AUSSTELLUNG
Die Ausstellung „Nach der Flucht“ zeigte in Berlin Porträts von Menschen aus der Ukraine, die ihre Heimat verlassen mussten. Und erzählte eindrücklich ihre persönlichen Geschichten.
TEXT: KIRA BRÜCK
AUSSTELLUNG
Die Ausstellung „Nach der Flucht“ zeigte in Berlin Porträts von Menschen aus der Ukraine, die ihre Heimat verlassen mussten. Und erzählte eindrücklich ihre persönlichen Geschichten.
TEXT: KIRA BRÜCK
Panzer, zerstörte Häuser, zugedeckte Leichen auf den Straßen: Bilder aus dem Krieg sind, seit Russland Ende Februar die Ukraine überfallen hat, fast Alltag geworden. Viele von ihnen sind schockierend, stark, manchmal ikonisch – aber eines fehlt: die Geschichten der Menschen. Ihre Stimme. Maurice Weiss, der als Reportagefotograf unter anderem für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ arbeitet, war es ein Bedürfnis, das zu ändern. „Ich war im Libanon, in Syrien und Libyen unterwegs, habe viel Fluchtbewegung gesehen. Wir schickten Aufnahmen mit langen Brennweiten an die Redaktionen, auf ihnen waren verhärmte Menschen zu sehen“, erzählt er. Im Nachhinein empfand er das als fotografisches Scheitern: Seine Kollegen und er hätten gar nicht begriffen, welche Geschichten und Schicksale hinter den Gesichtern steckten. Diesmal sollte es anders werden, besser. Weiss entwickelte eine Idee: Die Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, sollten in aller Ruhe und mit Würde porträtiert werden. Und sie sollten Raum bekommen, um ihre Geschichte zu erzählen.
Weiss trommelte seine Kolleginnen und Kollegen von der Agentur Ostkreuz zusammen. Etwa 15 Fotografinnen und Fotografen, unter ihnen Mila Teshaieva und Johanna-Maria Fritz, legten sofort los; sie porträtierten Geflüchtete aus der Ukraine. Plötzlich war Weiss nicht nur Ideengeber eines Projekts, sondern auch Initiator einer Ausstellung. „Nach der Flucht“ sollte sie heißen. In der Berliner Zionskirche sind die intensiven Porträts im Mai ausgestellt worden, an Drahtzäunen aufgehängt. Neben jedem Bild stand ein Text: Ich-Protokolle auf Deutsch, Englisch und Ukrainisch. Es waren Erinnerungen, Gedanken und Hoffnungen von Menschen, die der Krieg nach Deutschland gespült hat, die ihre Heimat und ihre Angehörigen vermissen, die traurig, verzweifelt und dankbar für die Hilfe sind, die sie erfahren haben. Eines aber sind sie nicht: sprachlos.
Die Geflüchteten sind traurig, verzweifelt und dankbar für die Hilfe, die sie erfahren haben. Aber eines sind sie nicht: sprachlos.
Die Geflüchteten sind traurig, verzweifelt und dankbar für die Hilfe, die sie erfahren haben. Aber eines sind sie nicht: sprachlos.
Die von Weiss porträtierte Tasia Shpil aus Kiew erinnert sich: „Einige Tage vor Kriegsbeginn habe ich noch gesagt, dass ich eher sterben als weggehen würde. Aber das waren die Worte einer Person, die noch nie vom Lärm einschlagender Bomben geweckt worden war.“ Es sind intime Texte, die lange nachhallen. Es sind Texte darunter von Kindern, die keine Eltern mehr haben. Von alten Frauen, die sich sorgen, dass sie ihr Heimatland nicht mehr wiedersehen werden. Von Müttern mit kleinen Kindern, deren Väter im Krieg geblieben sind. Sie sitzen und stehen ein wenig ratlos in Berliner Wohnzimmern, vor einer Heizung oder in einem Park, und es sieht aus, als ob sie sich fragen: Was machen wir hier eigentlich?
