So geht Aufschwung

Schluss mit dem Reformstau

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Im World Competitiveness Ranking 2024 der privaten Wirtschaftshochschule IMD, das harte Indikatoren und Einschätzungen von Managern zusammenführt, rutschte Deutschland wieder um zwei Plätze auf Rang 24 ab. Zum Vergleich: Die USA liegen an 12. Stelle, China an 14. Inzwischen wächst landesweit die Erkenntnis, 

dass sich etwas ändern muss, wenn Deutschland
international nicht den Anschluss verlieren will. Das Problem: Es gibt in vielen Politikfeldern gleichzeitig dringenden Reformbedarf. (Wirtschafts-)Wissenschaftlerinnen und Ökonomen haben etliche Vorschläge vorgelegt, welche Baustellen Bundesregierung und Parlament in Angriff nehmen müssen. Eine (längst nicht vollständige) Auswahl. 

Text: Henning Krumrey

So geht Aufschwung

Schluss
mit dem
Reformstau

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Im World Competitiveness Ranking 2024 der privaten Wirtschaftshochschule IMD, das harte Indikatoren und Einschätzungen von Managern zusammenführt, rutschte Deutschland wieder um zwei Plätze auf Rang 24 ab. Zum Vergleich: Die USA liegen an 12. Stelle, China an 14. Inzwischen wächst landesweit die Erkenntnis, dass sich etwas ändern muss, wenn Deutschland international nicht den Anschluss verlieren will. Das Problem: Es gibt in vielen Politikfeldern gleichzeitig dringenden Reformbedarf. (Wirtschafts-)Wissenschaftlerinnen und Ökonomen haben etliche Vorschläge vorgelegt, welche Baustellen Bundesregierung und Parlament in Angriff nehmen müssen. Eine (längst nicht vollständige) Auswahl. 

Text: Henning Krumrey

Innovation / Technologieoffenheit

Klimawandel, die Bekämpfung von Krankheiten und die Sicherung der Nahrungsmittel- und Energieversorgung: Die großen Herausforderungen, mit denen wir als Gesellschaft heute konfrontiert sind, erfordern innovative Lösungen. Expertinnen und Experten in Wissenschaft und Unternehmen forschen und entwickeln neue Ansätze. Technologieoffenheit – wie etwa im Bereich der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS), der Gen- und Biotechnologie oder auch der Fusionsforschung – ist dabei essenziell. Ebenso wichtig ist es aber auch, innovationsbremsende Bürokratie abzubauen, um Investitionen in Forschung zu erleichtern und Fortschritt leichter zu ermöglichen.

Hanna Hottenrott, Professorin für Innovationsökonomik TUM School of Management Technische Universität München. Seit April 2023 leitet sie zudem den Forschungsbereich für Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz

Wir haben in unserer Studie zum Lieferkettensorgfalts- pflichtengesetz gesehen, dass diese Regelungen zu großen Unsicherheiten bei deutschen Unternehmen führen. Das schwächt die Akzeptanz für ein so wichtiges Thema. Die Regelungen der CSDDD werden im internationalen Wettbewerb eine entscheidende Rolle spielen. Wir brauchen jetzt einen pragmatischen Ansatz, damit sich die Unternehmen ausreichend vorbereiten können. Nur durch Akzeptanz gelingt uns eine nachhaltige Transformation der deutschen Wirtschaft.

Stefanie Fehr,trofessorin für Compliance und Datenschutz, Hochschule für angewandte Wissenschaften Ansbach. Vor Übernahme ihrer Professur war sie neun Jahre in verschiedenen privaten Unternehmen tätig.

Bürokratie-Abbau

Die Bürokratie-Entlastungsgesetze haben in den Jahren 2015, 2016 und 2019 messbar dazu beigetragen, die stetig wachsenden gesetzlichen Erfüllungsaufwände abzufedern. Auch das vierte Gesetz dieser Art wird 2024 einen Beitrag leisten. Aber punktuelle Abfederungen reichen bisher nicht aus, um den Anstieg dauerhaft zu begrenzen oder gar den Berg vorhandener Aufwände wieder abzutragen. Bürokratieabbau muss vom Ausnahme- zum Regelfall werden. Was wir eigentlich brauchen, ist ein Bürokratie-Entlastungsgesetz pro Jahr oder einen vergleichbaren Mechanismus wie ein festes Bürokratie-Abbauziel von 25  Prozent.

