Innovationen

Kreißsaal
der Zukunft

Das Forschungszentrum Jülich bietet auf zwei Quadratkilometern eine Spitzenforschungsdichte wie kaum ein anderes Institut in Deutschland. Gleich neben dem Hambacher Tagebau arbeiten die Mitarbeiter an Supercomputern, Krankheitsbekämpfung und Strukturwandel.

Text: Lars-Thorben Niggehoff

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Kreißsaal
der Zukunft

Nachdem Michel Friedman die 18. Berliner Rede zur Freiheit gehalten hat, spricht der Jurist, Publizist und Philosoph mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung, über den Wert von Demokratie und Freiheit. Als einer der entschiedensten Verteidiger unserer liberalen Demokratie kämpft Friedman für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Mit Leidenschaft.

Text: Lars-Thorben Niggehoff


Wer von Köln aus die Autobahn 4 in Richtung Westen fährt, der passiert eine Reihe von Städten, die selten bundesweite Aufmerksamkeit erhalten. Klar, Kerpen verbinden Motorsport-Fans noch mit dem ehemaligen Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher, der auf der örtlichen Kartbahn einst das Rennfahren lernte. Und der nahe gelegene Hambacher Forst machte Schlagzeilen, als sich dort Klimaaktivisten festketteten. Dahinter wird es aber schnell schwierig, selbst manches Navigationssystem verliert irgendwo zwischen den Tagebauen Hambach und Inden die Orientierung.

Umso erstaunlicher ist das, was sich dem Besucher im 30000 Einwohner zählenden Jülich präsentiert. Auf zwei Quadratkilometern erstreckt sich das Forschungszentrum Jülich. 7000 Menschen arbeiten hier in verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen: Hirnforschung, Physik, Pflanzenforschung. Und mittendrin, in einem unauffälligen grauen Kasten, finden sich die momentan vielleicht prominentesten Bewohner Jülichs: die Supercomputer. Bereits 1987 entstand hier das erste deutsche Höchstleistungsrechenzentrum, und daraus erwuchs mit der Zeit das Jülich Supercomputing Centre (JSC).

Auf der Jagd nach der bestmöglichen Rechenleistung entstehen hier alle paar Jahre neue Hochleistungsrechner auf einem Niveau, das sich sonst nirgendwo in Europa findet. Dabei geht es keinesfalls nur um einen Leistungsvergleich der Computerfans oder den Wettbewerb der Forschungsstandorte. Mithilfe des JSC und der anderen Disziplinen lassen sich aus Jülich heraus vielleicht die großen Probleme der Menschheit lösen.

Der Herr der Rechner

Herr über die Supercomputer ist Benedikt von St. Vieth. Der Chef der High-Performance-Computer-Einheit des JSC führt durch die große Halle, in der gleich mehrere Computergenerationen nebeneinanderstehen. „Diese Hochleistungsrechner erfordern ein hohes Maß an Infrastruktur, etwa bei der Stromversorgung und der Wasserkühlung“, erläutert von St. Vieth, „wir platzen in dieser Halle langsam aus allen Nähten.“ Der Grund dafür findet sich ganz am Ende. Es ist das erste Modul des Jupiter-Rechners, der neuesten Anschaffung des JSC. Jupiter ist der erste Exascale-Rechner in Europa. Exascale bezeichnet die aktuell leistungsfähigste Klasse der Supercomputer. Diese können eine Trillion Rechenoperationen durchführen – pro Sekunde. Zum Vergleich: Ein Büro-PC schafft nur einige Milliarden. Viel Arbeit steckt in dem Projekt. „Wir haben lange an den Spezifikationen für Jupiter gearbeitet, die jetzt von einem Konsortium ParTec/Eviden umgesetzt werden.“

Die Anwesenheit exzellenter Forscher lockt immer weiter exzellente Forscher an.
Armin Großek

