In der Gegenwart
„Kunst ist eine Waffe“
Am Fluss Dnepr stellte Émeric Lhuisset ein historisches Gemälde des Malers Ilja Repin nach. Das Foto verbreitete sich in den sozialen Medien wie ein Lauffeuer und steht inzwischen ikonografisch für den Widerstand der Ukrainer.
Im 19. Jahrhundert schuf der Maler mit ukrainischen Wurzeln das Gemälde „Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief“. Darin stellen sie dem Oberhaupt des Osmanischen Reiches, das sie zur Unterwerfung auffordert, eine Liste grober Beschimpfungen zusammen.
Der französische Künstler Émeric Lhuisset hinterfragt, wie Konflikte erzählt und dargestellt werden. Mit seinen theatralischen Nachstellungen historischer Gemälde im Nahen Osten, in Syrien, der Türkei und in Afghanistan verändert er auch unseren Blick auf den Krieg. In der Ukraine inszenierte er Soldaten wie in einem historischen Gemälde. Das Bild ging in den sozialen Medien viral und wurde zum Symbol für den ukrainischen Freiheitskampf.
Interview: Axel Novak
In der Gegenwart
„Kunst ist eine Waffe“
Am Fluss Dnepr stellte Émeric Lhuisset ein historisches Gemälde des Malers Ilja Repin nach. Das Foto verbreitete sich in den sozialen Medien wie ein Lauffeuer und steht inzwischen ikonografisch für den Widerstand der Ukrainer.
Im 19. Jahrhundert schuf der Maler mit ukrainischen Wurzeln das Gemälde „Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief“. Darin stellen sie dem Oberhaupt des Osmanischen Reiches, das sie zur Unterwerfung auffordert, eine Liste grober Beschimpfungen zusammen.
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Text: Philipp Hindahl
Was interessiert Sie an Kriegen, dass Sie so lange in Konfliktgebieten arbeiten – erst im Nahen Osten, in Syrien, in der Türkei und in Afghanistan, nun in der Ukraine?
Mein Interesse ist zuerst biografisch. Die ersten Bilder, die ich gesehen habe, waren in Geschichtsbüchern, aber ich erinnere mich auch an den Wandteppich von Bayeux. Das sind Kunstwerke, die mit Geschichte zu tun haben und sie erzählen. Als ich klein war, habe ich bei meiner Großmutter Geschichtsbücher aus den 1930er-Jahren gesehen. Da fiel mir auf, dass sich die Geschichte in diesen Büchern stark von der Geschichte unterschied, die ich in der Schule lernte. Damals habe ich gemerkt, dass geschichtliche Erzählung aus einer Vielzahl von Erzählungen besteht, die sich je nach Ort oder nach politischer Ausrichtung unterscheiden. Das hat mich früh fasziniert.
Nach dem Überfall 2022 verbreitete sich der Satz eines ukrainischen Soldaten: „Russian warship, go fuck yourself.“
Das hat mich inspiriert.
Sie sagten vor einiger Zeit mal, Kunst sei eine Waffe. Wie werden Ihre Bilder zur Waffe?
Ich nutze klassische Vorbilder. Damit habe ich vor allem zwischen 2010 und 2012 im Guerillakrieg der Kurden im Irak gearbeitet. Ich habe die Kämpfer aufgefordert, alte Gemälde nachzustellen. Da entstanden Bilder mit einer irritierenden Gestik, die für die Malerei typisch ist und daher verriet, dass es sich um eine Inszenierung handelt. Auch Kriege werden oft theatralisch inszeniert. Der Betrachter meiner Fotos soll darüber nachdenken, wie das geschieht. Bekannte Kriegsfotos sind ja nachgestellt, wie „Hissen der Flagge auf Iwo Jima“ 1945 von Joe Rosenthal oder „Loyalistischer Soldat im Moment des Todes“ von Robert Capa aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Deswegen heißen meine Bilder, die ich mit den kurdischen Freiheitskämpfern gemacht habe, „Theatre de la Guerre – Kriegstheater“. Der Begriff stammt übrigens von Clausewitz.
Wie sind Sie auf die Ukraine gekommen?
