Verteidigung Europas

Paartherapie
für ein starkes Europa

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, spricht über das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich und die Frage, was Europa und die NATO tun müssen, wenn die Unterstützung der USA womöglich bald schwindet.

Interview: Theresa Winter

Verteidigung Europas

Paartherapie
für ein starkes
Europa

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, spricht über das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich und die Frage, was Europa und die NATO tun müssen, wenn die Unterstützung der USA womöglich bald schwindet.

Interview: Theresa Winter


Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich erneut gejährt. Vor zwei Jahren hat der Bundeskanzler die deutsche Zeitenwende verkündet. Wie steht Deutschland heute sicherheitspolitisch da?

Grundsätzlich stehen wir deutlich besser da als noch vor einem Jahr. Wir haben  in der Bundeswehr mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro in der Folge der sogenannten Zeitenwende schon schon eine Menge auf den Weg gebracht. Aber das eine ist das, was man objektiv umsetzt. Das andere ist, wie man kommuniziert. Wir sind auf der einen Seite extrem engagiert, unterstützen die Ukraine deutlich stärker als unsere Nachbarstaaten. Gleichzeitig vermögen wir es aber nicht, das entsprechend positiv zu kommunizieren. Allen voran der Bundeskanzler. Es ist bitter, dass mit schlechter Kommunikation das Gefühl vermittelt wird  – auch bei unseren Partnern in Europa –, dass wir nichts auf die Kette bekommen, dass wir weder loyal noch zuverlässig sind. Doch das widerspricht der Realität.

Ist das nicht ein Ergebnis der schwierigen Regierungskoalition in Deutschland?

Ich bedauere, dass die Diskussion über Sicherheitspolitik sehr häufig von innenpolitischen Auseinandersetzungen geprägt ist. Ein Kanzler, der „basta“ sagt und dann anfügt: „… weil ich der Kanzler bin“ – das ist ein bisschen dünn, wenn man den Ernst der Lage betrachtet. Denn die Zeitenwende ist eine grundsätzliche Frage, nicht nur eine militärische. Sicherheitspolitik durchzusetzen bedeutet auch, Abhängigkeiten zu reduzieren. Sei es im Rahmen von Wirtschaftsbeziehungen oder auch ganz praktisch, wenn es beispielsweise um die freie Seefahrt geht und somit um den Schutz der internationalen Handelsrouten.

Wie steht es um die Verteidigung Europas? Welche Partner hat Deutschland, was gilt es, europäisch gemeinsam durchzusetzen?

Nicht nur in sicherheitspolitischen, auch in wirtschaftlichen Fragen schaut die Europäische Union ganz genau, wie Deutschland auf Herausforderungen oder auf Vorschläge der Kommission reagiert. Wollen wir unsere Sicherheit in Europa resilienter machen, müssen wir deutlich multilateraler denken und handeln. Europa muss mehr in die eigene Sicherheit investieren, entsprechend Verantwortung übernehmen und gemeinsam organisieren – losgelöst davon, wie viel Unterstützung von den USA in Zukunft noch kommt. Angesichts der bevorstehenden Wahlen dort ergibt es großen Sinn, wenn Frankreich und Deutschland als volkswirtschaftlich starke Länder vorbildlich vorangehen und gewissermaßen den Karren ziehen. Wenn wir zurückschauen: Es waren der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer, die auf den Trümmern zweier furchtbarer Weltkriege die europäische Idee geboren haben. Sie schufen mit der Montanunion und der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ein Europa, das Krieg verhindern wollte. Der Pflege der deutsch-französischen Freundschaft von François Mitterrand und Helmut Kohl folgte die Einführung des Euro. Es war der Stärke und dem Durchsetzungsvermögen Deutschlands und Frankreichs zu verdanken, dass dieses Europa den Mut hatte, zusammenzuleben. Es wäre heute, angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine und damit auf die freie westliche Welt, von elementarer Bedeutung, wenn Frankreich und Deutschland mit Emmanuel Macron und Olaf Scholz ihren kindlichen Streit beiseitelegen könnten und im besten Sinne führen – und den Moment erkennen würden.

Was steht denn einer solchen Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich heute noch im Weg?

Leider haben der Bundeskanzler und der französische Präsident offensichtlich nicht nur unterschiedliche Sichtweisen, sondern kommunizieren völlig unterschiedlich. Die beiden bewegen sich nicht im Gleichschritt. Während der Kanzler rote Linien aufzeigt und erklärt, was nicht geht, erläutert Macron, was geht, auch wenn dem nicht immer Taten folgen. Ich empfehle dringend eine Paartherapie. In dieser Lage können wir uns Unterschiedlichkeiten schlicht nicht leisten. Dass es verschiedene Arten gibt, die Dinge zu betrachten, geschenkt. Wir sind unterschiedliche Länder, haben unterschiedliche Sichtweisen. Aber diese Diskussion schadet der Europäischen Union in Gänze.

Wie wirkt sich diese mangelnde Zusammenarbeit an der Spitze auf die Arbeitsebene aus?

Die Laufmasche fällt bekanntlich von oben nach unten ... Wenn sich die Regierungschefs nicht mit Sympathie begegnen, dann muss man sich nicht wundern, wenn auch auf der Arbeitsebene die Stimmung nicht wirklich gut ist. In puncto Zukunftstechnologien, wenn es um gemeinsame industrielle Zusammenarbeit geht, funktioniert die deutsch-französische Zusammenarbeit nur mit Unwucht. Dieses Unwohlsein auf der Ebene der Staatschefs wirkt sich auch auf industrielle Partner aus. Im Gegensatz dazu funktioniert die Zusammenarbeit der deutsch-französischen Brigade übrigens gut.