Eine Karte gegen Epilepsie

Auf der anderen Straßenseite, im Institut für Neurowissenschaften und Medizin, erfährt der Besucher, warum diese Investition nötig ist. Hier arbeitet Markus Axer an einem System, das ähnlich komplex ist wie ein Supercomputer, allerdings deutlich älter. Axer, gelernter Teilchenphysiker, ist stellvertretender Leiter der Abteilung, die die strukturelle und funktionelle Organisation des Gehirns untersucht. Oder, wie er es formuliert: „Wir versuchen hier, das gesamte menschliche Gehirn zu kartografieren.“ In der Praxis bedeutet das, das menschliche Gehirn in sorgfältiger Kleinstarbeit aufzuschneiden und mithilfe verschiedener Verfahren sowohl die Verteilung von Nervenzellen als auch deren Verbindungen zu analysieren. Pro Gehirn gibt es Tausende Schnitte. Seit etwa 20 Jahren sind sie am Institut damit beschäftigt. „Die Zellstruktur haben wir mittlerweile zu über 80 Prozent kartografiert“, sagt Axer. Bei den neuronalen Verbindungen aber sei das anders: „Hier sind wir vielleicht bei fünf Prozent.“ Es gibt unzählige dieser Verbindungen im Gehirn. Für die Abbildung müssen Tausende Einzelschritte wieder zusammengesetzt werden, per Computermodell. Ein Prozess, der immense Rechenleistung erfordert. Und genau hier kommen die Supercomputer ins Spiel. Früher lief Axer noch mit Festplatten über die Straße, um seine Daten analysieren zu lassen, heute geht das natürlich digital. „Die Supercomputer vereinfachen unsere Arbeit massiv“, sagt er. Und sie helfen, die Stellen im menschlichen Gehirn zu identifizieren, in denen schwere Krankheiten entstehen. „Aktuell haben wir ein Projekt in Marseille, bei dem Epilepsie-Patienten mithilfe unserer Daten behandelt werden“, berichtet Axer stolz.

Hidden Champion der Forschung

Hidden Champion
der Forschung

Die Kombination aus Spitzenforschung und einzigartigen Forschungsgroßanlagen ist es, die das Forschungszentrum Jülich besonders macht – innerhalb der deutschen Wissenschaftslandschaft und auch innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft, der es angehört. Diese hat es sich auf die Fahnen geschrieben, genau die Schnittstelle zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung zu besetzen, gewissermaßen zwischen den beiden anderen großen Forschungsgesellschaften Max Planck und Fraunhofer. Im Bereich Grundlagenforschung glänzt das Institut mit Dutzenden Patentanmeldungen pro Jahr, 78 waren es im Jahr 2022. Der Gesamtbestand an Schutzrechten in Jülich lag in dem Jahr bei 14269.

Wenn es um die Anwendungen geht, pilgert ein Who's Who der deutschen Wirtschaft nach Jülich, um sich Hilfe zu holen. Bayer und SAP etwa setzten auf die Forscher von dort, um an neuen Technologien für die Medizininformatik zu arbeiten. Mit dem Computerriesen Intel arbeitet man an energiesparender Edge-Elektronik für die Verkehrssteuerung. Das Biotech-Start-up Curevac greift auf die örtliche Expertise bei der Impfstoffentwicklung zurück.

Ideen für die postfossile Zukunft

Dass die Kompetenzen für all dies in Jülich beheimatet sind, hat historische Gründe, berichtet Armin Großek, Leiter der strategischen Kommunikation. „Ursprünglich war das hier die deutsche Kernforschungsanlage, und die sollte natürlich nicht mitten in einem Stadtzentrum stehen“, sagt er. Von diesem historischen Glücksfall profitiert das rheinische Städtchen also bis heute. Probleme, Top-Talente anzuziehen, habe man durch den etwas abseitigen Standort auch nicht. „Das Forschungszentrum ist groß, hat international einen guten Ruf und kann Wissenschaftlern etwas bieten. Die Anwesenheit exzellenter Forscher lockt immer weiter exzellente Forscher an“, sagt Großek.

Jenseits der 7000 Arbeitsplätze und des Prestiges, das das Forschungszentrum der Region bringt, profitiert diese auch ganz direkt von den Ergebnissen. Etwa von denen, die Mark Müller-Linow mit seiner Forschung liefert. Müller-Linow arbeitet am Institut für Geo- und Biowissenschaften, leitet dort das Jülich Plant Phenotyping Center. In großen Gewächshäusern machen sich Müller-Linow und sein Team Gedanken über nachhaltige Pflanzenproduktion und bioökonomische regionale Geschäftsmodelle für die künftige postfossile Zeit. „Wir untersuchen Nutzpflanzen wie die Färberdistel, die mit wenig Dünger und Wasser auskommen“, sagt er. Ideen hat er viele, lassen sich doch die Öle der Pflanze in der Industrie nutzen, außerdem sind ihre Fasern wertvoll, etwa für Verbundstoffe. Auch an Heilkräutern aus regionalem Anbau haben Pharmafirmen großes Interesse.

Gemeinsam mit dem Energiekonzern RWE arbeiten Forscher aus Jülich auch an Agri-Fotovoltaikanlagen. Sie werden über Äckern angebracht, die weiter bepflanzt werden – und nun zusätzlich grüne Energie liefern. Die Hoffnung: Eine wirtschaftliche Perspektive für die Region und ihre Landwirtschaft zu bieten, wenn die großen Kohlebagger sich mal irgendwann nicht mehr drehen. Spitzenforschung in der Provinz, sie hilft am Ende nicht nur der Provinz, sondern strahlt weit darüber hinaus.

