Vernetzte Diktatoren

Autocracy
Inc.

Diktatoren und Autokraten auf der ganzen Welt sind eng miteinander verbunden. Sie alle haben die gleichen Ziele: persönliche Bereicherung und Machterhalt.

Text: Anne Applebaum
Illustrationen: Nash Weerasekera

Vernetzte Diktatoren

Autocracy Inc.

Diktatoren und Autokraten auf der ganzen Welt sind eng miteinander verbunden. Sie alle haben die gleichen Ziele: persönliche Bereicherung und Machterhalt.

Text: Anne Applebaum
Illustrationen: Nash weerasekera


Während Sie diesen Text lesen, kämpft das Putin-Regime darum, Teile der Ukraine zu besetzen und die Ukraine zu zerstören. Gleichzeitig will Russland der Außenwelt zeigen, dass es sich längst nicht mehr um Menschenrechte, die Achtung von Grenzen, das Kriegsrecht oder siebzig Jahre europäische und UN-Diplomatie schert. Und im gleichen Moment gehen in einem anderen Teil der Welt iranische Polizei- und Sicherheitsdienste ebenfalls mit großer Brutalität vor: Ein junges iranisches Mädchen wurde ermordet, weil es ein Widerstandslied gesungen hatte. Und in der Zwischenzeit hat die Kommunistische Partei Chinas die Herrschaft von Xi Jinping dauerhaft gefestigt. Er ist nun de facto der Diktator des größten Landes der Welt.

Normalerweise denken wir, dass diese Ereignisse in Russland, Iran und China in unterschiedlichen geografischen Gebieten stattfinden und wenig miteinander zu tun haben. Doch es ist kein Zufall, dass sie sich alle zeitgleich abspielen. Denn diese Ereignisse sind eng miteinander verbunden.

Wir alle haben eine feste Vorstellung von einem autokratischen Staat. An der Spitze steht ein böser Mann. Er kontrolliert die Polizei. Die Polizei bedroht das Volk mit Gewalt. Es gibt böse Kollaborateure und vielleicht ein paar tapfere Dissidenten.

Im 21. Jahrhundert hat dieses Zerrbild aber kaum Ähnlichkeit mit der Rea-lität. Heutzutage werden Autokratien nicht von einem einzigen Bösewicht geführt, sondern von komplexen Netzwerken und kleptokratischen Finanzstrukturen, denen Sicherheitsdienste und Propagandisten angehören. Die Mitglieder dieser Netze sind nicht nur innerhalb eines Landes, sondern mit Mitgliedern in vielen Ländern eng verbunden. Die korrupten, staatlich kon-trollierten Unternehmen in einer Diktatur machen -Geschäfte mit korrupten, staatlich kontrollierten Unternehmen in einem anderen Land. Die Polizei in einem Staat kann die Polizei in einem anderen Staat bewaffnen, ausrüsten und ausbilden. Die Propagandisten wiederum teilen sich Ressourcen. Die Troll-Farmen, die die Propaganda eines Diktators verbreiten, können auch für die Propaganda eines anderen genutzt werden, um die gleichen Botschaften über die Schwäche der Demokratie und das Böse Amerikas zu verbreiten.

Pragmatische Autokraten

Das bedeutet allerdings nicht, dass es wie in einem James-Bond-Film einen supergeheimen Raum gibt, in dem sich die Bösewichte treffen. Auch hat die neue autokratische Allianz keine einheitliche Ideologie. Unter den modernen Diktatoren gibt es Leute, die sich als Kommunisten, Nationalisten und Theokraten bezeichnen. Der Putinismus, der Chavismus, die nordkoreanische Juche-Ideologie, die Islamische Republik und der chinesische Kommunismus haben alle unterschiedliche historische Wurzeln und ein unterschiedliches Erscheinungsbild.

Diese Gruppe wird auch nicht von einem Land angeführt. Was die Mitglieder dieses Clubs wirklich verbindet, ist der Wunsch, ihre persönliche Macht und ihren Reichtum zu erhalten und zu vergrößern. Im Gegensatz zu anderen militärischen oder politischen Bündnissen agieren die autokratischen Mitglieder nicht wie ein einheitlicher Block, sondern wie eine Gruppe von Unternehmen: eine Autocracy Inc. Ihre Verbindungen gründen nicht auf Idealen, sondern auf Geschäften, die den Wirtschaftsboykott des Westens abschwächen oder sie persönlich reich machen sollen. Aus dem Grund können sie so einfach über ideologische, geografische und historische Grenzen hinweg operieren.

Ein Kampf gegen viele Herrscher

Wie funktioniert das? Hier ein Beispiel: Theoretisch ist Venezuela ein internationaler Pariastaat. Seit 2008 haben die USA, Kanada, die EU und viele südamerikanische Nachbarländer Venezuelas ihre Sanktionen gegen das Land verschärft. Und doch erhält das Regime von Nicolás Maduro Kredite und Ölinvestitionen aus Russland. Die Türkei erleichtert den illegalen venezolanischen Goldhandel. Kuba stellt den Machthabern des Landes seit Langem Sicherheitsberater und Sicherheitstechnologie zur Verfügung. Die Venezolaner nutzen Apps und Online-Überwachungstechnologie, die auch aus China stammen.

