ENERGIE
Stefan Kapferer, Chef des Berliner Übertragungsnetzbetreibers „50Hertz Transmission“, über einen möglichen Gas-Mangel, den kommenden Winter und Stromleitungen nach Skandinavien.
INTERVIEW: MAXIMILIAN LUZ REINHARDT
ENERGIE
Stefan Kapferer, Chef des Berliner Übertragungsnetzbetreibers „50Hertz Transmission“, über einen möglichen Gas-Mangel, den kommenden Winter und Stromleitungen nach Skandinavien.
INTERVIEW: MAXIMILIAN LUZ REINHARDT
Herr Kapferer, in Deutschland flossen in der Vergangenheit nur etwa 15 Prozent des verbrauchten Erdgasvolumens in die Stromerzeugung. Ist ein Blackout da wirklich ein realistisches Szenario?
Ich sehe kein Blackout-Risiko. Der Gesetzgeber hat ja gerade einen Gesetzentwurf vorgelegt, um durch das Zurückholen von Kohlekraftwerken sicherzustellen, dass wir auch im Notfall ausreichend Kapazität haben. Das ist allerdings nur eine kurzfristige Lösung. Spannend wird der geplante Umbau unseres Energiesystems – da wird einiges neu bewertet werden müssen.
Eine Möglichkeit, uns im Gasverbrauch von Russland unabhängig zu machen, sind LNG-Terminals. Ein neues Gesetz soll deren Bau rasch, zentralisiert und unkompliziert erlauben. Wäre Flüssiggas aber nicht deutlich teurer als russisches Pipelinegas?
Das ist so, ja. Ich glaube, dass wir uns dauerhaft auf ein höheres Preisniveau einstellen müssen. Im Gesetzesentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist eine Pönale für Gas in der Stromerzeugung vorgesehen. Man geht dort offensichtlich davon aus, dass selbst in einer Gas-Mangel-Lage – also wenn kein russisches Pipelinegas mehr fließt – der Gaspreis noch nicht hoch genug ist, um Gaskraftwerke aus dem Markt zu drängen. Diese Annahme halte ich für zweifelhaft. Perspektivisch ist der Gesetzgeber natürlich in der Lage, Erdgas schrittweise so zu verteuern, dass grüner Wasserstoff trotz höherer Transportkosten und möglicherweise trotz auch relativ hoher Herstellungskosten wettbewerbsfähig werden kann. Nur ist das bestenfalls eine Schein-Wettbewerbsfähigkeit. Eine solche Preisentwicklung wäre für die Industrie schwierig.
Wie sehen Sie die Möglichkeit, die zunächst für Flüssiggas entwickelte Technologie im Anschluss für flüssigen Wasserstoff einzusetzen?
Ich bin kein Technik-Experte. Aber ich weiß, dass es relativ einfach möglich sein wird, die Pipeline-Infrastruktur für den Wasserstofftransport zu ertüchtigen. Wenn man also das LNG-Terminal im Hafen hat, würde es mich wundern, wenn nicht auch dort eine Umrüstung relativ einfach möglich wäre, um dann grünen Wasserstoff anzulanden statt Flüssiggas. Letztlich werden wir am Ende viel Wasserstoff importieren müssen. Daher sind die Investitionen in die Terminals an den Häfen vernünftig und nachhaltig.
Wasserstoff kann beinahe überall eingesetzt werden, doch er wird anfangs knapp sein. Für welche seiner Anwendungen sehen Sie die höchste Priorität?
Das sind ganz klar industrielle Sektoren, in denen die Emissionen schwer zu senken sind. Sie haben erste Priorität. Es gibt einfach Dinge, die man nicht elektrifizieren kann. Eine zweite Anwendung, mengenmäßig limitiert, aber trotzdem elementar, sind die Back-up-Kapazitäten im Kraftwerkspark für die Stromerzeugung. Selbst im europäischen Binnenmarkt werden wir im Winter Situationen erleben, in denen es nicht genug Wind und Sonne gibt. Drittens sehe ich Chancen im Schwerlast-, Flug- und Schiffsverkehr. Im Wärmesektor bin ich skeptisch.
Es wird relativ einfach möglich sein, Flüssiggas-Pipelines auch für den Transport von Wasserstoff zu nutzen.
Es wird relativ einfach möglich sein, Flüssiggas-Pipelines auch für den Transport von Wasserstoff zu nutzen.
Warum?
