ENERGIEWENDE

Ökostrom per Flatrate

Der Energiepreisschock wird den Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft entscheidend beschleunigen. Durchaus möglich, dass Grünstrom dann kaum mehr was kostet. 

Text: Margaret Heckel

ENERGIEWENDE

Ökostrom per Flatrate

Der Energiepreisschock wird den Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft entscheidend beschleunigen. Durchaus möglich, dass Grünstrom dann kaum mehr was kostet. 

Text: Margaret Heckel

Rafael Laguna de la Vera traut sich was. Der Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND in Leipzig sagt voraus, dass Grünstrom schon in absehbarer Zeit so billig sein wird, dass es sich nicht mehr lohnt, ihn abzurechnen. „Too cheap to meter“ heißt diese Vision – und sie würde bedeuten, dass Strom über eine Flatrate bezogen werden kann, so wie heute beim Telefonieren. Schon heute kann Grünstrom im Sonnengürtel der Welt – das Gebiet zwischen dem 20. und 40. Breitengrad mit seinen vielen Wüsten – für rund 1 Cent/KWh hergestellt werden. Einmal gebaut, brauchen regenerative Energieanlagen keine kostentreibenden Brennstoffe und sind wenig wartungsintensiv. Aber klar: Erst einmal wird es viele, sehr viele Milliarden Euro oder US-Dollar kosten, diese Anlagen überhaupt zu bauen. Und noch mehr Geld wird nötig sein, Grünstrom oder daraus hergestellten grünen Wasserstoff und Ammoniak dann in den industrialisierten Norden zu bringen, dort die Infrastruktur umzubauen oder überhaupt erst zu installieren.

So ist die These des SPRIND-Chefs vor allem eine Provokation, weiterzudenken. „Diese Krise könnte ein Wendepunkt in der Geschichte für einen beschleunigten Übergang zu sauberen Energien sein“, erwartet Fatih Birol, geschäftsführender Direktor der Internationalen Energieagentur.

Siegeszug der Erneuerbaren

Bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine und damit vor dem aktuellen Preisschock zeigen Daten von Bloomberg, dass schon 2021 drei Viertel der neu installierten weltweiten Kraftwerksleistung im Bereich der erneuerbaren Energien waren. Erstmals wurden mehr als 10 Prozent der weltweiten Stromerzeugung aus Sonne und Wind generiert – nicht nur aufgrund politischer Vorgaben, sondern vor allem, weil die Investitionskosten seit inzwischen zwei Jahrzehnten jährlich um rund 10 Prozent fallen.

Auch um den Zugang zu Energie künftig besser zu diversifizieren, bietet sich für die Industrieländer Europas dabei insbesondere die Zusammenarbeit mit den Ländern Afrikas an: Fast alle haben Sonne und Wind, manche sind sogar demokratisch regiert. In Namibia beispielsweise will Rainer Baake, langjähriger Staatsekretär in mehreren Bundesministerien und heutiger Chef der Stiftung Klimaneutralität, mit der dortigen Regierung und privaten Investoren in fünf Jahren ein Mega-Projekt hochziehen. Es würde die Stromerzeugung des Landes mehr als verdreifachen und hätte damit enorme Exportkapazitäten auch nach Europa. In Form von Ammoniak soll die Energie dann nach Deutschland verschifft werden. 

Ausbau der Infrastruktur

Ähnliche Projekte werden weltweit inzwischen fast im Wochentakt vorgestellt. Auch wenn nicht alle realisiert werden, wird eines immer deutlicher: Im Sonnengürtel der Welt hergestellter grüner Wasserstoff -und Ammoniak werden Öl und Gas als Treibstoff der Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert ersetzen. Abzulesen ist das inzwischen auch im Boom bei europäischen Start-ups in der Energieinfrastruktur: Sie erhielten allein bis Oktober dieses Jahres 10,9 Milliarden Euro – und damit deutlich mehr als im Gesamtjahr 2021, wie „Capital“ basierend auf Zahlen der Analysefirma Dealroom berichtet. Viele von ihnen bauen ganz neue Geschäftsmodelle auf – von Abo-Modellen für Solarpaneele über Batteriespeicher bis hin zu deutschlandweiten Handwerkernetzen für den Einbau von regenerativen Strom- und Heizungssystemen.

Mit Letzterem sind beispielsweise der Hamburger Photovoltaikanbieter 1Komma5° und sein Berliner Konkurrent Zolar am Start. Beide haben Plattformen aufgebaut, auf denen sich private Immobilienbesitzer online alles zusammenstellen können, was sie weitgehend energieautark macht. Eingebaut werden die Wärmepumpen, Batterien und Solarpaneele dann von Handwerkern, mit denen 1Komma5° und Zolar zusammenarbeiten. Beide Firmen werben mit einem Digitalisierungsschub im ansonsten eher nicht unbedingt an vorderster Innovationsfront stehenden Handwerk. Über vier Jahrzehnte alt ist eine deutsche Erfindung, die mit dem Energiepreisschock nun vor dem Durchbruch steht: Agri-PV, die Installation von Photovoltaikzellen auf Ständern über Landwirtschaftsflächen. Adolf Goetzberger, der Gründer des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE hatte bereits 1981 darauf hingewiesen, dass etliche Pflanzen nicht die volle Sonne brauchen, um gut zu reifen.

