Finale





Bald italienische Verhältnisse? Migrationsdebatte in Spanien verschärft sich

Text: Karen Horn

Foto: imago images/Lagencia

Ein unbegleiteter Minderjähriger: 4.700 Euro pro Monat. Deine Großmutter: 426 Euro Pension/Monat“ lautete der Text eines schon infam zu nennenden Wahlplakats der rechtspopulistischen Partei VOX („Stimme“) in der Autonomen Region Madrid vor einem Monat.

Das infame Wahlplakat der rechtspopulistischen Partei VOX („Stimme“) in der Autonomen Region Madrid erinnerte nicht nur die spanische Tageszeitung „El País“ im Duktus an Nazi-Propaganda. Während der normale Spanier kaum über die Runden komme, werfe die Regierung das Geld für junge Geflüchtete raus, so die Botschaft der Rechtspopulisten. Bei den meisten Spanierinnen und Spaniern verfing sie bisher jedoch nicht. Im Gegensatz zur AfD in Deutschland gelang es der neuen Rechten auf der iberischen Halbinsel nicht, mit dem Thema Migration auf Stimmenfang zu gehen. Auch deshalb nicht, weil es in dem traditionellen Erstankunftsland in der politischen Mitte einen Konsens gibt, dass Grenzschutz und seine robuste Durchsetzung Kernaufgabe eines souveränen Staates seien.

Deshalb taugte das Thema bisher auch nicht als Aufreger, sondern mäanderte eher durch die innenpolitische Debatte in Spanien. Daran änderte auch die Tatsache wenig, dass zuletzt die Migrations-Route über das westliche Mittelmeer nach Europa am häufigsten genutzt wurde: Knapp 42 000 irreguläre Einreisen gab es hier im vergangenen Jahr. Insgesamt befanden sich die Migrationsbewegungen im Mittelmeer allerdings auf einem viel niedrigeren Niveau als noch im Jahr 2016.

Der Ton wird rauer

Doch nach der diplomatischen Eskalation zwischen Spanien und Marokko, in deren Folge an einem einzigen Tag 8000 Geflüchtete aus Marokko die spanische Exklave Ceuta erreichten, droht sich die innenpolitische Debatte zu verschieben. Der Vorsitzende des Europäischen Rats, Charles Michel, sicherte Spanien zwar die volle Unterstützung der EU in Sachen Grenzschutz zu, doch im Land selbst gewann die politische Debatte sofort an Schärfe.

So beleidigte der Fraktionsvorsitzende von VOX, Carlos Verdejo, die erste muslimische Fraktionsvorsitzende im Parlament der autonomen Stadt Ceuta, Fátima Hamed von der Bewegung für Würde und Bürgerschaft, mit den Worten: „Im Gegensatz zu uns werden Sie niemals eine Abgeordnete in Madrid haben, wenn überhaupt, dann in Marokko.“ Nach tumultartigen Szenen beendete der Vorsitzende des Parlaments, Juan Vivas von der konservativen Partido Popular, daraufhin nach nicht einmal 30 Minuten die Plenardebatte. Ein Fraktionskollege nannte Verdejo aufgebracht einen Faschisten.

Nur wenige Tage zuvor war es zu Ausschreitungen gegen eine geplante Kundgebung mit dem Parteivorsitzenden von VOX, Santiago Abascal, gekommen, die wegen Sicherheitsbedenken verboten worden war. Ein gefundenes Fressen für die neue Rechte, die sich – wieder einmal – als Opfer der Linken darstellen konnte. 

„Knapp 42 000 irreguläre Einreisen gab es hier im vergangenen Jahr. Insgesamt befanden sich die Migrationsbewegungen im Mittelmeer allerdings auf einem viel niedrigeren Niveau als noch im Jahr 2016.“

Schnell war das infame Plakat von Vox in der Madrider U-Bahn-Station Sol mit Aufklebern gegen Rassismus überklebt.
Schnell war das infame Plakat von Vox in der Madrider U-Bahn-Station Sol mit Aufklebern gegen Rassismus überklebt.

Gefahr für den sozialen Frieden

Und so drohen die aktuelle Krise und das außenpolitische Gezerre mit Migrantinnen und Migranten als Verhandlungsmasse langsam, aber sicher doch zu einem Aufreger-Thema in der spanischen Debatte zu werden. Und wenn die aktuelle Wirtschaftskrise noch stärker auf den Arbeitsmarkt durchschlägt und nach Abfluss der EU-NextGen-Mittel irgendwann auch spürbare Budgetkürzungen im spanischen Haushalt zu erwarten sind, drohen weitere Eskalationen. 

Zumal der Migrationsdruck auf Spanien sich in den kommenden Jahren in jedem Fall erhöhen wird: Der Klimawandel ist schon heute für die fortschreitende Desertifikation und damit auch zunehmende Verteilungskonflikte auf dem afrikanischen Kontinent mitverantwortlich, auch in der ohnehin konfliktbelasteten Sahel-Zone. Experten zeigen sich zudem erstaunt über meteorologische Phänomene wie den ungewöhnlich ruhigen Atlantik vor den Kanarischen Inseln in diesem Frühjahr. Normalerweise machen eine aufgewühlte See und starke Winde es zu dieser Jahreszeit nahezu unmöglich, dass Migrantinnen und Migranten versuchen, über die Kanaren in die EU einzureisen. Zudem wächst die Bevölkerung in westafrikanischen Staaten wie Nigeria rasant.

In Italien ist zu beobachten, wo diese Entwicklung hinführen könnte: Rechtspopulistische Parteien benutzen das Aufreger-Thema Migration, um Mitte-Links-Regierungen vor sich herzutreiben und den Diskurs in ihrem Sinne zu verschieben. In Spanien nimmt die Anzahl rassistischer Angriffe bereits zu. Vor diesem Hintergrund hat das Land eine neue Afrika-Strategie entwickelt, die klar die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Vordergrund stellt. Denn Spaniens politische Klasse weiß genau: Wenn es nicht gelingt, die irreguläre Einwanderung zu kontrollieren, ist nicht nur eine faktenorientierte migrationspolitische Debatte und damit die Frage nach der legalen, wirtschaftlich notwendigen Einwanderung nach Spanien und Europa bedroht, sondern auch die politische Mitte und der soziale Frieden.

David Henneberger 

leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Madrid. Er ist damit zuständig für Spanien, Italien, Portugal und ein neues regionales Mittelmeer-Dialogprogramm. Als Diplom-Volkswirt ist er besonders an Chancengleichheit, Unternehmertum und Start-ups und einer nach innen und außen handlungsfähigen Europäischen Union interessiert. 

Foto: FNS

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