Sabine Kuhlmann, seit 2013 Inhaberin des Lehrstuhls für „Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation“ an der Universität Potsdam; seit 2011 Mitglied des Nationalen Normenkontrollrates und seit 2017 dessen stellvertretende Vorsitzende.

Neuordnung der Sozialleistungen und Reform des Bürgergeldes

‚Bürgergeld‘ nennen Ökonomen ein Konzept, das die Abgabenpflicht der Bürger und ihre Sozialleistungsansprüche so miteinander verzahnt, dass Arbeitsanreize erhalten bleiben. Die Bundesregierung hat mit ihrer Reform des ALG II-Systems (‚Hartz IV‘) nur das Label ausgetauscht und Leistungen angehoben. Die über  1000 Euro breiten Schneisen im unteren Einkommensbereich, in denen mehr Brutto kaum mehr Netto bedeutet, bestehen indes fort. Auch die geplante Kindergrundsicherung ändert daran nichts. Seit Dezember liegen nun schon die Vorschläge der Peichl-Kommission vor. Wem an aktivierender Sozialpolitik gelegen ist, sollte sie zügig umsetzen.

Stefan Kooths leitet das Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum am Institut für Weltwirtschaft Kiel. Seit 2020 lehrt er an der BSP Business and Law School in Berlin/Hamburg.


Innovation /
Technologieoffenheit

Klimawandel, die Bekämpfung von Krankheiten und die Sicherung der Nahrungsmittel- und Energieversorgung: Die großen Herausforderungen, mit denen wir als Gesellschaft heute konfrontiert sind, erfordern innovative Lösungen. Expertinnen und Experten in Wissenschaft und Unternehmen forschen und entwickeln neue Ansätze. Technologieoffenheit – wie etwa im Bereich der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS), der Gen- und Biotechnologie oder auch der Fusionsforschung – ist dabei essenziell. Ebenso wichtig ist es aber auch, innovationsbremsende Bürokratie abzubauen, um Investitionen in Forschung zu erleichtern und Fortschritt leichter zu ermöglichen.

Hanna Hottenrott, Professorin für Innovationsökonomik TUM School of Management Technische Universität München. Seit April 2023 leitet sie zudem den Forschungsbereich für Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).


Lieferkettensorgfalts-
pflichten-Gesetz

Wir haben in unserer Studie zum Lieferkettensorgfalts- pflichtengesetz gesehen, dass diese Regelungen zu großen Unsicherheiten bei deutschen Unternehmen führen. Das schwächt die Akzeptanz für ein so wichtiges Thema. Die Regelungen der CSDDD werden im internationalen Wettbewerb eine entscheidende Rolle spielen. Wir brauchen jetzt einen pragmatischen Ansatz, damit sich die Unternehmen ausreichend vorbereiten können. Nur durch Akzeptanz gelingt uns eine nachhaltige Transformation der deutschen Wirtschaft.

Stefanie Fehr, Professorin für Compliance und Datenschutz, Hochschule für angewandte Wissenschaften Ansbach. Vor Übernahme ihrer Professur war sie neun Jahre in verschiedenen privaten Unternehmen tätig.



Bürokratie-Abbau

Die Bürokratie-Entlastungsgesetze haben in den Jahren 2015, 2016 und 2019 messbar dazu beigetragen, die stetig wachsenden gesetzlichen Erfüllungsaufwände abzufedern. Auch das vierte Gesetz dieser Art wird 2024 einen Beitrag leisten. Aber punktuelle Abfederungen reichen bisher nicht aus, um den Anstieg dauerhaft zu begrenzen oder gar den Berg vorhandener Aufwände wieder abzutragen. Bürokratieabbau muss vom Ausnahme- zum Regelfall werden. Was wir eigentlich brauchen, ist ein Bürokratie-Entlastungsgesetz pro Jahr oder einen vergleichbaren Mechanismus wie ein festes Bürokratie-Abbauziel von 25  Prozent.

