ANSCHLUSS VERPASST?
Neue Chancen im ländlichen Raum: Digitale Tools, politische Weichenstellungen und transparente Verwaltungsstrukturen könnten das Land zu einem attraktiven Ort machen, der Innovation und hohe Lebensqualität miteinander verbindet.
Text: Dirk Assmann
Illustrationen: Emmanuel Polanco
ANSCHLUSS VERPASST?
Neue Chancen im ländlichen Raum: Digitale Tools, politische Weichenstellungen und transparente Verwaltungsstrukturen könnten das Land zu einem attraktiven Ort machen, der Innovation und hohe Lebensqualität miteinander verbindet.
Text: Dirk Assmann
Illustrationen: Emmanuel Polanco
Deutschlands Städte boomen: Zwischen 2010 und 2020 sind immer mehr Menschen in die urbanen Zentren gezogen. Doch im öffentlichen Diskurs könnte man manchmal den Eindruck gewinnen, als würde sich das gesamte Leben hierzulande in Berlin, Hamburg oder München abspielen. Dem ist natürlich nicht so. Auch in Deutschland wohnt ein erheblicher Anteil der Menschen „auf dem Land“. Doch was bedeutet das eigentlich – „auf dem Land“? Eine exakte Definition ländlicher Räume fehlt: Je nach Quelle und je nach Kriterium leben in Deutschland zwischen 20 und fast 60 Prozent der Bevölkerung im ländlichen Raum.
Auch unabhängig von abweichenden Definitionen kann sich das Leben „auf dem Land“ grundlegend unterscheiden. Hierfür genügt ein Blick nach Brandenburg. Die Dörfer und Kleinstädte im Speckgürtel Berlins sind in den letzten Jahren erheblich gewachsen. In diesen Orten liegen die Hauptpro-bleme in der Bereitstellung von ausreichend Wohnraum und darin, beim Ausbau der Infrastruktur mitzuhalten. In vielen Ortschaften der Lausitz – abseits von Berlin – kann man von solchen Problemen nur träumen. Hier geht es da-rum, den Verfall leer stehender Ortskerne zu verhindern und ein grundlegendes Angebot der Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten. In den allermeisten Regionen Deutschlands ist es ähnlich: Während ländliche Räume in der Nähe der Metropolen florieren, kämpft das „Land“ abseits der Großstädte zunehmend mit einem Teufelskreis der Abwanderung. Dabei führt der Wegzug der Bevölkerung dazu, dass Infrastruktur immer schwieriger zu finanzieren ist. Das verringert die Attraktivität, noch mehr Menschen verlassen die Region – ein echter Teufelskreis. Die soziale Spaltung zwischen Stadt und Land droht.
Wandel der Arbeitswelt
Doch aussichtslos ist die Lage keinesfalls – ganz im Gegenteil. Es gibt Chancen, dass diese Spaltung nicht stattfindet. Denn die Corona-Pandemie hat unsere Arbeitswelt grundlegend verändert. Noch vor einigen Jahren galt das mobile Arbeiten als absolute Ausnahme, im Zuge der Corona-Pandemie gehört es zur neuen Normalität. Mobiles Arbeiten ist natürlich nicht in allen Berufen möglich, doch sehr viele „klassische Schreibtisch-Jobs“ lassen sich auf digitalem Wege von zu Hause erledigen. Vielleicht nicht an fünf Tagen, aber durchaus an zwei, drei oder sogar vier Tagen in der Woche.
Auch der Blick auf unsere Wohnverhältnisse hat sich während der Corona-Pandemie verändert. Nie zuvor hat man so viel Zeit in den „eigenen vier Wänden“ verbracht. Nun konnte man die Vor- und Nachteile der eigenen Wohnsituation kennenlernen. Viele Menschen spürten den Wunsch nach mehr Wohnfläche und mehr Räumen. Auch ein eigener Garten wurde im Lockdown zum Sehnsuchtsort. Dieser veränderte Blick auf das Wohnen macht ländlichen Raum wieder attraktiver. Denn dort zu wohnen bedeutet, dass größere Wohnflächen und ein eigener Garten realistischer sind. Das ist den Menschen in Deutschland bewusst: 51 Prozent der Stadtbewohnerinnen und -bewohner können sich einen Umzug in den ländlichen Raum vorstellen, sofern die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens bestehen bleiben.
Die Landwirtschaft in Deutschland ist wichtig, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, das Landschaftsbild zu prägen und ländliche Kulturlandschaften zu erhalten.
