Update

Demokratie vor Ort

Lokale und regionale Zeitungen sterben. Untersuchungen zeigen: Damit geht demokratische Kultur verloren – zugunsten schlichter Parolen von Populisten.

Text: Michael Hirz

Update

Demokratie
vor Ort

Lokale und regionale Zeitungen sterben. Untersuchungen zeigen: Damit geht demokratische Kultur verloren – zugunsten schlichter Parolen von Populisten.

Text: Michael Hirz

Verschwörungstheorien haben es auch deswegen leicht, weil sie verblüffende Zusammenhänge herstellen. Statistisch oft belegbar, aber völlig absurd. So korreliert etwa der Fleischkonsum pro Kopf in den USA fast exakt mit der Zahl der Todesfälle durch Blitzschlag. Doch Korrelation ist eben etwas anderes als Kausalität. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass es erwiesene kausale Zusammenhänge zwischen zwei Phänomenen nicht gäbe. Womit wir bei den Medien, genauer: bei der Lokalpresse wären. Dieser wenig glamouröse Teil der Branche stand und steht immer im Schatten der großen nationalen und internationalen Blätter, wo sich leitartikelnde Wolkenschieber mit den – zweifellos bedeutsamen – Themen beschäftigen. Während die kleinen Lokalgazetten über Ausschusssitzungen des Gemeinderats, Nachbarschaftsstreit und örtliche Sportereignisse berichten.

Der fundamentale Beitrag lokaler Presse für das Gemeinwesen, für das demokratische Miteinander, wurde lange unterschätzt. Populisten sind dort besonders erfolgreich, wo es keine lokale Tageszeitung mehr gibt.
Michael Hirz

Doch lange unterschätzt wurde ihr fundamentaler Beitrag für das Gemeinwesen, für das demokratische Miteinander. Inzwischen gibt es einschlägige Untersuchungen in den USA und erstmals auch in Deutschland, die einen Verdacht wissenschaftlich untermauern: Nämlich den Umstand, dass Populisten dort besonders erfolgreich sind, wo es keine lokale Tageszeitung mehr gibt. Das hat Trump schon 2016 den Weg ins Weiße Haus geebnet, jetzt helfen solche Nachrichtenwüsten rechtspopulistischen Parteien in Deutschland. Keine Lokalzeitung bedeutet mehr AfD. Wie das?

Die bisweilen unterschätzte Funktion der Zeitung vor Ort, so zeigt eine Medienanalyse für Baden-Württemberg, macht Themen einer Kommune erst sichtbar, verbindet Menschen mit ihrem Nahbereich und trägt zur politischen Bildung bei, auch durch das Aufdecken von Korruption und Skandalen. Hier sind die Fakten im Zweifel von jedem oder jeder nachprüfbar. Fake News haben es erheblich schwerer. Die Tageszeitung ist das Forum, in dem Positionen präsentiert und Kompromisse ausgehandelt werden, kurz: wo Demokratie eingeübt und praktiziert wird.

Das zumindest ist die Idealbeschreibung, im Alltag hängt die Latte etwas tiefer. Doch wo die Blätter ganz verschwunden sind, erodiert das Vertrauen in das politische System, gewinnen obskure, nicht überprüfte Informationsquellen an Gewicht, fühlen Menschen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen und fürchten um ihren Status – der ideale Nährboden für extremistische Verführer.

Nun gibt es handfeste Gründe für das Zeitungssterben, auch verlegerische. Nostalgisches Bedauern ist da keine Lösung. Aber es fehlt an einem intensiven öffentlichen Nachdenken darüber, wie diese demokratiegefährdende Lücke wieder geschlossen werden kann. Ehrenamtliche Informationsangebote wie lokale Blogs können das nicht, bestenfalls ergänzen sie. Aber eine offene, liberale Demokratie braucht den Sauerstoff eines professionellen Lokaljournalismus.

Michael Hirz ist als Journalist und Moderator seit vielen Jahren intensiver Beobachter politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse

Michael Hirz ist als Journalist und Moderator seit vielen Jahren intensiver Beobachter politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse

Auch interessant

Buchrezension

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger // Bedroht, falsch regiert und ungeschützt

Avi Primor, Publizist und ehemaliger Botschafter Israels in Berlin, schreibt über sein Land nach dem 7. Oktober.

Buchrezension

Theresa Caroline Winter // Heute fühlt sich alles an wie Krieg

Seit Jahren schickt die Bundesrepublik Soldatinnen und Soldaten für eine demokratische Grundordnung in Auslandseinsätze. Doch welchen Preis zahlen die Menschen, die für uns im Krieg sind? André Hassan Khan hat darüber ein Buch geschrieben.

Beitrag

Sophie Eichhorn // Machtmissbrauch und persönliche Schuld in der NS-Zeit

Der Film „Die Ermittlung“ schildert den ersten Auschwitz-Prozess, der 1963 bis 1965 in Frankfurt am Main stattfand. Ein Gespräch darüber mit dem Produzenten Alexander van Dülmen.

Ein Angebot der

Kultur

Wir verarbeiten Ihre Daten und nutzen Cookies.

Wir nutzen technisch notwendige Cookies, um Ihnen die wesentlichen Funktionen unserer Website anbieten zu können. Ihre Daten verarbeiten wir dann nur auf unseren eigenen Systemen. Mehr Information finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen in Ziffer 3. Sie können unsere Website damit nur im technisch notwendigen Umfang nutzen.

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und unser Angebot für Sie fortlaufend verbessern zu können, nutzen wir funktionale und Marketingcookies. Mehr Information zu den Anbietern und die Funktionsweise finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen in Ziffer 3. Klicken Sie ‚Akzeptieren‘, um einzuwilligen. Diese Einwilligung können Sie jederzeit widerrufen.