„Im Krieg ist erst einmal die Kultur dran: Archive und Schulen werden zerbombt, Intellektuelle umgebracht“, sagt Weiss. Später folge der Kampf um die Archive. „Wer erzählt hinterher die Geschichte – werden es die Russen oder die Ukrainer sein?“ Er hat bereits eine Anfrage aus Brüssel bekommen; die Bilder werden wandern. Sein eindrucksvolles Projekt ist bei Weitem nicht abgeschlossen: Jede Woche kommen neue Bilder dazu. „Wir fotografieren immer weiter.“
Eine junge Frau hat sich in einem Luftschutzkeller im Kiewer Vorort Irpin ein Lager eingerichtet. Berichten zufolge wurden in Irpin während der russischen Besatzung bis Ende März bis zu 300 Zivilisten getötet.
Valeria Schiller ist aus Butscha. Das Bild von Maurice Weiss zeigt die junge Frau nach der Flucht aus dem Ort, der für immer mit einem der schlimmsten Massaker in Europa verbunden sein wird.
Eine Rentnerin ist Mitte Mai in Kiew alleine zurückgeblieben. Ihr Nachbar spendet ihr Trost.
Was haben die Frauen alles gesehen? Die Bilder des im norwegischen Nesbyen geborenen Fotografen Espen Eichhöfer erzählen Geschichten und haben oftmals etwas Mythisches.
Sicher in Deutschland: Kira und ihre Mutter Olena aus Kiew halten sich auf dem Foto von Dawin Meckel im Arm. In Bad Vilbel sind sie nun sicher, aber was kommt nach der Flucht?
Diese Tänzerin aus der Ukraine war aus der Hafenstadt Odessa nach Berlin geflohen.
Eine Mutter und ihre beiden Töchter sind aus Charkiw nach Hamburg geflohen. „Wir sind fünf Tage lang in meinem Auto gefahren“, erzählt sie.
Credits Fotos: Agentur OSTKREUZ | Mila Teshaieva/OSTKREUZ; Jordis Antonia Schlösser/OSTKREUZ; Maurice Weiss/OSTKREUZ; Espen Eichhöfer/OSTKREUZ
Eine junge Frau hat sich in einem Luftschutzkeller im Kiewer Vorort Irpin ein Lager eingerichtet. Berichten zufolge wurden in Irpin während der russischen Besatzung bis Ende März bis zu 300 Zivilisten getötet.
Valeria Schiller ist aus Butscha. Das Bild von Maurice Weiss zeigt die junge Frau nach der Flucht aus dem Ort, der für immer mit einem der schlimmsten Massaker in Europa verbunden sein wird.
Eine Rentnerin ist Mitte Mai in Kiew alleine zurückgeblieben. Ihr Nachbar spendet ihr Trost.
Was haben die Frauen alles gesehen? Die Bilder des im norwegischen Nesbyen geborenen Fotografen Espen Eichhöfer erzählen Geschichten und haben oftmals etwas Mythisches.
Sicher in Deutschland: Kira und ihre Mutter Olena aus Kiew halten sich auf dem Foto von Dawin Meckel im Arm. In Bad Vilbel sind sie nun sicher, aber was kommt nach der Flucht?
Diese Tänzerin aus der Ukraine war aus der Hafenstadt Odessa nach Berlin geflohen.
Eine Mutter und ihre beiden Töchter sind aus Charkiw nach Hamburg geflohen. „Wir sind fünf Tage lang in meinem Auto gefahren“, erzählt sie.
Credits Fotos: Agentur OSTKREUZ | Mila Teshaieva/OSTKREUZ; Jordis Antonia Schlösser/OSTKREUZ; Maurice Weiss/OSTKREUZ; Espen Eichhöfer/OSTKREUZ
Kira Brück ist freie Journalistin. Sie schreibt über Wirtschafts-, Kultur- und Gesellschaftsthemen, unter anderem für „Spiegel Online“ und für „Die Welt“. Sie lebt in Berlin.
Kira Brück ist freie Journalistin. Sie schreibt über Wirtschafts-, Kultur- und Gesellschaftsthemen, unter anderem für „Spiegel Online“ und für „Die Welt“. Sie lebt in Berlin.
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