K-POPKULTUR
Die südkoreanische K-Pop-Gruppe Blackpink lässt alle Bekanntheitsrekorde der Musik weit hinter sich. Mehr als 30 Milliarden Mal wurden ihre Youtube-Videos angeklickt. Das Phänomen aus Asien hat die westlichen Musikmärkte fundamental verändert.
Text: Joachim Hentschel
K-POPKULTUR
Die südkoreanische K-Pop-Gruppe Blackpink lässt alle Bekanntheitsrekorde der Musik weit hinter sich. Mehr als 30 Milliarden Mal wurden ihre Youtube-Videos angeklickt. Das Phänomen aus Asien hat die westlichen Musikmärkte fundamental verändert.
Text: Joachim Hentschel
Ein pinker Blitz, und die Wüste leuchtete. Sensationen aller Art erwartet das Publikum zwar förmlich, wenn es sich jeden April beim „Coachella Festival“ in der Nähe von Palm Springs in Kalifornien versammelt, einem der bedeutendsten jährlichen Popmusik-Events. Was sich allerdings bei der 2023er-Ausgabe ereignete, als zum Samstagsfinale die vier jungen Frauen von Blackpink auf der Bühne erschienen – das war ein Auftritt, der noch lange weit oben in den Best-of-Listen stehen wird. Auch wenn solche Rankings heute meist kurze Halbwertszeiten haben, weil gleich wieder irgendetwas Neues passiert. Und obwohl dieses Konzert so irrwitzig viel Gegenwärtigkeit atmete, vor den 125 000 Leuten vor Ort und rund drei Millionen, die über Videostreams zuschauten: Die Show schöpfte auch viel aus alten, analogen Entertainment-Routinen. Blackpink, die Megastars des koreanischen Pop, tanzten und sangen unter einer gewaltigen Lichtpyramide, schritten zwischen ihren zwölf Tänzerinnen und Tänzern die Showtreppe ab. Laser blitzten auf, Feuerbälle brutzelten die Luft. Keiner der Effekte hätte allerdings irgendeinen Wert gehabt ohne die explosive Energie der vier Frauen Mitte-Ende 20 – und ohne die ekstatischen Reaktionen der Fans, die untrennbar zum sogenannten K-Pop gehören. Wenn niemand schreit, klatscht und mit dem Smartphone filmt, ist diese Musik eigentlich gar nicht da.
„Keep talkin’, we shut you down“, sang Bandmitglied Roseanne Park provokant im Hit „Shut Down“: Ihr könnt gern Mist über uns reden, wir bringen euch zum Schweigen. Es war das erste Mal, dass eine Gruppe aus Südkorea in der Top-Position beim Coachella-Festival auftrat. Und es ist nur einer von so derart vielen Blackpink-Rekorden, dass allein ihre Häufung ein eigener Rekord sein dürfte. 2021 übertrumpften sie den langjährigen Youtube-König Justin Bieber in seinem eigenen Reich. Auf der Videoplattform hat der Blackpink-Kanal inzwischen über 88 Millionen Abonnements, weit vor Stars wie Bieber (über 71 Millionen) und Taylor Swift (51 Millionen). Videos von Blackpink wurden dort mehr als 30 Milliarden Mal angeklickt. Aber all die Zahlen, die um die Gruppe herumschwirren, sagen vor allem eines: In den letzten Jahren hat im Pop-Business ein Umbruch stattgefunden, und zwar ein monumentaler. Die weltweit größten Stars kommen nicht mehr aus der lange dominanten westlichen Kulturproduktion, sondern aus dem östlichen Teil Asiens.
Die südkoreanische Girl Group präsentiert ihre Single „Pink Venom“. Das dreiminütige Video wirkt wie ein einziges gewaltiges Bilder-Gewitter.
Kulturelle Sogwirkung
Es war der in Seoul ansässige Medienkonzern YG Entertainment, der Blackpink 2016 ins Leben rief. Und so originär die Begeisterung der Fans auch anmutet: Den globalen Erfolg verdanken sie einer allgemeinen kulturellen Sogwirkung, die schon vor rund 20 Jahren an Fahrt aufnahm – und die bis heute ein strategisch vorangetriebenes Projekt ist. Ein kurzer Rückblick: Die in Südkorea seit den späten 80ern immer lebendiger aufblühende Demokratie brachte bald auch eine neue Popkultur auf die Welt. Als Geburtsstunde des K-Pop gilt ein Auftritt des Trios „Seo Taiji and Boys“, das im April 1992 an einer Castingshow teilnahm und mit einer an US-Hip-Hop und Boygroup-Choreografie geschulten Performance die Jury des Senders MBC schockierte.