Ich wollte herausfinden, was einen geschichtlichen Prozess auslöst, aber auch, wie über die Ereignisse hinterher von wem und mit welcher Absicht erzählt wird. Mit den Demonstrationen im Jahr 2013 in der Ukraine habe ich begonnen, mich für das Land zu interessieren. Aber die Berichterstattung in den prorussischen und in den westlichen Medien war sehr unterschiedlich. Für mich war klar: Ich musste selbst verstehen, was dort passiert. Als ich im Februar 2014 in die Ukraine kam, war gerade der Präsident geflohen. Es gab keine Regierung, keine Polizei – es wirkte in dem Moment, als wäre alles möglich. Ich habe dann 100 Demonstranten auf dem Maidan-Platz porträtiert und sie gebeten, aufzuschreiben, was gerade passiert und welche Hoffnungen sie damit verbinden. Mir ging es darum, die Propaganda der russischsprachigen Medien zu dekonstruieren und vor allem die Menschen sprechen zu lassen, die auf die Straße gehen. Ich habe später heimlich einige dieser Porträts im russisch besetzten Donezk verteilt – und dann miterlebt, wie die Menschen dort über die Porträts und die Aussagen der Demonstranten diskutierten.
Eines Ihrer Fotos ist in der Ukraine zur Ikone geworden. Die Vorlage malte der Künstler Ilja Repin Ende des 19. Jahrhunderts und trägt den Titel „Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief“. Sie haben es mit ukrainischen Soldaten nachgestellt. Wie sind Sie auf die Vorlage gekommen?
Das Bild hat für die Ukraine eine große Bedeutung. Schon 2014 war es auf den Demonstrationen auf dem Maidan überall zu sehen. Anschließend schenkte mir ein Freund eine Kopie davon. Als sich unmittelbar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 der Satz „Russian warship, go fuck yourself“ des ukrainischen Soldaten Roman Gribov viral verbreitete, dachte ich sofort an dieses Bild. Ich fand, es wäre super, diese Szene nachzustellen.
Aber Repin ist doch Russe, oder?
Ilja Repin ist Sohn ukrainischer Eltern, sprach Ukrainisch und hat zum ukrainischen kulturellen Selbstverständnis beigetragen – das ist im Westen jedoch kaum bekannt. Noch 2021 gab es in Paris eine Ausstellung über Ilja Repin als „Maler der russischen Seele“. Das stand für Russlands Haltung, die Geschichte der Ukraine systematisch für sich zu beanspruchen, um die eigene Geschichte zu legitimieren. Diese Aneignung findet sich in ganz vielen Bereichen wieder. Das macht diesen Krieg so imperialistisch und kolonialistisch.
Was zeigt denn die Vorlage genau?
Das ursprüngliche Gemälde zeigt die Kosaken, wie sie dem Sultan des Osmanischen Reiches, der sie zur Unterwerfung aufgefordert hat, einen Brief schreiben. Dieser Brief ist eine großartige Auflistung aller Arten von Beschimpfungen, die damals aktuell waren – deswegen passt das Bild perfekt zu dem Ausruf von Roman Gribov.
Wie haben Sie das Bild nach-gestellt?
Anfangs ging ich davon aus, dass Roman Gribov tot ist, dann erfuhr ich im Juni 2022 aus einer Lokalzeitung, dass er noch lebt. Über die sozialen Medien habe ich Kontakt zu ihm aufgenommen, das Shooting fand mit 40 Soldaten von der Territorialverteidigung Anfang September 2023 am Fluss Dnepr statt. Dank der hohen Auflösung sind auf dem Bild viele Details und historische Anspielungen zu erkennen.
Was geschieht nun mit dem Bild?
Ich habe dem Museum im ukrainischen Cherson einen Ausdruck in Originalauflösung geschenkt. Das Museum ist ja vollständig geplündert worden, als die Russen abgezogen sind. Jetzt ist mein Bild eines der ersten einer künftigen neuen Sammlung – und vielleicht für viele andere Künstler ein Anstoß, die Museen in der Ukraine mit eigenen Werken auszustatten.
Axel Novak ist selbstständiger Journalist in Berlin und Brandenburg. Seit seinem Studium in Paris beschäftigt er sich mit ost- und mitteleuropäischer Geschichte.
Axel Novak ist selbstständiger Journalist in Berlin und Brandenburg. Seit seinem Studium in Paris beschäftigt er sich mit ost- und mitteleuropäischer Geschichte.
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