Erste Auswirkungen dieser Entwicklung sind bereits sichtbar: Die Immobilienpreise im Umland von Metropolen sind zuletzt deutlich stärker gestiegen oder waren wesentlich stabiler als die Preise in der Stadt – ein Hinweis auf eine wachsende Nachfrage außerhalb der Zentren. Für den ländlichen Raum ergibt sich daraus eine große Chance. Und nicht nur das: Sogar die Wohnungsmärkte in den Städten könnten von dieser Entwicklung profitieren.
Erste Auswirkungen dieser Entwicklung sind bereits sichtbar: Die Immobilienpreise im Umland von Metropolen sind zuletzt deutlich stärker gestiegen oder waren wesentlich stabiler als die Preise in der Stadt – ein Hinweis auf eine wachsende Nachfrage außerhalb der Zentren. Für den ländlichen Raum ergibt sich daraus eine große Chance. Und nicht nur das: Sogar die Wohnungsmärkte in den Städten könnten von dieser Entwicklung profitieren.
Anbindung ist wichtig
Damit auch der ländliche Raum abseits der Speckgürtel als Wohnort in Betracht kommt, müssen jedoch drei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens kann das Homeoffice „im Grünen“ nur mit schnellem Internet Wirklichkeit werden. Für bessere Arbeitsbedingungen im ländlichen Raum könnten Co-Working-Spaces helfen. Deren Räume können nicht nur von Gründerinnen und Gründern, sondern natürlich auch von allen anderen Arbeitskräften genutzt werden, die mobil arbeiten wollen. Zweitens bedarf es einer zeitgemäßen Verkehrsinfrastruktur. Dass das Büro gar nicht mehr aufgesucht werden muss, wird auch in Zukunft die Ausnahme bleiben. Die allermeisten Arbeitskräfte, die mobil arbeiten, werden auch in Zukunft zwei oder drei Tage pro Woche im Büro sein. Damit die Fahrt ins städtische Büro funktioniert, müssen gut ausgebaute Straßen und Schienen dafür sorgen, dass Stadt und Land optimal verbunden sind.
Und drittens kann der Traum vom Arbeiten im Grünen nur dann Realität werden, wenn auch das mobile Arbeiten zukünftig möglich bleibt. Die allermeisten Firmen und Arbeitnehmer finden schon jetzt flexible Regelungen, die für beide Seiten den größten Nutzen bringen. Es braucht also keine zusätzlichen Verpflichtungen und Vorschriften. Was nötig ist, sind rechtssichere Regelungen, mit denen sich das mobile Arbeiten so flexibel und unbürokratisch wie möglich organisieren lässt.
Verwaltung als Partner
Im Idealfall wird die Verwaltung im ländlichen Raum zum Partner für die Menschen. Die Aufgaben der öffentlichen Hand in der Kommune sind vielfältig. Sie sorgt für Sicherheit (durch Präsenz der Polizei oder durch eine effiziente Feuerwehr), Bildung (durch ausreichende Grund- und weiterführende Schulen) und Gesundheit (durch einen schnellen und einfachen Zugang zu Allgemein- und Fachärzten oder Krankenhäusern). Die kommunale Verwaltung führt staatliche Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis aus, erarbeitet Beschlussvorlagen für den Stadtrat und setzt beschlossene Vorhaben in die Praxis um. Sie bearbeitet Anträge, zahlt Unterstützungsleistungen aus, betreibt Kindergärten, Bibliotheken oder Schwimmbäder, repariert Straßen und plant Bebauungen.
Deshalb nimmt die kommunale Verwaltung im Wettbewerb der Städte und Regionen eine so wichtige Rolle ein: In diesem Wettbewerb kann eine agile und wirtschaftsfreundliche Verwaltung der entscheidende Faktor für die Ansiedlung von Unternehmen und für die Aktivierung von Gründerinnen und Gründern sein. Je effizienter und näher an den Menschen sie ist, desto mehr Handlungsfreiräume ermöglicht sie und desto attraktiver wird ein Standort. Dabei sind die Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger längst gestiegen: Der digitale Wandel stellt unverständliche Formulare, lange Warteschlangen und langwierige Bearbeitungsprozesse infrage. Nicht nur in den Städten, auch im ländlichen Raum wird der Wunsch nach einer Verwaltung immer dringlicher, die schnell, bürgernah, transparent und serviceorientiert arbeitet.
Mehr Transparenz und neue Beteiligungsmöglichkeiten tragen ebenso dazu bei. So könnten aktuelle Daten zum kommunalen Haushalt bereitgestellt und verständlich visua-lisiert werden. Durch eine Vielzahl digitaler Beteiligungsformate können die Bürgerinnen und Bürger ihre Ideen einbringen und Feedback geben. Mit einer kommunalen Verwaltung, die als echter Problemlöser auftritt, haben ländliche Räume einen echten Standortvorteil, um die regionale Entwicklung voranzutreiben.
