Geldtransfer
Viele arme Länder sind auf Geld aus dem globalen Norden angewiesen.
Doch während die Entwicklungshilfe die meiste Aufmerksamkeit bekommt, machen
stille Überweisungen aus der Diaspora ein Vielfaches davon aus.
Text: Serafin Dinges
Wenn Taneisha Mitchell von ihrem Vater spricht, lächelt sie mit einer Mischung aus Fürsorge und Nostalgie. Er ist ein sehr aktiver Mann, sagt sie, obwohl er schon über 90 ist. „Wenn man ihn sieht, könnte man glauben, er ist in seinen Sechzigern“, erzählt sie im Büro eines Berliner Tech-Start-ups, in dem sie arbeitet. „Er war früher Bauarbeiter und hält sich immer noch fit.“ Mitchell wurde in Jamaika geboren, ihr Vater lebt noch immer dort. Vor gut fünf Jahren ist sie nach Deutschland gezogen und überweist seitdem monatlich ein paar Hundert Euro an ihren Vater. Der ist im Alter erblindet und bekommt in Jamaika keine nennenswerte Rente. Taneisha Mitchell ermöglicht ihm mit ihren Überweisungen einen würdevollen Ruhestand.
Solche Zahlungen werden auf Englisch „Remittances“ genannt, zu Deutsch etwa Rücküberweisungen. Diese Gelder fließen meistens aus reichen Ländern in einkommensschwächere Länder, in denen es oft kein gut ausgebautes, öffentliches Gesundheits- oder Rentensystem gibt. Diese Geldüberweisungen können einen großen Einfluss auf die örtliche Ökonomie haben. Laut Daten der Weltbank machten Remittances 2021 rund ein Viertel des BIP in Jamaika aus. In absoluten Zahlen sind Indien, Mexiko und China die größten Empfängerländer mit 50 bis 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Menschen wie Taneisha Mitchell bilden ein komplexes Netzwerk, das den gesamten Globus umspannt, Reichtum umverteilt und Familien, die sich oft jahrelang nicht gesehen haben, eng miteinander verknüpft. So fließt Geld von Großbritannien in die Türkei, aus den USA nach Indien, aus den Arabischen Emiraten nach Indonesien oder von Deutschland nach Syrien. Für die Überweisenden fallen dabei oft hohe Gebühren an – etwa 10 Prozent des Betrags sind es im Schnitt. Je ärmer das Land, desto schlechter ist meistens die Anbindung an das internationale Bankensystem und desto höher sind deshalb die Gebühren. Für Dienstleister wie Western Union oder MoneyGram ein gutes Geschäft auf dem Rücken der oft schlecht bezahlten Migrantinnen und Migranten.
Geld für Medizin
Auch nach Indonesien gehen im Jahr an die zehn Milliarden Dollar. Hier leben fast zehn Millionen Menschen unter der absoluten Armutsgrenze von 2,15 US-Dollar am Tag. Eine ordentliche gesundheitliche Versorgung hat nur, wer es sich leisten kann. Im Zweifel mithilfe der Familie, die Geld aus dem Ausland schickt. So wie Basilisa Dengen, die ihre Familie unterstützt, seit sie mit 22 ihr erstes Gehalt verdient hat.
Als ihre Mutter vor einigen Jahren an Krebs erkrankte, sollte sie wegen der besseren medizinischen Versorgung nach Malaysia geflogen werden. „Viele zweifeln an der Qualität der Ärzte oder Krankenhäuser in Indonesien. Man zahlt zwar viel, aber dafür ist die Qualität dann anders“, kommentiert Basilisa. Also legten sie und ihre Geschwister zusammen.
Auch nach Indonesien gehen im Jahr an die zehn Milliarden Dollar. Hier leben fast zehn Millionen Menschen unter der absoluten Armutsgrenze von 2,15 US-Dollar am Tag. Eine ordentliche gesundheitliche Versorgung hat nur, wer es sich leisten kann. Im Zweifel mithilfe der Familie, die Geld aus dem Ausland schickt. So wie Basilisa Dengen, die ihre Familie unterstützt, seit sie mit 22 ihr erstes Gehalt verdient hat.
Die kleinen Beträge entsprechen der anderthalbfachen offiziellen Entwicklungshilfe.
