So geht Aufschwung
Ein altes politisches Ziel kehrt mit Macht zurück. Gut so!
Text: Karl-Heinz Paqué
Illustration: DAQ
So geht Aufschwung
Ein altes politisches Ziel kehrt mit Macht zurück. Gut so!
Text: Karl-Heinz Paqué
Illustration: DAQ
Seit Juni 1967 ist es politischer Auftrag: das Wirtschaftswachstum. § 1 des damals verabschiedeten Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes verpflichtet Bund und Länder, „im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenen Wirtschaftswachstum bei(zu)tragen“.
Gleichwohl entstand in den letzten Jahren vor allem aufseiten der politischen Linken eine starke Gegenbewegung. Ihr Schlagwort: Degrowth. Verlangt wird dabei das genaue Gegenteil von Wirtschaftswachstum, eine Art geordnete Schrumpfung. Ziel: Das Schonen von Ressourcen der Natur und das Aufhalten des menschlich verursachten Klimawandels, und zwar durch Verzicht auf Konsum und Umlenkung von Investitionen in den Klimaschutz.
Es gibt Anzeichen, dass diese Degrowth-Bewegung ihren Zenit überschritten hat. Die politisch proklamierte „Zeitenwende“ unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 könnte im Nachhinein als jener Zeitpunkt identifiziert werden, zu dem in Deutschland eine Rückbesinnung auf das Wirtschaftswachstum begann. Heute – zweieinhalb Jahre danach – steht die Frage der Wachstumspolitik mitten im Zentrum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Es spricht viel dafür, dass sich daran bis zur nächsten Bundestagswahl und darüber hinaus nichts mehr ändert. Und das ist richtig so.
Warum Wachstum? Die Antwort lässt sich in fünf zentralen Punkten zusammenfassen:
1Wachstum ist ein Gebot der Geopolitik.
Mit der Verdüsterung des geopolitischen Horizonts durch Russlands Krieg gegen die Ukraine, Chinas globalen Machtambitionen sowie der bedrohlichen Instabilität in Nahost als Folge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel im Oktober 2023 ist die Bedeutung von äußerer Sicherheit und Landesverteidigung dramatisch gestiegen. Deutschland muss fiskalisch in der Lage sein, einen angemessenen Beitrag zur Verteidigung des Westens in der NATO zu leisten. 2024 wird erstmals die Zielmarke von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungshaushalt erreicht. Absehbar ist dabei allerdings, dass dies erst durch die Einrichtung eines Sonderfonds möglich wird und die Last in wenigen Jahren auf Kosten anderer Ausgaben gehen wird oder am Kapitalmarkt zulasten künftiger Generationen finanziert werden muss. Die einzige Lösung aus dem Dilemma: mehr wirtschaftliches Wachstum der Wertschöpfung. Neben den Bedarf für die Verteidigung treten die enormen Investitionen für die Infrastruktur, die nötig sind: Straßen und Bahnstrecken, Digital- und Stromnetze, Ausbau der erneuerbaren Energien.
2Wachstum ist heute in der Regel qualitativ, nicht quantitativ.
Das Plädoyer für Degrowth beruht auf der völlig irrigen Vorstellung, eine moderne Industriegesellschaft produziere im Zuge des Wachstums immer mehr vom Gleichen, etwa mehr Autos, mehr Kühlschränke, mehr Computer. Dem ist nicht so. Sind im Wesentlichen die Grundbedürfnisse der Menschen in einem Land befriedigt, bedeutet mehr Wachstum – um im Bild zu bleiben – bessere Autos, bessere Kühlschränke, bessere Computer. Besser heißt dabei auch: klimapolitisch rücksichtsvoller, mit kleinerem „ökologischen Fußabdruck“. Das Elektroauto ist nur ein Bespiel dafür unter vielen. Wer möchte heute – außer aus nostalgischem Vergnügen – mit einem Automobil der Technologie der Neunziger-jahre fahren? Die gleiche Frage werden sich mit Blick auf heute die Menschen in den 2050er-Jahren stellen – vorausgesetzt, wir arbeiten weiter mit hoher Innovationskraft an modernen Technologien, mit all unserer Ingenieurskunst, die das Land seit der Industrialisierung auszeichnet, und dies trotz zunehmender Knappheit an Fachkräften. Es ist eine gewaltige Aufgabe der Mobilisierung aller wirtschaftlichen Kräfte.
Sind die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt, bedeutet mehr Wachstum auch bessere Autos, Kühlschränke und Computer mit kleinerem ökologischen Fußabdruck.
3Wachstum ermöglicht erst die klimapolitische Transformation.
Eine Wirtschaft ökologisch zu transformieren erfordert enorme zusätzliche Ressourcen, die für eine „normale“ Verbesserung des Wohlstands fehlen. Man stelle sich zum Beispiel vor, dass alle Heizungsanlagen in Deutschland anno 2050 durch gigantische Investitionen und neue Technologien, die erst noch entwickelt werden müssen, tatsächlich den Zustand der Emissionsneutralität erreichen. Dies wäre ein großer Erfolg, der allerdings für die Menschen selbst per se keine spürbaren Verbesserungen ihres Lebensstandards mit sich brächte, denn sie genießen den gleichen Grad an künstlich hergestellter Wärme wie bisher – nur mit dem Unterschied, dass sie das Klima für künftige Generationen schonen. Will man gleichwohl auch der Generation, die um 2050 lebt, einen höheren Lebensstandard als uns heute gönnen, muss man noch viel mehr in neues Kapital und Forschung investieren, um trotz der Aufwendungen für die Entwicklung und Installation der Heizungsanlagen weitere Verbesserungen der Lebensqualität zu sichern. Dies erfordert eine Offensive in Forschung & Entwicklung, die nur bei kräftigem Wachstum möglich ist.