Nur 1 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland würde nach Zahlen des Umweltbundesamtes ausreichen, um 50 Gigawatt und damit ein Viertel der deutschen Ausbauziele bis 2030 für Photovoltaik zu erreichen. Das gesamte technische Potenzial von Agri-PV wird auf 1700 GW geschätzt. Bislang allerdings verhindern bürokratische Hemmnisse weitestgehend die Umsetzung dieser Doppelnutzung von Land: Erst Anfang 2023 wird das Erneuerbare-Energien-Gesetz so geändert, dass Agri-PV gefördert werden kann. Zwar hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit seinem sogenannten Osterpaket etliche bürokratische Hemmnisse für den Ausbau der regenerativen Energien in Deutschland gelockert. Doch zum einen bleiben immer noch genug übrig, wie jeder weiß, der einmal einen Antrag zum Aufstellen eines Windrads in Deutschland eingereicht hat. Zum anderen aber sind andere Nationen inzwischen sowohl mit der Förderung als auch der Deregulierung des Sektors deutlich schneller.

Diese Krise könnte ein Wendepunkt in der Geschichte für einen beschleunigten Übergang zu sauberen Energien sein.
Fatih Birol

US-Förderung zieht Investitionen ab

Am deutlichsten zu sehen ist das bei einem entscheidenden Element der Energiewende, den Speicherbatterien. 4,5 Milliarden Euro wollte das schwedische Unternehmen Northvolt in den Bau einer Batteriefertigung für Elektroautos in Schleswig-Holstein investieren. Nachdem US-Präsident Joe Biden mit dem „Inflation Reduction Act“ aber ein 430 Milliarden US-Dollar schweres Subventionsprogramm für Erneuerbare auf den Weg gebracht hat, überlegt Northvolt nun, lieber zuerst in den USA zu investieren. Auch der US-Autobauer Tesla hat den angekündigten Bau einer Batteriefertigung in Brandenburg aus den gleichen Gründen vorerst ausgesetzt. Northvolt-Gründer Peter Carlsson hat unlängst in der „FAZ“ vorgerechnet, dass die Subventionen in den USA bei gleicher Fabrikgröße vier- bis fünfmal so groß sind.

SPRIND-Chef Laguna de la Vera empfiehlt für die Umsetzung seiner „Too cheap to meter“-Vision ein gesamteuropäisches Vorgehen. Mitte Oktober hat der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Frans Timmermanns in Marokko eine erste „Grüne Partnerschaft“ zwischen der EU und einem afrikanischen Land vorgestellt.

Damit soll die vertiefte Zusammenarbeit zwischen Marokko und der Europäischen Union in den European Green Deal eingebunden werden. Das passt: Bereits 2016 wurde in dem Königreich mit weitgehend europäischer Finanzierung der damals weltweit größte Solarpark Ouarzazarte eingeweiht. Die Herstellungskosten für eine Kilowattstunde Strom wurden damals mit 4,5 Eurocent berechnet. Inzwischen wurde die Anlage viermal erweitert.

Margaret Heckel ist freie Journalistin, Moderatorin und Buchautorin. Sie lebt in Potsdam.

Margaret Heckel ist freie Journalistin, Moderatorin und Buchautorin. Sie lebt in Potsdam.

Auch interessant

Reportage

Daniel Zwick // Berliner Experimente

Germany’s capital is a test lab for the mobility of the future. Not every project is worth copying, but they all have something to teach. 

Karl-Heinz Paqué // Schaffen wir das?

The eternal tug of war between the ministry of transport and the ministry of the environment is legend. But if the Zeitenwende in energy policy is to succeed, it will be down to Volker Wissing and Steffi Lemke.

Ein Angebot der

Wirtschaft

Wir verarbeiten Ihre Daten und nutzen Cookies.

Wir nutzen technisch notwendige Cookies, um Ihnen die wesentlichen Funktionen unserer Website anbieten zu können. Ihre Daten verarbeiten wir dann nur auf unseren eigenen Systemen. Mehr Information finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen in Ziffer 3. Sie können unsere Website damit nur im technisch notwendigen Umfang nutzen.

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und unser Angebot für Sie fortlaufend verbessern zu können, nutzen wir funktionale und Marketingcookies. Mehr Information zu den Anbietern und die Funktionsweise finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen in Ziffer 3. Klicken Sie ‚Akzeptieren‘, um einzuwilligen. Diese Einwilligung können Sie jederzeit widerrufen.