Auch Moro schickt regelmäßig Geld in seine Heimat Syrien. Der heute Anfang 30-Jährige ist mit 25 von dort geflohen und vermisst sein Zuhause sehr. Um seinen Hals trägt er die syrische Unabhängigkeitsflagge. In Syrien war er Bauer, erzählt er, „wir sind ganz besonders mit dem Boden verbunden“. Er wünschte, er könnte zurückkehren. Remittances sind für ihn ein Weg, mit seiner Heimat und seiner Familie verbunden zu bleiben. Sie üben aber auch enormen Druck auf Moro aus, der als Azubi in einer Konditorei selbst nur ein paar Hundert Euro im Monat zum Leben hat.
Auch Moro schickt regelmäßig Geld in seine Heimat Syrien. Der heute Anfang 30-Jährige ist mit 25 von dort geflohen und vermisst sein Zuhause sehr. Um seinen Hals trägt er die syrische Unabhängigkeitsflagge. In Syrien war er Bauer, erzählt er, „wir sind ganz besonders mit dem Boden verbunden“. Er wünschte, er könnte zurückkehren. Remittances sind für ihn ein Weg, mit seiner Heimat und seiner Familie verbunden zu bleiben. Sie üben aber auch enormen Druck auf Moro aus, der als Azubi in einer Konditorei selbst nur ein paar Hundert Euro im Monat zum Leben hat.
Kurz vor unserem Treffen erreicht ihn eine WhatsApp-Nachricht seiner Mutter. Seine Schwägerin erwartet ein Kind. Eine erfreuliche Angelegenheit eigentlich, doch wegen Komplikationen braucht die Familie nun Geld für einen Kaiserschnitt. Moro hat zwei bis drei Tage Zeit, um das Geld zu verschicken. Doch weil er keinen Pass hat, fallen klassische Dienste wie Western Union für ihn aus. Er ist stattdessen auf informelle, sogenannte Hawala-Netzwerke angewiesen, die ihn oft teurer zu stehen kommen. 25 Euro Gebühren sind es bei 200 Euro – 12,5 Prozent. Hier wird das Geld erst von Berlin in die Türkei, dann weiter nach Syrien vermittelt. Ein sicheres Ankommen ist nicht immer garantiert. Doch große medizinische Notfälle wie diese sind eher die Ausnahme. Der größte Teil der Remittances wird für Alltägliches benötigt: Miete, Essen, Transport. Was man eben zum Leben braucht.
Es gibt Millionen Menschen auf der Welt, die auf diesem Weg einem ganzen Anhang an Familie ein besseres Leben ermöglichen. Die Weltbank beziffert das globale Volumen an Remittances für 2022 auf rund 763 Milliarden US-Dollar. Dilip Ratha, leitender Ökonom bei der Weltbank und Experte für Remittances, machte vor zwanzig Jahren erste Hochrechnungen: „Ich war überrascht, dass diese kleinen Beträge zusammengerechnet schon damals eineinhalb mal so hoch waren wie die offizielle Entwicklungshilfe.“
„Dollars with care“
Remittances werden oft mit Entwicklungshilfe verglichen. Es ist in der Tat beachtlich, dass die geballte Kraft von oft schlecht bezahlten Migrantinnen und Migranten es schafft, mehr Geld in arme Länder zu schicken als die reichsten Staaten dieser Erde. Remittances haben ihren Platz neben der Entwicklungshilfe – können sie aber niemals ersetzen, glaubt Ratha. Straßen- oder Brückenbau, die Bekämpfung des Klimawandels, Infrastruktur, dafür brauche es öffentliches Geld, kein privates. Aber für den persönlichen Bedarf sind Remittances laut Ratha häufig eine viel bessere Lösung.
Er bezeichnet sie gerne liebevoll als „Dollars with care“, denn sie sind schnell, unbürokratisch und an keine Bedingungen gebunden. Bedingt durch die wachsenden Migrationszahlen, haben sich Remittances in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt, Tendenz steigend. Umso mehr ein Grund, warum Dilip Ratha diese oft unsichtbaren Geldüberweisungen stärker unterstützt sehen will. Seine aktuell größte Baustelle? Auf keinen Fall zu viel eingreifen, denn Remittances tun bereits, was sie sollen. Aber, ergänzt er, die Gebühren müssen sinken.
Serafin Dinges lebt als freier Journalist in Berlin und Manchester. Er arbeitet vor allem für den Hörfunk und produziert den Podcast „Off/On“ der Recherche-Plattform netzpolitik.org.
Serafin Dinges lebt als freier Journalist in Berlin und Manchester. Er arbeitet vor allem für den Hörfunk und produziert den Podcast „Off/On“ der Recherche-Plattform netzpolitik.org.
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