Der Eisberg

Es drohen schwere
finanzpolitische Zeiten

Der Eisberg

Es drohen schwere
finanzpolitische Zeiten


Ehrlich war sie, die Rede zum Bundeshaushalt 2024. Eindringlich machte der liberale Bundesfinanzminister Christian Lindner deutlich, dass dieser Haushalt nur den Beginn eines Sparprogramms liefert, das sich über Jahre hinziehen wird. Ganz zum Schluss schaute er dann mit Blick auf das Budget für Verteidigung in die Zukunft jenseits der mittelfristigen Finanzplanung – und sprach von einem Eisberg, der nach 2028 auf uns warte. Dann muss die Erfüllung des deutschen NATO-Versprechens, mindestens zwei Prozent der Wertschöpfung für Verteidigung aufzubringen, aus dem regulären Haushalt finanziert werden – und nicht über ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro. Das läuft auf eine Zusatzbelastung des Haushalts von weit mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr hinaus. Und schnell könnten zweistellige Milliarden-Beträge dazukommen, sollten die Zinsen steigen und den Kapitaldienst erneut verteuern.

Lindners Diagnose ist richtig. Merkwürdig nur, dass in der Ampelkoalition außer der FDP-Fraktion, die ihm wiederholt kräftig applaudierte, kaum jemand den Ernst der Lage zu erkennen scheint. Von SPD und Grünen gab es nur müde und spärliche Zustimmung für jene Redepassagen, die das unumgängliche Umsteuern zum Sparkurs betonten, während sich die Opposition in pflichtgemäßer Zurückhaltung übte. All dies macht den Eindruck, dass die meisten Volksvertreter den Ernst der Lage noch nicht annähernd erkannt haben – von mentaler „Zeitenwende“ keine Spur. Offenbar träumen viele noch davon, dass irgendwann ein Wunder geschieht oder doch noch die Steuern erhöht werden und die Schuldenbremse fällt. Dies ist in hohem Maße fahrlässig, weil die glanzvolle AAA-Bonität des deutschen Staates als Schuldner auf dem Spiel steht, wie Lindner eindrucksvoll betonte. Ginge sie verloren, könnte es zu einer unkontrollierbaren Spirale der Verschuldung kommen – in Deutschland und im Gefolge auch im Euroraum.

Lindners Weckruf war laut, und seine Botschaft war klar: Wir müssen umsteuern, und dies nicht zulasten der Zukunftsinvestitionen. Das kann nur heißen: Konsolidierung des Sozialstaats auf jenes Niveau, das mit den öffentlichen Einnahmen auch finanziert werden kann. Und die sind deutschlandweit hoch: Gesamtstaatlich liegen sie ab 2025 wohl über einer Billion Euro, für den Bund allein bei rund 400 Milliarden Euro. Selbst bei dem mäßigen Wirtschaftswachstum, das zu erwarten ist, sorgt die Progression des Steuersystems laut Steuerschätzung vom Mai 2023 bis 2027 für eine Zunahme der Steuerquote um 0,8 Prozentpunkte – von 22,4 auf 23,2 Prozent, ein neuer Höchststand. Also: Geld wäre genügend da, wenn endlich auch der politische Wille hinzukäme, mit der Reform des Sozialstaats ernst zu machen und möglichst parallel das Wachstum zu fördern, vor allem durch Entlastung der Unternehmen von Steuern und Bürokratie.

Fazit: Deutschland steht wie lange nicht mehr an einer Scharnierstelle seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Die Rede Lindners zum Etat 2024 hat dies deutlich gemacht. Man wird sich in einigen Jahren an sie erinnern – entweder als gelungener Startschuss zu grundlegenden Reformen oder als letzte Warnung vor dem fiskalischen und wirtschaftlichen Scheitern einer ehemals großen Industrienation. Wir haben die Wahl.

Karl-Heinz Paqué ist Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Karl-Heinz Paqué ist Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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