Autokraten, die sich das Maduro-Modell zu eigen machen, akzeptieren, dass ihr Land zum gescheiterten Staat wird. Um an der Macht zu bleiben, nehmen sie wirtschaftlichen Zusammenbruch, Isolation und Massenarmut in Kauf.

In der venezolanischen Opposition gibt es charismatische Führer wie Leopoldo López und engagierte Basisaktivisten, die Millionen von Menschen dazu gebracht haben, auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Wäre ihr einziger Feind das korrupte, bankrotte venezolanische Regime, dann könnten sie gewinnen. ­Aber López und seine Mitstreiter kämpfen in Wirklichkeit gegen mehrere Autokraten in unterschiedlichen Ländern. Sie kämpfen so wie viele andere gewöhnliche Menschen, die durch erlebte Ungerechtigkeit in die Politik getrieben wurden – wie Swjatlana Zichanouskaja in Weißrussland, wie die Anführer der Protestbewegung in Hongkong, wie die Kubaner, die Simbabwer, die Iraner und die Burmesen, die sich für die Demokratie in ihren Ländern einsetzen. Sie kämpfen gegen Menschen, die staatliche Unternehmen kontrollieren und aus rein politischen Gründen über milliardenschwere Investitionen entscheiden können. Sie kämpfen gegen Menschen, die hoch entwickelte Überwachungstechnologie ­aus China oder Bots aus Sankt Petersburg kaufen können. Vor allem aber kämpfen sie gegen Menschen, die sich einfach an die Gefühle und Meinungen ihrer Landsleute gewöhnt haben. Denn Autocracy Incorporated gewährt ihren Mitgliedern nicht nur Geld und Sicherheit, sondern auch etwas weniger Greifbares, aber ebenso Wichtiges: Straffreiheit.

Diktatoren verachten die öffentliche Meinung

Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, wie neu dieses Phänomen ist. Es gab einmal eine Zeit, in der sich die Führer der Sowjetunion, der mächtigsten Autokratie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sehr darum sorgten, wie sie in der Welt wahrgenommen wurden. Sie warben vehement für die Überlegenheit ihres politischen Systems und protestierten, wenn es kritisiert wurde, oder schlugen bei der UNO sogar mit dem Schuh auf den Tisch. Heute ist es den brutalsten Mitgliedern der Autokratie Incorporated egal, ob und von wem ihre Länder kritisiert werden.

Im Extremfall kann diese Verachtung zu dem führen, was der serbische Demokratieaktivist Srdja Popovic in Anlehnung an Venezuelas Staatschef als „Maduro-Modell“ bezeichnet hat. Autokraten, die sich dieses Modell zu eigen machen, sind „bereit dafür, dass ihr Land in die Kategorie der gescheiterten Staaten fällt“, sie nehmen den wirtschaftlichen Zusammenbruch, die Isolation und die Massenarmut in Kauf, wenn das nötig ist, um an der Macht zu bleiben – so wie es in Venezuela der Fall ist. Assad hat das Maduro-Modell in Syrien angewandt. Lukaschenko bereitet es in Weißrussland vor. Es scheint das zu sein, was die Taliban-Führung vorhatte, als sie Kabul besetzte, und was Putin für Russland will. Ziel ist dabei nicht, Wohlstand oder Wohlergehen für das Volk zu schaffen. Ziel ist es, sich und die eigene Familie zu bereichern und die Kontrolle zu ­behalten.

Mitläufer profitieren

Wie ist es möglich, dass moderne Autokraten ungestraft davonkommen? Ein Teil der Antwort liegt darin, dass sie viele Menschen in der Welt davon überzeugt haben, mitzumachen. Dafür habe ich ein Beispiel, das mir die Uiguren in Istanbul erzählt haben. Ich habe letztes Jahr mehrere von ihnen kennengelernt, ganz normale Menschen, Studenten oder Büroangestellte. Aber einigen von ihnen passierte etwas Außergewöhnliches: Außerhalb ihres Landes erfuhren sie, dass ihre Eltern verhaftet worden waren, ihre Geschwister nicht mehr auf Anrufe reagierten oder die Häuser ihrer Familie verlassen waren. Ich traf eine uigurische Frau, deren Mann mit mehreren ihrer Kinder verschwunden war. Später erkannte sie ihre Tochter auf einem Foto aus einem chinesischen Waisenhaus wieder.