Nicht weil ich glaube, dass es nicht Leute gäbe, die den Preis bezahlen würden, den eine solche Technologie möglicherweise mehr kosten würde als eine Wärmepumpe. Aber man müsste die ganze Gasleitung umrüsten und die Verteilnetze der Gasnetz-Infrastruktur auf Wasserstoff anpassen. Das halte ich für sehr ambitioniert – aber das soll der Markt regeln.
Wie muss denn die Übertragungsinfrastruktur an die neuen Anforderungen der Zukunft angepasst werden?
Alle Studien für das Stadium der Klimaneutralität bis 2045 gehen davon aus, dass sich die Stromnachfrage in Deutschland vervielfachen wird. Wenn aber die Menge des transportierten Produkts zunimmt, dann ist auch mehr Transportkapazität erforderlich. Zudem haben sich die Anforderungen an das Netz grundlegend geändert. Früher gab es mehrere große Kraftwerke, die an das Netz angeschlossen und für die Versorgung zuständig waren. Heute haben wir Millionen an Erzeugungskapazitäten – Windparks, Solarparks, Offshore-Windparks etc. Darum brauchen wir ein deutlich komplizierteres Netz, um den Strom überhaupt erst einmal zu erfassen und einzusammeln. Des Weiteren werden grenzüberschreitende Netzverbindungen wichtiger, etwa nach Skandinavien. Sie stabilisieren das Netz und ermöglichen den Binnenmarkt.
Wer oder was hindert uns denn an dem Ausbau?
Vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Leider muss man das ehrlicherweise sagen. Ein Beispiel: Wenn wir ein Stromkabel auf hoher See verlegen müssen, geht das deutlich schneller als an Land. Das liegt aber keinesfalls daran, dass das so viel einfacher wäre. Im Gegenteil, technisch ist es sogar deutlich aufwendiger. Aber es gibt keine Klagen und Gerichtsverfahren, nachdem die Genehmigungen erteilt worden sind. Also können wir im Grunde direkt anfangen. Wenn wir hingegen an Land sind, gibt es ständig Leute, die sich gegen irgendwas wehren. Das ist dieses berühmte NIMBY-Thema.
„Not in my backyard“, zu Deutsch auch Sankt-Florians-Prinzip.
Genau. Dabei gibt es noch ein zweites Problem. Die Behörden wissen natürlich, dass sich die Bürger wehren. Daher versuchen sie sich im Genehmigungsprozedere möglichst rechtssicher aufzustellen. Sie lassen eine Vielzahl an Alternativen prüfen, und das kostet Zeit – zu viel Zeit.
Stefan Kapferer ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers „50Hertz Transmission“ mit Sitz in Berlin. Zuvor war er Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Von 2009 bis 2014 arbeitete Kapferer als Staatssekretär im Bundesgesundheits- sowie im Bundeswirtschaftsministerium.
Stefan Kapferer ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers „50Hertz Transmission“ mit Sitz in Berlin. Zuvor war er Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Von 2009 bis 2014 arbeitete Kapferer als Staatssekretär im Bundesgesundheits- sowie im Bundeswirtschaftsministerium.
Kann das LNG-Beschleunigungsgesetz als Vorbild für den Ausbau der Netzinfrastruktur dienen?
Ja, ich glaube schon, dass da einiges übernommen werden könnte, insbesondere die Verkürzung der Fristen. Damit wurden Einspruchsmöglichkeiten nicht beschnitten, aber Verfahren beschleunigt. Vorsichtiger bin ich bei der Beschränkung der Umweltverträglichkeitsprüfung. Das könnte man wohl nicht einfach für sehr viele Verfahren übernehmen.
Die Energiepreise sind jetzt schon enorm hoch. Wo sehen Sie sie in zehn oder zwanzig Jahren?
Ich würde trennen zwischen der verbleibenden Restenergie, die wir auf der Basis von Erdgas und grünem Wasserstoff brauchen, und dem Strommarkt. Ich glaube, bei der Restenergie werden wir tendenziell eher ein relativ hohes Preisniveau erleben. Beim Strom hingegen werden wir nach einer Übergangsphase wieder fallende Preise sehen. Das ist auch notwendig. Denn dann bleibt die Energie für Haushalte bezahlbar. Das fördert auch die Elektrifizierung, egal ob beim Auto oder bei der Heizung. Zudem ermöglicht das die Sektorkopplung in der Industrie.
Maximilian Luz Reinhardt ist Referent für Wirtschaft und Nachhaltigkeit in der Abteilung Themenmanagement und Politikberatung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
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