So geht Aufschwung

Die Würde
der (Mehr-)Arbeit

Die Diskussion um weniger Arbeit bei gleichem Lohn treibt Deutschland um. Sinnstiftende Tätigkeiten und Chancen auf den beruflichen und sozialen Aufstieg lassen sich nicht verordnen.

Text: Alexander Görlach

So geht Aufschwung

Die Würde der (Mehr-)Arbeit

Die Diskussion um weniger Arbeit bei gleichem Lohn treibt Deutschland um. Sinnstiftende Tätigkeiten und Chancen auf den beruflichen und sozialen Aufstieg lassen sich nicht verordnen.

Text: Alexander Görlach


Deutschland debattiert über die Viertagewoche, über weniger Arbeit für den gleichen Lohn. Für die einen spiegelt diese Diskussion die vermeintliche Wohlstandsverwahrlosung der jungen Generation wider, die nicht mehr arbeiten, sondern nur noch auf Reisen, zum Kaffee trinken oder zum Yoga gehen will. Eine andere Gruppe sieht eine Gesellschaft im Niedergang, eine gespaltene Nation, deren Bürgerinnen und Bürger nichts mehr gemeinsam erreichen, sondern nur noch für sich selbst das meiste herausholen wollen, in der Annahme, dass alle anderen das gleiche Ziel verfolgen. Egal welchen Grund man für den Ruf nach weniger Arbeit am plausibelsten findet, Einigkeit besteht darin, dass die Forderung nach weniger Arbeit bei gleichem Lohn als illusorisch, verwegen oder schlicht frech betrachtet wird. Steht Deutschland nicht im Moment als Schlusslicht aller OECD-Staaten mit mieser Wachstumsrate und angeschlagener Wettbewerbsfähigkeit da? Ist angesichts dessen die Forderung nach einer Viertagewoche nicht das falsche Signal?

Die eigentliche Frage in dieser Debatte ist, warum Menschen immer weniger arbeiten wollen in einer Zeit, in der körperlich anstrengende Arbeit an vielen Stellen von Maschinen erledigt oder zumindest erleichtert wird und somit viel mehr Möglichkeiten der Selbstverwirklichung im Arbeiten liegen als je zuvor. Liegt der Grund dafür, wie einige Stimmen in der politischen Debatte nahelegen, wirklich darin, dass Arbeiten sich finanziell nicht mehr lohnt?

Abstand vom Job

Die großen Internetkonzerne haben ihren Belegschaften neben einem hohen Gehaltsscheck und virtuellen Firmenbeteiligungen vom Fitnessstudio bis hin zur Vollverpflegung Sonderleistungen offeriert, von denen vorangegangene Arbeitnehmer-Generationen nur träumen konnten. Es darf unterstellt werden, dass es den „Googles“ dieser Welt dabei neben der Bindung der Belegschaft auch darum ging, die Menschen so lange wie möglich an ihrem Sitzplatz zu halten. Wer keine Wege mehr zur Reinigung oder zur Arbeit zurücklegen muss, der kann länger in Meetings sitzen oder Präsentationen erstellen.

Das Homeoffice, das durch Covid-19 zu einer Regelerscheinung wurde, mag durch die räumliche Trennung auch einen inneren Abstand vom omnipräsenten Arbeitgeber begünstigt haben. Im Jahr zwei nach dem Ende der Lockdowns klagen jedenfalls Beschäftigte, die wieder ins Büro zurückkehren mussten, mehr über gesundheitliche Beschwerden als jene, denen weiteres Homeoffice vergönnt blieb. Vielleicht haben all die Veränderungen, die den klassischen Arbeitsplatz in den letzten zehn, fünfzehn Jahren heimgesucht haben, vielen einfach mehr abverlangt, als abzusehen war.

Selbstverständlich kann es eine liberale Gesellschaft allen gestatten, für sich zu entscheiden, wie lange und wie viel sie arbeiten wollen. Eine freie Gesellschaft kann auch entscheiden, insgesamt weniger zu arbeiten, wenngleich das im Ergebnis einen Wohlstandsverlust bedeutet. Ist es denn verwerflich, wenn Menschen in ihrer Arbeit nur Zweckerfüllung sehen und sich danach sehnen, ihren Hobbys nachzugehen oder mit ihren Kindern zu spielen? Absolut nicht.