Zu einer anderen Zeit hätten diese Opfer viel Mitgefühl in der Türkei erfahren, denn das Land ist mit der uigurischen Gemeinschaft durch Religion, ethnische Zugehörigkeit und Sprache auf einzigartige Weise verbunden. Noch 2009, bevor die Konzentrationslager in Xinjiang eröffnet wurden, bezeichnete der damalige türkische Ministerpräsident Erdoğan die chinesische Unterdrückung der Uiguren als „Völkermord“. 2012 brachte er Geschäftsleute mit nach Xinjiang und versprach, dort in uigurische Unternehmen zu investieren.

„Freundschaften“ lohnen sich

Doch mittlerweile hat sich Erdoğan selbst gegen die Rechtsstaatlichkeit, gegen unabhängige Medien und gegen unabhängige Gerichte im eigenen Land gewandt. Während er europäischen und NATO-Verbündeten gegenüber offen feindselig auftritt, eigene Dissidenten verhaften und ins Gefängnis stecken lässt, interessiert sich Erdoğan zunehmend für chinesische Freundschaften, Investitionen und Technologien – genauso wie seine Bereitschaft wächst, Chinas Propaganda zu folgen. Gleichzeitig hat sich auch die offizielle Position der Türkei gegenüber den Uiguren verändert.

Die Oppositionsparteien, Medien, die öffentliche Meinung sind demokratische Reste in albautokratischen Staaten. Das muss eine Regierung, die sich demokratischen Wahlen stellen muss, berücksichtigen.

Anders in Ländern, in denen Opposition, Medien und öffentliche Meinung weniger zählen. Das ist sogar der Fall in muslimischen Ländern, wo man erwarten könnte, dass sie sich gegen die Unterdrückung anderer Muslime aussprechen. Pakistans Ex-Premiermi­nister Imran Khan erklärte einmal unverblümt, dass „wir die chinesische Version“ des chinesisch-uigurischen Streits akzeptieren. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten haben angeblich alle Uiguren verhaftet und ohne große Diskussion abgeschoben. Nicht zufällig handelt es sich dabei um Länder, die gute wirtschaftliche Beziehungen zu China unterhalten und chinesische Überwachungstechnologie erworben haben.

In der Tat ist hier ein Muster erkennbar. Die Chinesen bieten Autokraten und Möchtegern-Autokraten in aller Welt ein Paket an, das in etwa so aussieht: Folgen Sie Chinas Führung in Bezug auf Hongkong, Tibet, die Uiguren und die Menschenrechte. Kaufen Sie chinesische Überwachungstechnik. Akzeptieren Sie chinesische Investitionen – vorzugsweise in Unternehmen, die Sie persönlich kontrollieren, oder die Ihnen zumindest Schmiergelder zahlen. Dann können Sie sich entspannt zurücklehnen. Denn Sie wissen, dass Sie und Ihre Freunde an der Macht bleiben, egal wie schlecht Ihr Image in den Augen der internationalen Menschenrechtsgemeinschaft ist und wie sehr Ihre Landsleute leiden.

Der Westen macht mit

Aber sind wir anders? Wir Amerikaner, wir Europäer? Im Frühjahr 2015 habe ich geholfen, einen Bericht über russische Desinformation in Mittel- und Osteuropa zu veröffentlichen. Zusammen mit einem Kollegen wurde ich in Washington, auf dem Capitol Hill, im Außenministerium und bei jedem, der zuhören wollte, vorstellig. Die Reaktion war höfliches Interesse, mehr nicht: „Es tut uns sehr leid, dass die Slowakei und Slowenien diese Probleme haben – aber das kann hier in Amerika nicht passieren.“

Ein paar Monate später geschah es dann doch. Russische Trolle operierten von Sankt Petersburg aus und versuchten, den Ausgang einer amerikanischen Wahl so zu beeinflussen, wie sie es in Mitteleuropa getan hatten. Sie nutzten gefälschte Facebook-Seiten und gefälschte Twitter-Konten. Sie versuchten, Gruppen wie die National Rifle Association zu infiltrieren. Sie teilten gehacktes Material des Demokratischen Nationalkomitees mit Wikileaks und halfen dabei, es in Verschwörungstheorien umzuwandeln.

Jedenfalls wird ein Rechtsstaat gewiss nicht dadurch wehrhafter, dass er den anderen, auch ganz anderen, das Vertrauen in deren potenzielle Mündigkeit a priori entzieht. Schon gar nicht durch direkte Verbote oder Einschränkungen elementarer Grundfreiheiten. Er wird vielmehr schwächer, gar kritisch in seiner Grundsubstanz angegriffen. Früher, selbst im staatlichen Krisenjahr 1968, wusste und begriff man das noch. Zumindest im liberalen Lager.

Anne Applebaum ist eine US-amerikanische Journalistin und Historikerin. Ihre Arbeiten über die jüngere Geschichte Osteuropas wurden mehrfach ausgezeichnet.

Anne Applebaum ist eine US-amerikanische Journalistin und Historikerin. Ihre Arbeiten über die jüngere Geschichte Osteuropas wurden mehrfach ausgezeichnet.


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