Flüchtlinge bei der lebensgefährlichen Überfahrt nach Griechenland. Schwierig wird es auch am Ziel.

Migration

Anleitung
zur Entmutigung

Deutschland und Europa brauchen in diesem Jahr eine wirksame Migrationspolitik. Ein erfolgreiches Pilotprojekt mit einem sicheren Drittstaat wäre dabei von großer Bedeutung.

Text: Gerald Knaus

Migration

Anleitung
zur Entmutigung

Deutschland und Europa brauchen in diesem Jahr eine wirksame Migrationspolitik. Ein erfolgreiches Pilotprojekt mit einem sicheren Drittstaat wäre dabei von großer Bedeutung.

Text: Gerald Knaus

Derzeit gibt es berechtigte Skepsis in allen Parteien der Ampelkoalition, aber auch bei der Union, ob die verschiedenen nationalen und europäischen Maßnahmen, die im letzten Jahr diskutiert und beschlossen wurden, einen nachhaltigen und spürbaren Effekt auf die Zahl der irregulär in die EU und nach Deutschland Kommenden haben werden. Viele Demokraten machen sich überdies Sorgen darüber, dass eine historisch hohe Zahl von Flüchtlingen, die in den letzten Jahren aufgenommen wurden, unerfüllte Versprechen und ein Gefühl von Kontrollverlust noch in diesem Jahr zu erschreckenden Wahlergebnissen führen könnten, bei der Europawahl wie bei Landtagswahlen in den neuen Bundesländern.

Vor diesem Hintergrund gibt es erneut intensive Diskussionen über die Möglichkeit, Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU zu verlagern, um Migration besser zu kontrollieren. Dies war schon bei den Koalitionsverhandlungen 2021 ein großes Thema. Der Koalitionsvertrag verspricht, sowohl Leben zu retten wie auch irreguläre Migration im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu reduzieren. Dafür könnten in Ausnahmefällen auch Asylverfahren in sicheren Drittstaaten außerhalb der EU stattfinden.

Integrationskurse wie hier in Berlin sind rar und oft überfüllt.

Flüchtlingskonvention oder EU-Recht

Nun stimmt es, dass das derzeitige EU-Recht immer eine Verbindung erfordert zwischen einer Person und dem sicheren Drittstaat, wo deren Asylverfahren stattfinden soll. In der Flüchtlingskonvention gibt es dieses Verbindungskriterium nicht, weshalb auch das EU-Recht entsprechend geändert werden müsste – was 2023 versäumt wurde. Was hingegen sofort ginge, wäre ein Pilotprojekt: Die Europäische Kommission könnte auf Grundlage von Artikel 78 des EU-Vertrags vorschlagen, dieses Verbindungskriterium für zwei Jahre für alle Menschen aufzuheben, die im zentralen Mittelmeerraum ankommen. Dies könnten die Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Diese Art Entscheidung hat 2015 zwei Wochen gedauert. Nun sollten sich die Ampel und die Union in Deutschland darauf sofort einigen und dann mit Staaten in Afrika verhandeln.

Es lohnt dabei, die Gerichtsentscheidungen im Vereinigten Königreich bezüglich Ruanda als sicheren Drittstaat im letzten Jahr genauer zu studieren. Die britischen Richter forderten zu Recht, dass bei einem sicheren Drittstaat die Menschenwürde nicht verletzt wird und es dort auch ein faires Asylsystem gibt. Nun hat Ruanda sich schon 2019 dazu bereit erklärt, mit dem UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR aus Libyen Asylsuchende aufzunehmen. Die damalige Außenministerin war schockiert von Berichten über Sklavenmärkte in Libyen. Seitdem bringt UNHCR solche Menschen aus Libyen nach Ruanda und führt dort die Asylverfahren durch.

Wenn man auf ähnliche Art auch im Mittelmeer Leben retten und die Migration im zentralen Mittelmeer reduzieren könnte, wäre das ein Durchbruch. Das Abkommen mit Großbritannien liegt öffentlich und detailliert vor, das Thema Menschenrechte ist genau beschrieben. Natürlich kooperiert Ruanda, weil es davon auch profitiert. Und weder London noch Kigali erwarten, dass es um viele Rückführungen gehen wird. Ziel des Abkommens ist, dass sich Menschen nicht mehr auf den Weg über den Ärmelkanal machen, wenn sie ihr Verfahren in Ruanda haben und bei einer Anerkennung dort bleiben. Das funktioniert, wenn es gut umgesetzt wird. Und Letzteres muss immer das Ziel sein: Dass das Abkommen gut umgesetzt wird. Dafür brauchen wir Kontrollmechanismen – und auch die gibt es: unabhängige Gerichte, die die Standards des Abkommens überprüfen.