Aktive und zielgerichtete Unterstützung bietet ländlichen Räumen die Chance, den Trend zur Abwanderung umzukehren.
Landwirtschaft mit Hightech
Dass könnte sich vor allem in einem Bereich zeigen, der unmittelbar mit ländlichen Regionen verbunden ist. Land ist nicht nur Erholungsort für Stadtmüde, Touristen und Pendler, sondern auch ein immenser Wirtschaftsraum, der die Grundbedürfnisse Deutschlands stillt. Mehr als die Hälfte der Fläche hierzulande wird landwirtschaftlich genutzt. Keine Frage: Die Landwirtschaft in Deutschland ist wichtig, um die Bevölkerung zu versorgen, das Landschaftsbild zu prägen und Kulturlandschaften zu erhalten.
Noch gibt es etwa 263 000 landwirtschaftliche Betriebe, allerdings sinkt deren Zahl seit Jahren kontinuierlich. Rund eine Million Menschen arbeiten in der Landwirtschaft in Teil- oder Vollzeit. Der Bereich erzeugt jedes Jahr eine Wertschöpfung von mehr als 20 Milliarden Euro. Allerdings wird die Landwirtschaft massiv unterstützt: Hauptberufliche Landwirtinnen und Landwirte beziehen knapp die Hälfte ihres Einkommens aus Subventionen, bei Nebenerwerbslandwirten sind es 90 Prozent des Einkommens. Deshalb gilt auch: Eine Stärkung der Landwirtschaft ist zugleich eine Stärkung des ländlichen Raums.
Entlastung für Innovatoren
Allerdings wurden Landwirtinnen und Landwirte in den vergangenen Jahren durch immer mehr Bürokratie belastet. Ein Übermaß an Vorschriften machte es vielen landwirtschaftlichen Betrieben schwerer, zu überleben. Und das belastet vor allem bei innovativen Technologien. Denn die Möglichkeiten des Smart Farming sind enorm: Selbstfahrende High-techtraktoren düngen präzise und effizient. Intelligente Fütterungssysteme ermöglichen es, besser auf das Wohlbefinden der Tiere einzugehen. Drohnen garantieren die passgenaue Versorgung einzelner Pflanzenarten.
Damit der ländliche Raum zu einem Zentrum für Hightechlandwirtschaft wird, muss jedoch einiges passieren – genau wie in den urbanen Räumen: Eine schnelle und stabile Internetverbindung ist absolute Voraussetzung für Innovation, dazu bedarf es besserer Finanzierungsbedingungen, weniger Bürokratie und mehr Kooperationen – ob zwischen Betrieben oder mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Wenn die richtigen Weichen gestellt werden, können wir Deutschland nicht nur für landwirtschaftliche Innovationen attraktiver machen. Durch aktive und zielgerichtete politische Unterstützung bietet sich heute für die ländlichen Regio-nen jenseits der Speckgürtel die große Chance, den Trend zur Abwanderung umzukehren. Diese Regionen könnten zu Orten werden, an denen Innovation möglich ist, an denen der Traum vom Arbeiten im Grünen und der Traum vom Eigenheim Wirklichkeit werden.
Stadt und Land müssen nicht „gleichgemacht“ werden. Aber zumindest die Voraussetzungen müssen gleichwertig sein. Damit die Menschen wirklich dort leben können, wo es ihnen am besten gefällt.
Dirk Assmann beschäftigt sich in der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit den Themen Wohnungsmarkt, Smart City, der Entwicklung von Stadt und Land sowie Mobilität.
Dirk Assmann beschäftigt sich in der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit den Themen Wohnungsmarkt, Smart City, der Entwicklung von Stadt und Land sowie Mobilität.
Ist die Verkehrsanbindung in die Stadt gut, dann macht das Leben auf dem Land Lust. Der Ausbau der Infrastruktur ist also eine Frage der Chancengleichheit.
In Deutschland gibt es eine beneidenswerte Vielfalt an Wirtschaftsräumen – in städtischen und ländlichen Regionen. Der Wettbewerb zwischen den Standorten funktioniert, wenn man ihn zulässt.
Zum 70. Todestag des mörderischen Tyrannen zeigt sich erneut: In Russland wirkt der Geist von Josef Wissarionowitsch Stalin bis heute nach. Menschen sind weiterhin bloße Instrumente eines Herrschaftsapparates, der bedingungslose Unterwerfung zur Erreichung „höherer“ Ziele einfordert.