4Wachstum allein ermöglicht es, als Standort attraktiv zu bleiben.
Deutschland ist nicht isoliert. Es hat mehr direkte Nachbarländer als alle anderen Nationen der Welt – außer China. Die kulturellen Barrieren in Europa sind gering, die Mobilität potenziell hoch. Schon heute arbeiten viele hochspezialisierte Fachkräfte wie zum Beispiel Ärzte in der benachbarten Schweiz – und verdienen dort deutlich mehr als hierzulande. Dieser Trend wird sich verstärken, weil überall die Fachkräfte knapper werden. Hielte Deutschland im Wachstum nicht mit den europäischen Nachbarn mit, bestünde schnell die Gefahr der Massenabwanderung, die heute noch utopisch erscheint. Aber im Zuge einer Degrowth-Strategie bliebe sie das nicht: Eine Nation mit Nullwachstum fällt in zehn Jahren gegenüber einem Land mit zwei Prozent Wachstum pro Jahr im Pro-Kopf-Einkommen um 22 Prozent, in 20 Jahren um 49 (!) Prozent zurück. Mit anderen Worten: Eine Nation, die umgeben ist von wachsenden Volkswirtschaften, ist selbst zum Wachstum „verurteilt“ – es sei denn, sie akzeptiert ihr eigenes Ausbluten an Fachkräften. Schon die jüngste Wachstumsschwäche hat Deutschland gegenüber den Nachbarn bedenklich zurückgeworfen.
Eine Nation, die umgeben ist von wachsenden Volkswirtschaften, ist selbst zum Wachstum „verurteilt“– es sei denn, sie akzeptiert ihr eigenes Ausbluten an Fachkräften.
5Wachstum befördert Zufriedenheit und Zuversicht.
Degrowth-Befürworter weisen gerne darauf hin, dass die Menschen in wohlhabenderen Ländern oft nach subjektivem Empfinden nicht glücklicher sind als Menschen in ärmeren Ländern. Dies stimmt, stellt aber die entscheidende Frage falsch. Diese lautet: Wie würden sich die Menschen in den wohlhabenden Ländern fühlen, wenn sie – relativ zu ihren Nachbarn – zurückfallen würden? Könnten sie dann ihren Grad an Zufriedenheit aufrechterhalten? Wer einmal wohlhabend ist, kann eben nicht leicht zurück. Er muss – möglichst mit Zuversicht – weitermachen. Ihm hilft dabei die Aussicht, dass Erfolge den Optimismus beflügeln, so wie Deutschland dies in früheren Phasen seiner Entwicklung erlebt hat. Der Stolz auf das Erreichte macht Mut, das Gefühl des Versagens verzagt. Leider ist dies die derzeitige Gemütslage in Deutschland – nach der fatalen Merkel-Ära von 16 Jahren, in denen die Nation die meiste Zeit von ihrer großen wirtschaftlichen und finanziellen Substanz lebte, ohne hinreichend in die Zukunft zu investieren. Mit dem bedauerlichen Ergebnis dieses Prozesses muss sich die Politik seit der Zeitenwende herumschlagen.
FAZIT: Die Zeit der Degrowth-Philosophie ist abgelaufen. Alle politischen Kräfte des Landes tun gut daran, sich daran zu orientieren. Selbst wenn sie dies tun, bleibt übrigens eine Vielzahl von kontroversen Fragen, wie genau der Weg zu mehr Wachstum aussehen kann und soll. Darüber lässt sich dann trefflich streiten. Aber bitte nicht um die Frage, ob wir Wachstum brauchen oder nicht. Diese Frage ist entschieden. Jedenfalls bis zu jenem noch fernen „Feiertag“, an dem die ökologische Transformation erreicht ist und Deutschland unverändert im Lebensstandard mit an der Spitze der Industrieländer steht.
Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-
Stiftung für die Freiheit und Professor der Volkswirtschaftslehre (emer.). 2010–2013 war er Mitglied der Enquetekommission des Bundestags „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“.
Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-
Stiftung für die Freiheit und Professor der Volkswirtschaftslehre (emer.). 2010–2013 war er Mitglied der Enquetekommission des Bundestags „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“.
Perfektionismus bremst Kreativität und Motivation aus. Aber was braucht es jetzt für den wirtschaftlichen Aufschwung? Liberal hat Verena Pausder, seit Anfang des Jahres Vorsitzende des Startup-Verbands, gefragt.
Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Das Problem: Es gibt in vielen Politikfeldern gleichzeitig dringenden Reformbedarf. (Wirtschafts-)Wissenschaftlerinnen und Ökonomen haben etliche Vorschläge vorgelegt, welche Baustellen Bundesregierung und Parlament in Angriff nehmen müssen.
Die Diskussion um weniger Arbeit bei gleichem Lohn treibt Deutschland um. Sinnstiftende Tätigkeiten und Chancen auf den beruflichen und sozialen Aufstieg lassen sich nicht verordnen.