Enttabuisierung

Mutterschutz
nach
Fehlgeburten

Maren Jasper-Winter ist Mitglied des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Enttabuisierung

Mutterschutz
nach Fehlgeburten

Maren Jasper-Winter ist Mitglied des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Seit dem 1. Juni 2025 können Frauen nach einer Fehlgeburt ab der 13. Woche Mutterschutz in Anspruch nehmen, und zwar anders als vorher unabhängig davon, ob das Baby lebensfähig gewesen wäre oder nicht. Diese Änderung ist mehr als irgendeine Gesetzesnovelle. Sie ist Ausdruck von Liberalismus, Meinungsvielfalt und Enttabuisierung.

Das Thema Fehlgeburt war in der Vergangenheit ein Tabu. Es wurde verschwiegen, und viele Frauen sind nach diesem für Körper und Seele belastenden Einschnitt am nächsten Tag zur Arbeit gegangen, als ob nichts gewesen wäre. So sah es bis Juni das Gesetz auch vor. Erst ab der 24. Woche gab es eine Schutzzeit – einen Anspruch auf Erholung.

Warum wurde und wird bisher über dieses Thema so wenig gesprochen? Meine eigene, persönliche Erfahrung, aber auch diejenige vieler anderer Frauen ist, dass uns immer noch die Rolle zugeschrieben wird, erst dann wertvoll zu sein, wenn es „mit dem Kinderbekommen klappt“. Eine höchst illiberale Einschränkung der Frau auf ihre Funktion als Mutter. Eine unerträgliche Wahrnehmung nicht als Individuum, sondern als Angehörige einer „Gruppe“, die zu funktionieren hat.

Die Fehlgeburt oder im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft dann Totgeburt genannt, empfinden viele Frauen als Versagen. Es ist, so weiß ich selbst, sehr schwer, sich hiervon frei zu machen. Liberale Politik aber sollte alle Menschen unterstützen, die sich von Zwängen befreien wollen. In diesem Falle ist es eine Anerkennung der Frauen durch eine Schutzzeit.

Dass Fehlgeburten durch die Gesetzesänderung enttabuisiert werden, ist aber auch ein Zeichen von Meinungsvielfalt und Demokratie. Die Ampelkoalition hatte sich den gesellschaftlichen Fortschritt auf die Fahne geschrieben. In den Koalitionsverhandlungen durfte ich mitverhandeln und habe die Passage in den Vertrag gebracht. Das zeigt, wie wichtig es ist, Pluralität und unterschiedliche Sichtweisen in Politik einzubringen.

Dass es zur Gesetzesänderung kurz vor der Bundestagswahl dann auch kam, ist der Autorin und Aktivistin Natascha Sagorski zu verdanken. Sie hat ihre persönliche Geschichte und die vieler Frauen in Deutschland öffentlich gemacht und mit einer Petition Druck erzeugt. Der schönste politische Moment in den letzten Monaten war für mich, sie und ihre Familie auf der Tribüne des Deutschen Bundestags mit Freudentränen in den Augen zu sehen. Wir waren zu der entscheidenden Abstimmung Ende Januar eingeladen. Als die Abstimmung im Bundestag erfolgreich verlief, war uns klar, dass man in unserer Demokratie auch als Einzelne eine Änderung bewirken kann – getragen von dem überparteilichen Konsens aus SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU.

Dies macht in schwierigen Zeiten Mut. Mut, an die Demokratie, die Kraft des und der Einzelnen zu glauben und daran, dass es sich lohnt, sich immer wieder für Enttabuisierung und die individuelle Freiheit einzusetzen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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