Sabine Kuhlmann, seit 2013 Inhaberin des Lehrstuhls
für „Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation“ an der Universität
Potsdam; seit 2011 Mitglied des Nationalen Normenkontrollrates und seit 2017 dessen stellvertretende Vorsitzende.

Neuordnung der Sozial-
leistungen und Reform
des Bürgergeldes

‚Bürgergeld‘ nennen Ökonomen ein Konzept, das die Abgabenpflicht der Bürger und ihre Sozialleistungsansprüche so miteinander verzahnt, dass Arbeitsanreize erhalten bleiben. Die Bundesregierung hat mit ihrer Reform des ALG II-Systems (‚Hartz IV‘) nur das Label ausgetauscht und Leistungen angehoben. Die über  1000 Euro breiten Schneisen im unteren Einkommensbereich, in denen mehr Brutto kaum mehr Netto bedeutet, bestehen indes fort. Auch die geplante Kindergrundsicherung ändert daran nichts. Seit Dezember liegen nun schon die Vorschläge der Peichl-Kommission vor. Wem an aktivierender Sozialpolitik gelegen ist, sollte sie zügig umsetzen.

Stefan Kooths leitet das Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum am Institut für Weltwirtschaft Kiel. Seit 2020 lehrt er an der BSP Business and Law School in Berlin/Hamburg.

Kalte Progression

In den vergangenen Jahren hat der Fiskus erhebliche Inflationsgewinne aus der unzureichenden Anpassung des Einkommen-steuertarifs, der Freibeträge, Freigrenzen, Pausch- und Höchstbeträge an die Teuerung kassiert. Menschen, die durchschnittlich verdienen oder geringere Einkommen beziehen, werden so doppelt bestraft, indem sie zum einen auf rein nominale Einkommenssteigerungen höhere Steuern zahlen müssen und zum anderen mit Mehraufwand zur Anfertigung ihrer Steuererklärung gequält werden. Wir brauchen – wie in Belgien oder Frankreich – automatische Anpassungen durch eine Indexierung, also einen ‚Steuertarif auf Rädern‘.

Gisela Färber, Professorin für Wirtschaftliche Staatswissenschaften, insbesondere Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Von 2006 bis 2011 war Färber Mitglied im Nationalen Normenkontrollrat.

Schuldenbremse

Es fängt schon mit dem Streit an, was staatliche Investition ist. Extrem könnte man sagen: Alles, was der Staat tut, ist Investition, weil es den Zusammenhalt der Gesellschaft fördert und damit die Standortbedingungen verbessert. Das führt nicht weiter. Vielmehr müssen wir endlich von der politischen Haltung wegkommen, Probleme, die man mit Geld nicht lösen kann, eben mit viel Geld lösen zu wollen. Wenn man einmal den Druck aus dem Kessel nimmt, gibt es kein Halten mehr. Nach den Wahlerfolgen der Populisten in Europa gilt das erst recht. Deshalb mein Rat: Gar nicht dran rühren!

Justus Haucap lehrt Volkswirtschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ist Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE). Von 2006 bis 2014 war er Mitglied der Monopolkommission.

Baukosten senken

Überbordende Bürokratie, Fachkräftemangel und hohe Baukosten erschweren die Schaffung von bezahlbarem und ökologischem Wohnraum. Höchste Zeit also, das Baurecht zu reformieren, die Produktivität im Bau durch Innovation, Digitalisierung und Serienfähigkeit zu steigern und angemessene Baustandards zu etablieren. Ziel sollte sein, hohe Qualität mit weniger Ressourcenaufwand zu erreichen, egal ob Kosten, Rohstoffe oder Personal. Auch im Bestand lässt sich Wohnraum durch Nachverdichtung, flexible und teilbare Grundrisse, innovative Quartiersansätze und insbesondere ein agiles Umbaurecht aktivieren. Und auch im Neubau sollten Baustandards deutlich zwischen Mindest- und Komfortstandards unterscheiden.

Lamia Messari-Becker ist seit 2014 Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen. Im Februar dieses Jahres wurde sie zur Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum berufen.

