RUSSLAND

Bei Sanktionen kommt es auf die Ziele an

Wirtschaftliche Sanktionen gehören mittlerweile zum Standardinstrument internationaler Politik. In den vergangenen dreißig Jahren ist ihr Einsatz rapide angestiegen. Ihre Signalwirkung ist unersetzlich, aber die Effektivität teilweise umstritten. Das Beispiel der Russlandsanktionen zeigt: Gemeinsame Regeln und die Koordinierung unter Verbündeten machen Sanktionen wirksamer.

Text:  Sven Hilgers

RUSSLAND

Bei Sanktionen kommt es auf die Ziele an

Wirtschaftliche Sanktionen gehören mittlerweile zum Standardinstrument internationaler Politik. In den vergangenen dreißig Jahren ist ihr Einsatz rapide angestiegen. Ihre Signalwirkung ist unersetzlich, aber die Effektivität teilweise umstritten. Das Beispiel der Russlandsanktionen zeigt: Gemeinsame Regeln und die Koordinierung unter Verbündeten machen Sanktionen wirksamer.

Text:  Sven Hilgers


Die Handelsbeschränkungen in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg sind historisch gesehen einmalig: Nie zuvor wurde ein so umfassendes Sanktionsregime beschlossen wie diese Einschränkungen der G7-Staaten gegen Russland. Die Liste an Staaten, die sich den Beschränkungen anschlossen, aber auch der Umfang der Maßnahmen haben sich stetig erweitert. Vor allem Brüssel und Washington arbeiten weiter daran, Personen und Organisationen, die mithelfen, den Krieg zu verlängern, mit Zwangsmaßnahmen zu treffen. Doch Moskau hat sich auf Sanktionen eingestellt und versucht, seine Wirtschaft sanktionsfest umzubauen. Das führt wiederum zu neuen Anforderungen an die Sanktionen, damit sie ihre Wirkung entfalten können. Spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges sind Sanktionen eine Art Kriegsersatz geworden. Sie werden häufig verhängt, wenn Staaten nicht in der Lage oder willens sind, selbst militärisch einzugreifen. Das ist zunächst ein gutes Zeichen, denn Wirtschaftskriege sind im Ansatz weniger tödlich als echte Kriege. Aber wenn ein Instrument so vielseitig und häufig eingesetzt wird, dann droht es an Effektivität zu verlieren. Zunehmend stellen sich autokratische Regime auf mögliche wirtschaftliche Strafmaßnahmen ein, schotten sich ab oder suchen nach alternativen Handelsmöglichkeiten.

Gleichzeitig fehlt es bei einigen Sanktionen an einer klaren Zielbestimmung, was konkret erreicht und wann Handelsbeschränkungen wieder aufgehoben werden sollen. Deshalb ist für manchen Akteur nicht immer nachvollziehbar, wann die Sanktionen aufgehoben werden könnten oder unter welchen Bedingungen weiterhin mit einem sanktionierten Akteur wirtschaftliche Beziehungen bestehen dürfen. So werden Sanktionen entweder übererfüllt oder einfach ignoriert. Einige Unternehmen ziehen sich aus Märkten vollends zurück oder schließen Handelspartner von Märkten aus, weil die bürokratischen Kosten und das Risiko eines Verstoßes zu hoch sind. Umgekehrt werden Sanktionen aus ähnlichen Gründen nicht befolgt, weil die Regeln zu komplex, Schlupflöcher oder Kosten einer Befolgung zu groß sind. Die Effektivität wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen würde also von einer besseren Kommunikation und Transparenz hinsichtlich der strategischen Zielsetzung profitieren.

Ein Rastplatz an der georgisch-russischen Grenze. Hunderte Lkw warten auf die Abfertigung.

Sanktionen werden umgangen

Eine größere Herausforderung ist die vorsätzliche Umgehung von Sanktionen. Bei den Sanktionen gegen Russland ist eine Zunahme des Warenverkehrs mit Nachbarstaaten zu beobachten. Hinweise deuten darauf hin, dass diese zusätzlichen Lieferungen eigentlich für Russland bestimmt sind. Um die Umgehung von Sanktionen zu bekämpfen, gibt es vor allem zwei Möglichkeiten. Zum einen sollten Sanktionen mit möglichst vielen Staaten koordiniert werden, sodass eine relevante Marktgröße Umgehungsmöglichkeiten reduziert und die Einhaltung der Sanktionen verstärkt. Gerade bei Ausfuhrrestriktionen für kritische Technologien zeigt sich, dass mangelnde Koordinierung schnell die Effektivität zum Scheitern bringen kann. In den 1990er-Jahren hatten die USA Exportkontrollen für Satellitentechnologie nach China beschlossen. Europäische Unternehmen hatten den amerikanischen Marktanteil übernommen und China mit entsprechender Technologie beliefert. Im Fall von Russland ist es nun durch die Abstimmung unter den G7 und weiteren Verbündeten schon besser gelungen, aber dennoch hat Russland mit einigen Teilen der Welt den Handel sogar noch intensiviert.

