nicht, er ist schlicht bevormundend – und wird oft auch so empfunden. Das Publikum, das belegen Studien hinlänglich, will keinen belehrenden Meinungsjournalismus, es will Fakten, auf deren Basis es sich selbst ein Urteil bilden kann.

Es hilft wohl nur eines: berichten, einordnen, Fakten checken. Das ist anstrengend, aber investigativer, nachsetzender Journalismus ist nun mal so. Und an gründlicher Vorbereitung und penibler Recherche mangelt es häufig. Da wird vor allem bei Wortlaut-Interviews – wie kürzlich beim spektakulären „Stern“-Titel mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel – auf die eigene Überzeugung vertraut. Doch das ist nicht nur zu wenig. Es hilft sogar denjenigen, die Anspruch auf Hilfe verspielt haben, weil sie ohnehin nicht nach den Regeln einer offenen und liberalen Gesellschaft spielen.

Michael Hirz ist als Journalist und Moderator seit vielen Jahren intensiver Beobachter politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse

Michael Hirz ist als Journalist und Moderator seit vielen Jahren intensiver Beobachter politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse

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