Die größte Herausforderung ist, dass wir Europa selber schützen müssen. Dass wir uns nicht mehr darauf verlassen können, dass die USA die Probleme vor unserer Haustür lösen.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Foto: ©picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Russland-Krieg, Wahlen in den USA mit einem möglichen Präsidenten Donald Trump – sind das die größten sicherheitspolitischen Herausforderungen für Europa in den kommenden vier, fünf Jahren?

Die größte Herausforderung ist es, dass wir Europa selber schützen müssen. Dass wir uns nicht mehr darauf verlassen können, dass die USA die Probleme vor unserer Haustür lösen. Völlig losgelöst von dem Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen im November: Auch eine neue Regierung unter Joe Biden wird das nicht mehr so selbstverständlich machen. Das hat zwei Gründe. Die Amerikaner sind hoch verschuldet. Mit einer Staatsverschuldung von etwa 33 Billionen Euro müssen sie allein 750 Milliarden Dollar Zinsen zahlen. Hinzu kommen sehr hohe Investitionen für das US-Militär. Dem stehen die relativ geringen Staatseinnahmen entgegen. Auch die Amerikaner werden sich verstärkt ihren innenpolitischen Herausforderungen stellen. Und das Zweite ist, dass es den Amerikanern wirklich schwer zu vermitteln ist, warum sie sich um die Konflikte kümmern müssen, die vor der Türe Europas liegen: der russische Angriff auf die Ukraine, der Kampf Israels gegen den Hamas-Terror im Nahen Osten, die Unsicherheiten in Afrika, die Angriffe auf die Seefahrt im Roten Meer, um nur einige zu nennen.

Heißt das, wir brauchen eine eigene europäische Armee?

In Zukunft wäre das gut. Das ist ambitioniert, keine Frage. Aber es ist eine große Chance für uns alle, eine gemeinsame Verteidigung und eine gemeinsame Sicherheitsstruktur aufzubauen. Der Weg sollte sein, dass die militärischen Einheiten, die ja national aufgesetzt werden, langsam, aber sicher enger verzahnt werden. Am langen Ende – und das wird in fünf Jahren nicht gelingen – geht es um eine europäische Armee. Bis wir dahin kommen, ist die enge deutsch-niederländische Zusammenarbeit ein gutes Beispiel. Die anderen Partner könnten sich dann Stück für Stück dranheften.

Wie schlägt sich das konkret in der europäischen Politik nieder?

Ich denke, dass es in Zukunft einen Kommissar beziehungsweise eine Kommissarin geben sollte, die sich mit Sicherheit beschäftigt, und dass der- oder diejenige sich mitverantwortlich fühlt für eine gemeinsame europäische Außenpolitik. Das heißt, dass nicht ausschließlich die geografische Lage der einzelnen Länder die jeweilige Politik bestimmt, sondern dass Europa eine gemeinsame Sichtweise braucht. Denn nur europäisch und nur gemeinsam werden wir für die 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger für Sicherheit in Freiheit sorgen können.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Wie verzagt oder angriffslustig sind Sie selbst angesichts der großen Herausforderungen?

Grundsätzlich lustig, aber auch bereit anzugreifen, wenn es der Sache dient.

Der 11. September 2001 hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Und vermutlich kann jeder exakt Auskunft darüber geben, an welchem Ort er damals war, als er vom Anschlag erfuhr. Ein Drittel der Weltbevölkerung, heißt es heute, hat die Attentate live gesehen.

Von „Blitzlichterinnerung“ sprechen Psychologen, wenn das Gehirn emotionale, detailreiche Erinnerungen an Ereignisse immer wieder aus den Tiefen des Gedächtnisses hervorholt. Ob man will oder nicht. Die Ermordung von John F. Kennedy. Die Bilder von der Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Oder im aktuellen Krieg der Russen in der Ukraine die Bilder der Toten in Butscha. Diese Bilder werden drängender, je häufiger man sich an sie erinnert und über sie spricht. Dazu gehören auch die Bilder der brennenden Türme, aus denen Menschen aus der Höhe stürzen.

Asisi aber verzichtet in seiner Installation auf diese Bilder und zeigt stattdessen den Moment vor dem Anschlag. „Die Bilder haben wir alle im Kopf. Die kommen von allein. Mit der Konzentration auf diesen einen Augenblick will ich eine Gefühlsebene schaffen“, sagt er. Die bloße Vorstellung des Angriffs sei viel mächtiger und emotionaler, als es ein Abbild sein könne. Für das gewaltige 360-Grad-Pa-norama ließ er Straßenszenen in einem Berliner Studio nachträglich mit Komparsen fotografieren.

Theresa Winter verantwortet bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit die Themen vernetzte Sicherheit und Verteidigungspolitik. Davor arbeitete sie für den US-Rüstungskonzern Lockheed Martin mit dem Schwerpunkt auf Regierungsbeziehungen, nukleare Teilhabe und Raketenabwehr.

Theresa Winter verantwortet bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit die Themen vernetzte Sicherheit und Verteidigungspolitik. Davor arbeitete sie für den US-Rüstungskonzern Lockheed Martin mit dem Schwerpunkt auf Regierungsbeziehungen, nukleare Teilhabe und Raketenabwehr.

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