Karl-Heinz Paqué, Herausgeber und Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
EDITORIAL
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Karl-Heinz Paqué, Herausgeber und Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Jetzt, während dieses Heft in Druck geht, tobt mitten in Europa der Krieg. Der russische Überfall auf die Ukraine schafft jeden Tag neues Leid. Hunderttausende Menschen leben dort ohne Strom, Wasser und Nahrungsmittel. Wie viele Menschen sind bislang gestorben? Wir wissen es nicht. Es werden Tausende sein. Putins Militär hat den Auftrag, die Ukraine in Schutt und Asche zu legen, ohne Rücksicht auf zivile Opfer. Über drei Millionen Menschen sind auf der Flucht, die größte Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Zeit wird kommen, in denen Russlands Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden.
Ob und wie schnell dieser Angriffskrieg ausgeweitet wird, ist schwer zu beurteilen. Von allen Vermittlungsgesprächen bleibt derzeit nur ein Eindruck: Russland hat kein Interesse an einer wie auch immer gearteten Verständigung.
Immerhin, der Westen bietet Putin die Stirn. Unter Führung der USA ist eine Einigkeit entstanden, die es in dieser Breite seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat. Ökonomische Sanktionen wurden in einem Tempo auf den Weg gebracht, die den Aggressor, sein Regime und dessen Profiteure überraschen. Mittlerweile erscheint selbst die NATO früheren Skeptikern als einziger Garant unserer eigenen Sicherheit.
Eindämmung, das ist das Gebot der Stunde. Eindämmung des heißen Krieges, damit nicht die Republik Moldau, Georgien oder ein anderer Staat der früheren Sowjetunion das nächste Opfer wird. Eindämmung der Profite, damit das russische Regime nicht weiter seinen Krieg finanziert. Wie stark wird sich auch unser Alltag durch den Krieg verändern? Eine ehrliche Antwort kann nur lauten: Wir wissen es noch nicht. Sanktionen zeigen immer erst nach einer gewissen Zeit Wirkung. Wird die politische und ökonomische Eindämmung ausreichen, um den Krieg zu beenden? Auch das wissen wir noch nicht.
Kaum jemand glaubt, dass dieser Krieg an uns spurlos vorbeigeht. Nicht nur Deutschland ist von Öl, Kohle und Gas aus Russland abhängig und damit erpressbar. Die Berichte aus Mariupol, Charkiw und Kiew führen zu tektonischen Verschiebungen der Politik. Deutschland wird sich bewegen: Die Landesverteidigung wird ernster genommen als bisher, mit kräftiger Aufstockung des Bundeswehretats. Die Energiepolitik muss neu ausgerichtet werden, in Richtung Pragmatismus. Daran führt wohl kein Weg vorbei. Und wir brauchen kräftiges Wirtschaftswachstum, um auch finanzpolitisch solide dazustehen – trotz der großen neuen Aufgaben.
Dieses Heft ist dem Krieg in Europa gewidmet: Josef Joffe und Timothy Garton Ash zeigen auf, was das Ende von 77 Jahren Friedensordnung in Europa bedeutet. Das Regime Putin entstand nicht über Nacht. Die bekannten russischen Journalisten Irina Borogan und Andrej Soldatow beleuchten das Ende der Meinungsfreiheit in Russland. Sie zeichnen den langen Weg dorthin nach. Wolfram Eilenberger analysiert die deutsche Ostpolitik der letzten zwanzig Jahre als das, was sie gewesen ist: ein großer historischer Fehler. Die Welt hätte es wissen können.
Vieles wird sich noch geändert haben, wenn Sie dieses Heft in den Händen halten. Mut, Zuversicht und Entschlossenheit braucht es in jedem Fall, so oder so.