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Hip-Hop
„I’m not a
businessman,
I’m a
business, man!“
Mächtig, rough und exzentrisch: Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt eine Ausstellung, die die Hip-Hop-Kultur feiert, ihren Einfluss auf Kunst, Kultur und Wirtschaft illustriert und von Selbstermächtigung und Freiheit erzählt.
Text: Katharina Rudolph
Hip-Hop
„I’m not a businessman,
I’m a business, man!“
Mächtig, rough und exzentrisch: Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt eine Ausstellung, die die Hip-Hop-Kultur feiert, ihren Einfluss auf Kunst, Kultur und Wirtschaft illustriert und von Selbstermächtigung und Freiheit erzählt.
Text: Katharina Rudolph
Es ist der 11. August 1973 in der 1520 Sedgwick Avenue im New Yorker Stadtteil Bronx. Gangs regieren das Viertel, es herrschen Arbeitslosigkeit und Armut. Die Teenagerin Cindy Campbell und ihr Bruder Clive, genannt Kool Herc, beide Graffiti-Writer und Kinder jamaikanischer Einwanderer, schmeißen eine Party im Gemeinschaftsraum des Sozialbaus, in dem sie mit ihren Eltern wohnen. Cindy hat das Fest organisiert, weil sie Geld für Schulbücher und Klamotten braucht. Kool Herc, der mit der Anlage seines Vaters an neuer Musik herumprobiert, macht den DJ. Er spielt, anders als damals üblich, keine Discomusik, sondern extrahiert aus Funk-Songs sogenannte Breakbeats, kurze Sequenzen, in denen nur rhythmische Schlagzeugklänge zu hören sind, und mischt sie hintereinander. Darüber spricht er kleine Ansagen, um das Publikum und die Tänzerinnen und Tänzer, die sich wilde Battles liefern, anzuheizen.
Heute, 50 Jahre später, trägt die Sedgwick Avenue den Beinamen Hip Hop Boulevard. Die Feier im Sommer 1973 gilt als Geburtsstunde des Hip-Hops, weil dort erstmals prägende Elemente und deren Vorläufer zusammenkamen: Graffiti, DJing, Breakbeats, Rap, Breakdance. Rasant verwandelte sich die Partykultur benachteiligter Bronx-Kids in den folgenden Jahren zu einem globalen Massenphänomen. Ein überwältigender Aufstieg. Was für einen tiefgreifenden Einfluss Hip-Hop auf Kunst und Kommerz, Kultur und Soziales hat, zeigt nun eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn.
Dabei erzählt sie viel von Widerstand und Selbstermächtigung, von Befreiung und Freiheit. Ein minimalistisches Werk des US-Künstlers Robert Pruitt etwa zeigt an zwei Enden in der Horizontalen befestigte Goldketten auf schwarzem Grund. Pruitt bezieht sich auf die Bling-Bling-Mentalität des Hip-Hops, auf das exzessive Tragen von Klunkern, entstanden aus dem Wunsch nach Anerkennung und Abgrenzung zugleich. Die vornehmlich Schwarzen Menschen, die in der Frühphase des Hip-Hops auflegten, rappten, breakten und ihre Tags in die Straßen kritzelten, wollten vor allem eines: gesehen werden. Pruitts Arbeit hat aber noch eine weitere Dimension: Die durch die Ketten geformten Linien zeigen Routen des Sklavenhandels von Afrika nach Amerika.
Zunehmende Politisierung
Seit den 1980er-Jahren war die Hip-Hop-Kultur zunehmend politisch geworden, man denke an den legendären Song „The Message“ von Grandmaster Flash & the Furious Five (1982), in dem es um den Alltag in den abgehängten Vierteln geht, um Perspektivlosigkeit, Kriminalität und Polizeigewalt. Im Katalog der Schau, die vom Baltimore Art Museum und dem Saint Louis Art Museum entwickelt wurde und nun auch in Deutschland zu sehen ist, schreibt Kulturwissenschaftler Todd Boyd, der Hip-Hop habe den Menschen eine neue Möglichkeit gegeben, sich auszudrücken, habe Bilder geliefert, mit denen sie sich identifizieren konnten. Und: „Hip-Hop hat dazu beigetragen, den Weg zu ebnen für die Wahl des ersten afroamerikanischen Präsidenten.“
Ich feiere das Leben derer, die für die heutigen People of Color den Weg geebnet haben.
