Im Kontext
Avi Primor, Publizist und ehemaliger Botschafter Israels in Berlin, schreibt über sein Land nach dem 7. Oktober.
Text: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Avi Primor:
„Bedrohtes Israel. Ein Land im Ausnahmezustand“
Quadriga-Verlag (2024),
224 Seiten, 24 Euro
Im Kontext
Avi Primor, Publizist und ehemaliger Botschafter Israels in Berlin, schreibt über sein Land nach dem 7. Oktober.
Text: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Avi Primor:
„Bedrohtes Israel. Ein Land im Ausnahmezustand“
Quadriga-Verlag (2024),
224 Seiten, 24 Euro
Avi Primor blickt inzwischen auf 89 Lebensjahre zurück, in denen er als Diplomat, als Publizist und als politischer Mensch viel erlebt hat. Immer wieder hat er zu weltpolitischen und insbesondere auf Israel bezogenen Geschehnissen seine Meinung geäußert, fundiert und dezidiert. Das Buch, das er nun, im Mai 2024 vorgelegt hat, behandelt höchst lesenswert sein Entsetzen über die Geschehnisse des 7.Oktober 2023, seine Sorge über die Situation in Israel und im Nahen Osten, aber auch – sehr deutlich – seine Verärgerung über die Regierung Israels und insbesondere über Ministerpräsident Netanjahu.
Israel ist für Primor „das seltsamste Land der Welt“, das ein „seltsames und besonderes Volk“ beherbergt. Der Autor schildert komprimiert, aber eingehend die Geschichte des Staates Israel und seiner Menschen. Er analysiert klar die auch nach der Staatsgründung fortdauernden Probleme und versucht, das überaus schwierige Geflecht internationaler Beziehungen Israels zu entwirren und verständlich zu machen, vor allem auch das „ungelöste palästinensische Problem“.
Ministerpräsident Netanjahu richtet seinen Blick prioritär auf die Sicherung seiner Macht.
Primor zieht eine historische Linie zwischen dem Jom-Kippur-Krieg 1967 (im Rahmen dessen er selbst in diplomatischer Mission mitwirkte) und dem Terrorangriff der Hamas im Oktober 2024, den er als „erneutes Trauma nach 50 Jahren“ bezeichnet. In beiden Fällen, so Primor, sei Israel von den Angriffen überrascht worden. In beiden Fällen sei das Land nicht in der Lage gewesen, sich zu verteidigen, weil entweder installierte Mechanismen nicht funktioniert hätten oder die Bedrohungslage trotz vorheriger Informationen nicht erkannt oder entsprechend behandelt worden sei.
Für die Lage im Oktober 2023 benennt Primor ganz klar einen Hauptschuldigen, und diese Darstellung scheint ein Hauptanliegen des Autors zu sein. Ministerpräsident Netanjahu richte seinen Blick prioritär auf die Sicherung seiner Macht in Israel und nutze dabei „revolutionäre Gesetze“ wie die „Justizreform“ oder solche zur Kontrolle der Medien. Netanjahus vordringliches Ziel sei es, sich dadurch an der Macht zu halten, denn er fürchte vor allem, nach dem Verlust des Amtes im bereits laufenden Korruptionsprozess schuldig gesprochen zu werden. Diesem Ziel ordne Netanjahu alles unter.
Zudem sei durch seine Koalition mit der äußersten Rechten zu falschen sicherheitspolitischen Maßnahmen gegriffen worden, indem eher die Siedlungspolitik auf der Westbank abgesichert worden sei, als das Land gegen die Bedrohungen der Hamas zu sichern. Dies habe zum Versagen der Regierung und der Geheimdienste vor, während und nach dem Terrorangriff der Hamas geführt. Nun wolle man den „totalen Sieg“ über die Hamas, der aber nicht erreichbar sei.
Das Buch ist erkennbar mit schneller Feder geschrieben, beizeiten liest es sich wie ein verschrifteter Vortrag. Das sollte man aber nicht als Nachlässigkeit werten, denn das Ziel des Autors erklärt jede Ungeduld. „Der durchschnittliche Israeli konnte sich nicht erklären, wie ihm geschah“, schreibt Primor zum Terrorangriff
im Oktober 2023. Hier will der Autor erklärend helfen, denn er sieht sein Land bedroht, falsch regiert und in gewissem Umfang auch ungeschützt.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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