Für die Generation Z soll Arbeit an einem guten und gerechten Arbeitsplatz auch Freude machen.
Alexander Görlach

Allerdings hat die gegenwärtige Debatte um die Viertagewoche einen Aspekt unserer Lohnarbeit noch nicht berührt: den der Würde der Arbeit. Es mag aus der biblischen Tradition herrühren oder einem marxistischen Verständnis vom Anteil aller Arbeitenden an den Produktionsmitteln entspringen, dass Arbeit bisher als Ausdruck menschlicher Würde und ausgeprägter Freiheit verstanden wurde. Fabrikarbeiter und Akademiker sollten gleichermaßen stolz auf das sein, was sie taten. Das mag heute wie ein hehres Ideal klingen, gehörte aber zum Ethos moderner Industriegesellschaften in Europa.

Vorteilhafte Meritokratie

Seit dem Übergang zu „Aufstieg durch Bildung“-Gesellschaften in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg darf sogar für eine immer weiter wachsende Zahl von Menschen angenommen werden, dass sie sich durch Schule, Ausbildung und Studium eine Auswahl an beruflichen Möglichkeiten erarbeiten konnten, die ihren jeweiligen Fähigkeiten entsprach. Eine so errichtete Meritokratie ist die Grundlage für Demokratie und Wohlstand.

Es spricht einiges dafür, dass sich dieses meritokratische Window of Opportunity auch in Deutschland wieder schließt. Herkunft bleibt auch hier entscheidend für beruflichen Aufstieg: Einer von hundert Promovierenden an deutschen Universitäten entstammt einem Handwerkerhaushalt. Die Aufmerksamkeit der politisch Verantwortlichen muss sich also auf jene gläsernen Decken richten, die in Deutschland existieren und die zu Frustration an der Arbeitswelt führen, noch bevor der erste Arbeitstag begonnen hat. Wenn Arbeit keinen Sinn mehr stiftet, kann jede Gesellschaft zumachen. Würde durch Arbeit ist übrigens auch ein Thema für Asylsuchende und Geflüchtete. Sich nicht beteiligen oder arbeiten zu dürfen, ist für viele, die nach Deutschland kommen, eine schwere Last.

Natürlich wird die Würde, von der hier die Rede ist, auch in einer gerechten Entlohnung manifest. Die Diskussion um steuerbefreite Überstunden oder einen fairen Mindestlohn ist also kein schmückendes Beiwerk, sondern essenziell für eine liberale Gesellschaft, die allen ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit ermöglichen will.

Arbeit selbst als etwas Sinnstiftendes anzusehen, sich selbst als Teil eines größeren Ganzen zu betrachten, ist nichts, was Politik verordnen kann. In der Vergangenheit scheint Deutschland hier von einem gewissen Arbeitsethos, von der protestantischen Ethik und der katholischen Soziallehre geprägt gewesen zu sein. Was nun die Generation Z neu in der Arithmetik einbringt, die einen guten und gerechten Arbeitsplatz beschreibt, ist, dass Arbeit auch Freude machen soll. Diese Forderung richtet sich gegen all das, was viel zu lange am Arbeitsplatz geduldet wurde: sexuelle Belästigung, toxische Männlichkeit, Mobbing, ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Dagegen zu Felde zu ziehen unterstreicht geradezu den Anspruch an Arbeit, ein Leben in Freiheit und Würde zu ermöglichen. Liberale Politik steht für eine Gesellschaft ohne Schranken, für Einbindung und Fairness. Sie wird dringend gebraucht, damit die nächste Generation, die auf den Arbeitsmarkt kommt, mit Freude mehr arbeiten möchte.

Alexander Görlach unterrichtet Demokratie-Theorie an der New York University. Er ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs.

Alexander Görlach unterrichtet Demokratie-Theorie an der New York University. Er ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs.

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