Deswegen braucht es als zweite Möglichkeit auch Regeln für Drittstaaten, bei denen zumindest der Verdacht besteht, dass Güter am Ende in Russland landen könnten. Diese Maßnahmen beschränken nicht nur den direkten Export, sondern verpflichten auch den Handelspartner zur Einhaltung der Sanktionen. Die Vereinigten Staaten sind bei extraterritorialen Sanktionen Vorreiter, indem sie die Nutzer von US-Dollar oder des amerikanischen Finanzsystems an die Einhaltung der Sanktionen binden. Solche extraterritorialen Sanktionen nutzen unter anderem Knotenpunkte globaler Finanznetzwerke und Handelsströme, um eine möglichst große Wirkung zu erzielen, die über die eigene Wirtschaft hinausgeht. Ein prominentes Beispiel ist das Finanzkommunikationsnetzwerk SWIFT, das von 11 000 Banken in über 200 Ländern genutzt wird. Ein Ausschluss von SWIFT wirkt wie ein Ausschluss aus dem globalen Finanzsystem.

Ein zweischneidiges Schwert

Im Handelsbereich kann die Umgehung von Sanktionen beispielsweise mit Ausfuhrbeschränkungen an Drittstaaten erschwert werden. Dadurch droht Staaten und Unternehmen, die bei der Umgehung von Sanktionen behilflich sind, ein Ausschluss vom Handel mit dem europäischen Binnenmarkt. Diese Aussicht ist durchaus in der Lage, einige Staaten zum Einlenken zu bewegen. Die Breitenwirkung extraterritorialer Sanktionen ist jedoch auch ein zweischneidiges Schwert. Einerseits vergrößern sie die Reichweite der Maßnahmen und reduzieren Schlupflöcher. Anderseits bergen sie die Gefahr einer Fragmentierung globaler Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen, weil sich Akteure von entscheidenden Knotenpunkten zurückziehen, also beispielsweise Alternativen zu SWIFT aufbauen. Insofern sind sie mit Vorsicht anzuwenden, auch wenn sie für effektive Sanktionen durchgesetzt werden müssten.

Als besonders wirksam und zugleich schonend für die Zivilgesellschaft haben sich gezielte Maßnahmen erwiesen, bei denen beteiligte Personen sanktioniert und damit direkt von Geld und Handel ausgeschlossen werden. Der US-amerikanische Magnitsky Act aus dem Jahr 2012 war ein wichtiger Meilenstein, der auch zum Vorbild für den Sanktionsmechanismus wurde, den die EU 2020 beschloss. Bei künftigen Sanktionsmaßnahmen können auch digitale Technologien helfen, den Aggressor zielgenauer und empfindlicher zu sanktionieren. Das könnte helfen, die Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz der Maßnahmen zu vergrößern und gleichzeitig die Kosten für die eigenen Unternehmen zu verringern. Klare und präzise Regeln schaffen eine breitere Unterstützung für die Sanktionen – und machen sie deutlich wirksamer.

Umfassende Blockade

Sanktionen 2014

Als Russland die Krim im März 2014 annektierte, wurden gegen Russland 32 Sanktionen erlassen, die Ende Mai 2023 noch in Kraft waren. Mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der ukrainischen Gebiete Lugansk und Donezk am 23. Februar 2022 verschärften die westlichen Partner die Sanktionen.

1278 Massnahmen

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 verhängte die EU bis Ende Mai 2023 insgesamt 1278 Sanktionen gegen Russland.


Vermögenswerte

Individuelle Sanktionen richten sich gegen Personen, die für den Krieg verantwortlich sind oder davon profitieren. Dadurch können zum Beispiel Vermögenswerte eingefroren werden. Bis Ende Mai 2023 hat die EU 21,5 Milliarden € eingefroren.

Einkünfte

Ein Ölembargo und eine Ölpreisobergrenze sollen die Einkünfte Russlands verringern. 300 Milliarden € an Vermögenswerten der russischen Zentralbank wurden in der EU und den G7-Ländern blockiert.

Ein- und Ausfuhr

Die Handelsbeschränkungen haben viele Güter betroffen: Derzeit sind 49 % der Ausfuhren und 58 % der Einfuhren im Vergleich zu 2021 eingeschränkt. Weil Russland viele wirtschaftliche Daten nicht mehr veröffentlicht, lassen sich die Auswirkungen von Sanktionen nur schätzen. Experten sind sich aber einig, dass Russlands Wirtschaft langfristig stark getroffen ist.

Sven Hilgers ist Referent für Globalisierung, Freihandel und Marktwirtschaft in der Abteilung Globale Themen der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Sven Hilgers ist Referent für Globalisierung, Freihandel und Marktwirtschaft in der Abteilung Globale Themen der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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