Der neue Stil verfing allerdings, eroberte zunächst Südostasien. 2012 wurde „Gangnam Style“ der Hit, mit dem der Rapper Psy den weltweiten Durchbruch sichtbar markierte. Die unter dem Begriff „Hallyu“ bekannte Welle des Kulturexports umfasst heute nicht nur Musik, sondern auch südkoreanische TV-Serien wie „Squid Game“, Comics, Mode und Kulinarik. 2008 rief die Regierung in Seoul ein Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus ins Leben, seit 2011 hat es eine Abteilung für Popkulturindustrie. Werbekampagnen, Aktionen und Ausstellungen werden weltweit mit staatlichem Budget unterstützt. Dass sich die Musik von Phänomengruppen wie BTS, Big Bang, Twice oder eben Blackpink zu großen Teilen aus US-Quellen speist, macht keinen Unterschied. Denn erstens war das große Hin-und-her-Inspirieren schon immer ein Prinzip des Pop, zweitens integrieren die K-Stars zusätzlich eine Palette an südostasiatischen und arabischen Einflüssen. Vor allem: Es gibt derzeit sonst niemanden, der all die Versatzstücke so mutig, schnell pochend und social-media-gerecht zusammenfügt.
Überbordendes Bilder-Gewitter
Für die Schlüsselreize und Narrative, mit denen man heute das Digital-Native-Publikum unter 30 erreicht, haben die Produktionsschmieden Koreas ein unfassbares Händchen. Wer zum Beispiel das dreiminütige Blackpink-Video „Pink Venom“ sieht, hat hinterher den Eindruck, fünf verschiedene Songs gehört, zehn Videogames gespielt und acht Manga-Verfilmungen gesehen zu haben. Ein überbordendes Bilder-Gewitter, das dennoch weiter auf traditionelle Disziplinen wie Tanz und Gesang setzt und große, anschlussfähige Fortsetzungsgeschichten erzählt – das ist eines der Erfolgsgeheimnisse. Westliche Stars haben längst begonnen, das Konzept zu kopieren. Allein der letzte Eurovision Song Contest in Liverpool sah über weite Strecken wie eine verkappte K-Pop-Revue aus.
Was die politische, aufwieglerische Brisanz des K-Pop betrifft, sollte man sich jedoch keine allzu großen Hoffnungen machen. Natürlich hat die Ästhetik etwas herrlich Integratives, Grenzenloses – gleichzeitig achten die Firmen darauf, alles Kontroverse oder Erotische möglichst auf null zu reduzieren, zumindest die großen Player wie YG oder SM Entertainment. Sie sind ohnehin berüchtigt dafür, das Dasein ihrer eigens herantrainierten Stars umfassend zu regulieren. Mehrere tragische Selbstmordfälle von Künstlerinnen und Künstlern in den vergangenen Jahren wurden auf den immensen Druck zurückgeführt, der im Alltag der Branche herrscht. Was Psychologie und Arbeitsschutz betrifft, gibt es in der
K-Pop-Industrie noch eine Menge zu tun. „Wir dachten einfach immer nur: ,Lasst uns das gemeinsam überleben!‘“, sagte Sängerin Jennie Kim über ihre Erinnerungen an die Trainingszeit, als Blackpink kürzlich in der US-Show „Carpool Karaoke“ zu Gast waren. Für K-Pop-Verhältnisse sind schon das erstaunlich offene Worte. Ob auch unter südkoreanischen Superstars irgendwann eine Art Emanzipation stattfinden könnte, in deren Verlauf sie sich aus den Strukturen lossagen, eigene Firmen gründen und die mit ihnen gealterten Fans mit noch stärkeren Inhalten herausfordern, bleibt abzuwarten. K-Pop-Altstars gibt es noch nicht, dazu ist das Genre zu jung. Blackpink könnten mit der Zeit noch viel interessanter werden.
Joachim Hentschel ist freier Journalist und Autor. Unter anderem war er stellvertretender Chefredakteur des „Rolling Stone“. Sein aktuelles Buch „Dann sind wir Helden“ erzählt vom Kulturaustausch zwischen der BRD und der DDR.
Joachim Hentschel ist freier Journalist und Autor. Unter anderem war er stellvertretender Chefredakteur des „Rolling Stone“. Sein aktuelles Buch „Dann sind wir Helden“ erzählt vom Kulturaustausch zwischen der BRD und der DDR.
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