Kalte Progression

In den vergangenen Jahren hat der Fiskus erhebliche Inflationsgewinne aus der unzureichenden Anpassung des Einkommen-steuertarifs, der Freibeträge, Freigrenzen, Pausch- und Höchstbeträge an die Teuerung kassiert. Menschen, die durchschnittlich verdienen oder geringere Einkommen beziehen, werden so doppelt bestraft, indem sie zum einen auf rein nominale Einkommenssteigerungen höhere Steuern zahlen müssen und zum anderen mit Mehraufwand zur Anfertigung ihrer Steuererklärung gequält werden. Wir brauchen – wie in Belgien oder Frankreich – automatische Anpassungen durch eine Indexierung, also einen ‚Steuertarif auf Rädern‘.

Gisela Färber, Professorin für Wirtschaftliche Staatswissenschaften, insbesondere Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Von 2006 bis 2011 war Färber Mitglied im Nationalen Normenkontrollrat.


Schuldenbremse

Es fängt schon mit dem Streit an, was staatliche Investition ist. Extrem könnte man sagen: Alles, was der Staat tut, ist Investition, weil es den Zusammenhalt der Gesellschaft fördert und damit die Standortbedingungen verbessert. Das führt nicht weiter. Vielmehr müssen wir endlich von der politischen Haltung wegkommen, Probleme, die man mit Geld nicht lösen kann, eben mit viel Geld lösen zu wollen. Wenn man einmal den Druck aus dem Kessel nimmt, gibt es kein Halten mehr. Nach den Wahlerfolgen der Populisten in Europa gilt das erst recht. Deshalb mein Rat: Gar nicht dran rühren!

Justus Haucap lehrt Volkswirtschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ist Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE). Von 2006 bis 2014 war er Mitglied der Monopolkommission.

Baukosten senken

Überbordende Bürokratie, Fachkräftemangel und hohe Baukosten erschweren die Schaffung von bezahlbarem und ökologischem Wohnraum. Höchste Zeit also, das Baurecht zu reformieren, die Produktivität im Bau durch Innovation, Digitalisierung und Serienfähigkeit zu steigern und angemessene Baustandards zu etablieren. Ziel sollte sein, hohe Qualität mit weniger Ressourcenaufwand zu erreichen, egal ob Kosten, Rohstoffe oder Personal. Auch im Bestand lässt sich Wohnraum durch Nachverdichtung, flexible und teilbare Grundrisse, innovative Quartiersansätze und insbesondere ein agiles Umbaurecht aktivieren. Und auch im Neubau sollten Baustandards deutlich zwischen Mindest- und Komfortstandards unterscheiden.

Lamia Messari-Becker ist seit 2014 Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen. Im Februar dieses Jahres wurde sie zur Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum berufen.

Auch interessant

Interview

Kira Brück // done is better than perfect

Perfektionismus bremst Kreativität und Motivation aus. Aber was braucht es jetzt für den wirtschaftlichen Aufschwung? Liberal hat Verena Pausder, seit Anfang des Jahres Vorsitzende des Startup-Verbands, gefragt.

Beitrag

Karl-Heinz Paqué // Warum Wirtschaftswachstum?

Ein altes politisches Ziel kehrt mit Macht zurück. Gut so!

Beitrag

Alexander Görlach // Die Würde der (Mehr-)Arbeit

Die Diskussion um weniger Arbeit bei gleichem Lohn treibt Deutschland um. Sinnstiftende Tätigkeiten und Chancen auf den beruflichen und sozialen Aufstieg lassen sich nicht verordnen.

Ein Angebot der

Wir verarbeiten Ihre Daten und nutzen Cookies.

Wir nutzen technisch notwendige Cookies, um Ihnen die wesentlichen Funktionen unserer Website anbieten zu können. Ihre Daten verarbeiten wir dann nur auf unseren eigenen Systemen. Mehr Information finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen in Ziffer 3. Sie können unsere Website damit nur im technisch notwendigen Umfang nutzen.

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und unser Angebot für Sie fortlaufend verbessern zu können, nutzen wir funktionale und Marketingcookies. Mehr Information zu den Anbietern und die Funktionsweise finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen in Ziffer 3. Klicken Sie ‚Akzeptieren‘, um einzuwilligen. Diese Einwilligung können Sie jederzeit widerrufen.