Gleich mehrere Künstlerinnen und Künstler spielen in den in Frankfurt gezeigten Arbeiten mit Symbolen, Stilen, Materialien westlicher Hochkultur. „Ich recherchiere Objekte aus königlichen Porzellanmanufakturen“, sagt der puerto-ricanisch-stämmige Roberto Lugo, „und reproduziere und rekontextualisiere sie, indem ich bestimmte People of Color auf diesen edlen Objekten zeige und das Leben derer feiere, die für die heutigen People of Color den Weg geebnet haben.“
Lugos in Frankfurt gezeigter „Street Shrine“, eine fast anderthalb Meter hohe Vase, erinnert an eine Urne, ist mit antiken und asiatisch anmutenden Ornamenten, mit Graffiti-Buchstaben sowie Versace-Mustern versehen – und dem Konterfei des 1997 ermordeten Notorious B.I.G. Biggie, so sein Spitzname, ist eine Galionsfigur des Hip-Hop, auf die sich in Kunst, Musik und Mode immer wieder bezogen wird. Neben dem „Verwischen von bildender Kunst und Straßenkultur“, so eine der Kuratorinnen der Schau, „haben zeitgenössische Hip-Hop-Künstler eine selbstreferenzielle Sprache entwickelt“. Nicht mehr Raffael oder Michelangelo inspirierten sie, sondern Ikonen wie Tupac Shakur, Notorious B.I.G. oder Mary J. Blige.
Die Versace-Sonnenbrille übrigens, die Notorious B.I.G. auf Roberto Lugos Vase trägt, wird mittlerweile unter dem Namen „Biggie“ vermarktet. „I’m not a businessman, I’m a business, man!“, zitiert die Ausstellung Rapper-Mogul Jay-Z. Anhand zahlreicher Mode-Exponate von Nike bis Gucci ist in Frankfurt auch zu erleben, welches wirtschaftliche Kapital im Hip-Hop steckt und wie sich Fashionbranche und Hip-Hop-Kultur monetär befeuern.
Kritik am Ruhm
Dabei sehen manche Künstlerinnen und Künstler das Rapper-Ideal von Ruhm und Reichtum durchaus kritisch. Ein Video des 1986 geborenen Larry W. Cook zeigt einen im Kreis wirbelnden Lamborghini und rundherum begeisterte Zuschauer, die den Fahrer der Luxuskarosse anfeuern. Für einen kurzen Moment rollt ein rotes Mini-Cabrio, in dem ein kleines Kind sitzt, durchs Bild. Der Film ist ein Ausschnitt aus einem Musikvideo, wobei Cook den Ton durch eine verzerrte Version der „I have a dream“-Rede von Martin Luther King ersetzt hat. Sein Video suggeriere, so der Künstler, „dass der im Hip-Hop verherrlichte Materialismus für viele zum American Dream geworden ist“.
Auch Geschlechterstereotype werden in der Schau thematisiert, etwa wenn die amerikanische Künstlerin Nina Chanel Abney auf rosafarbenem Holz eine knallig-bunte Collage arrangiert, auf der Autos, eine Jacht, Palmen und Dollarzeichen zu sehen sind sowie drei nackte Schwarze Frauen, die sich fast frivol um einen Rapper in der Mitte des Bildes bewegen.
Welches Fazit lässt sich am Ende von dieser Ausstellung ziehen? Sie fordert mit Wucht westliche Sehgewohnheiten heraus. Sie konfrontiert ihre Betrachter mit Künstlerinnen und Künstlern, deren Namen hierzulande nur wenig präsent sind, sowie mit Werken, die den westlichen Kunstkanon teils kritisch aufgreifen – und die fragen: Wessen Geschichten werden in Museen erzählt und wessen (noch) nicht?
Katharina Rudolph ist promovierte Historikerin und arbeitet als freiberufliche Journalistin vor allem zu Kunst, Wissenschaft, Architektur und Literatur.
Katharina Rudolph ist promovierte Historikerin und arbeitet als freiberufliche Journalistin vor allem zu Kunst, Wissenschaft, Architektur und Literatur.
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