Es geht um Entmutigung. Die Botschaft muss sein: Wer sich in ein Fischerboot setzt, um unter Lebensgefahr von Senegal aus zu den Kanarischen Inseln zu fahren, wird schnell in einen sicheren Drittstaat zurückgebracht. Es ist für ihn sinnlos, sein Leben zu riskieren und Tausende Euro für Schlepper zu bezahlen.

Suche nach Partnern

Solche Abkommen gab es immer wieder, etwa zwischen den USA und Kuba 1995 zur Zeit von Bill Clinton. Die Australier hatten ein Abkommen mit der unabhängigen Inselrepublik Nauru und eines mit Manus in Papua-Neuguinea. Das hat dazu geführt, dass zweimal, nach 2001 und nach 2013, praktisch keine Boote mit Migranten mehr nach Australien kamen. Europäische Gerichte würden die unmenschliche Behandlung von Menschen, wie sie in Nauru erfolgte, allerdings nicht akzeptieren. Europa müsste sicherstellen, dass solche Abkommen keine Menschenrechte verletzen.

Wie aber findet man Partner? Man könnte Ländern mehr legale Mobilität für legale Arbeitsmigration anbieten, Visa­gebühren halbieren, die Zahl an Stipendien erhöhen, Langzeitvisa mit mehrfachem Entry jenen gewähren, die schon geprüft wurden. Verhandeln auf Augenhöhe muss bedeuten, dass eine Einigung für Menschen im Partnerland von Inter­esse ist. Der Türkei hat die EU 2016 eine ganze Reihe von attraktiven Angeboten gemacht, bis hin zur Visafreiheit bei Erfüllung von Menschenrechtsbedingungen.

Abkommen mit Drittstaaten waren in der Vergangenheit erfolgreich, etwa zwischen den USA und Kuba 1995 oder zwischen Australien und benachbarten Inselrepubliken.
Gerald Knaus

Daher sollte die Regierung noch in diesem Jahr und am besten mit interessierten EU-Partnern versuchen, mit Schlüsselländern Abkommen abzuschließen. Es ist im vitalen Interesse Deutschlands, hier anders vorzugehen als bei den vielen, letztlich immer gescheiterten Rückführungsabkommen, die europäische Länder in den letzten 30 Jahren abgeschlossen haben. Ein Sonderbeauftragter, Joachim Stamp, steht dafür mit viel Erfahrung bereit. Die Frage ist aber, ob die Bundesregierung mit EU-Partnern oder zumindest allein attraktive Angebote macht, wie es 2016 mit der Türkei geschah.

Es wäre dabei vollkommen unrealistisch, eine große Anzahl von Asylbewerbern in einen Drittstaat zu bringen. Auch die Türkei hat 2016 niemanden zurückgenommen, der vor dem Stichtag 18. März 2016 nach Griechenland kam. Es geht vielmehr darum, nach einem Stichtag eine kleine Anzahl zurückzubringen, damit sich die Anzahl derer, die sich irregulär auf den Weg machen, schnell reduziert.

Mit dem EU-Türkei-Abkommen ist es gelungen, Menschen davon abzuhalten, in Boote zu steigen. Dafür versprach die Türkei, jeden zurückzunehmen. Die Zahl der Überfahrten und Toten fiel sofort. Es war von allen Maßnahmen, die in den letzten zehn Jahren in Europa getroffen wurden, diejenige, die am schnellsten irreguläre Migration reduziert hat. Im Fall der Türkei war auch das EU-Geld für Millionen syrische Flüchtlinge im Land sinnvoll.

Ein Problem der deutschen Debatte der letzten Monate war, dass sie zu sehr um unrealistische Versprechen von sehr viel mehr Rückführungen kreiste. Abschiebungen sind wichtig, aber immer auch schwierig, teuer und aufwendig. Der Grundgedanke der EU-Türkei-Erklärung bleibt daher richtig: Mit je weniger Abschiebungen man die irreguläre Migration schnell reduzieren kann, desto besser. Versprechen wie „Wir wollen jetzt im großen Stil abschieben“ wecken Erwartungen, die schwer oder gar nicht zu erfüllen sind.

Gerald Knaus berät Regierungen und Institutionen in Europa bei den Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. Er ist Gründungsdirektor der Denkfabrik European Stability Initiative (ESI) und lebt und arbeitet in Berlin.

Gerald Knaus berät Regierungen und Institutionen in Europa bei den Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. Er ist Gründungsdirektor der Denkfabrik European Stability Initiative (ESI) und lebt und arbeitet in Berlin.

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