Wille zum Erfolg

Wie entsteht ein Cluster wie das Forschungszentrum Jülich? Drei Fragen an den früheren NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart.

Wenn Sie heute auf das Forschungszentrum Jülich schauen: Hat sich die Anstrengung gelohnt?

Das FZJ ist ein starker Motor im Forschungs- und Innovationssystem in NRW und darüber hinaus. Die Jülich Aachen Research Alliance (JARA) erwies sich bereits in der ersten Runde des Exzellenzwettbewerbs als Schlüssel zum Erfolg. Ähnliches sehen wir heute im Kontext des großen Transformationsprozesses. Jülich verfügt etwa mit seinen Großrechnern und Quantencomputern auf der einen und dem neuen Wasserstoffzentrum auf der anderen Seite über eine herausragende Forschungsinfrastruktur, um zentrale Herausforderungen unserer Zeit zu lösen.

Worauf kommt es an, wenn neue Innovations-Cluster und Forschungszentren entstehen sollen?

Neben exzellenten Köpfen und bester Forschungsinfrastruktur braucht es eine enge Vernetzung mit den Unis, Start-ups, Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen und der Politik. Hierfür braucht es aktiven Austausch. Mit dem Brainergy Park und der Zukunftsagentur für das Rheinische Revier sind zwei wichtige Scharniere der regionalen Entwicklung in unmittelbare Nähe zum FZJ gerückt. Die Unis Aachen, Bonn, Köln und Düsseldorf wie auch jene der Ruhr-Allianz und Westfalens spannen darüber ein Netz exzellenter Forschung und starken Transfers mit dem FZJ in Schlüsselbereichen neuer Technologien, auch auf dem Gebiet der Medizin.

Welche Rolle spielen dabei Stimmung und Zuversicht – gerade mit Blick auf die Zukunft?

Gute Zusammenarbeit und der unbedingte Wille zum Erfolg machen den Unterschied. So konnten die von hohen Zäunen und aufwendigen Sicherheitskontrollen gekennzeichneten früheren Mauern um das FZJ überwunden und stabile Pfade strategischer Vorhaben geebnet werden. Gerade bei der Förderung von Spin-offs und der Verpartnerung von Patenten eröffnen sich noch viele Möglichkeiten für starke Innovationen.

Wille zum Erfolg

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Wenn Sie heute auf das Forschungszentrum Jülich schauen: Hat sich die Anstrengung gelohnt?

Das FZJ ist ein starker Motor im Forschungs- und Innovationssystem in NRW und darüber hinaus. Die Jülich Aachen Research Alliance (JARA) erwies sich bereits in der ersten Runde des Exzellenzwettbewerbs als Schlüssel zum Erfolg. Ähnliches sehen wir heute im Kontext des großen Transformationsprozesses. Jülich verfügt etwa mit seinen Großrechnern und Quantencomputern auf der einen und dem neuen Wasserstoffzentrum auf der anderen Seite über eine herausragende Forschungsinfrastruktur, um zentrale Herausforderungen unserer Zeit zu lösen.

Worauf kommt es an, wenn neue Innovations-Cluster und Forschungszentren entstehen sollen?

Neben exzellenten Köpfen und bester Forschungsinfrastruktur braucht es eine enge Vernetzung mit den Unis, Start-ups, Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen und der Politik. Hierfür braucht es aktiven Austausch. Mit dem Brainergy Park und der Zukunftsagentur für das Rheinische Revier sind zwei wichtige Scharniere der regionalen Entwicklung in unmittelbare Nähe zum FZJ gerückt. Die Unis Aachen, Bonn, Köln und Düsseldorf wie auch jene der Ruhr-Allianz und Westfalens spannen darüber ein Netz exzellenter Forschung und starken Transfers mit dem FZJ in Schlüsselbereichen neuer Technologien, auch auf dem Gebiet der Medizin.

Welche Rolle spielen dabei Stimmung und Zuversicht – gerade mit Blick auf die Zukunft? 

Gute Zusammenarbeit und der unbedingte Wille zum Erfolg machen den Unterschied. So konnten die von hohen Zäunen und aufwendigen Sicherheitskontrollen gekennzeichneten früheren Mauern um das FZJ überwunden und stabile Pfade strategischer Vorhaben geebnet werden. Gerade bei der Förderung von Spin-offs und der Verpartnerung von Patenten eröffnen sich noch viele Möglichkeiten für starke Innovationen.

Lars-Thorben Niggehoff schreibt seit vielen Jahren als Journalist für verschiedene Medien. Er lebt und arbeitet in Köln.

Lars-Thorben Niggehoff schreibt seit vielen Jahren als Journalist für verschiedene Medien. Er lebt und arbeitet in Köln.

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