KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Der Machtkampf der Tech-Giganten

Seit der Vorstellung von ChatGPT ist der KI-Hype entbrannt. Die US-Techkonzerne ringen um die Vorherrschaft, Analysten sehen einen Umbau der Wirtschaft. Und Beobachter warnen vor den Risiken einer empfindungsfähigen nichtmenschlichen Intelligenz.

Text: Felix Holtermann

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Der Machtkampf der Tech-Giganten

Seit der Vorstellung von ChatGPT ist der KI-Hype entbrannt. Die US-Techkonzerne ringen um die Vorherrschaft, Analysten sehen einen Umbau der Wirtschaft. Und Beobachter warnen vor den Risiken einer empfindungsfähigen nichtmenschlichen Intelligenz.

Text: Felix Holtermann


Es ist ein Mittwochabend, als Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner zum ersten Mal das Potenzial von künstlicher Intelligenz (KI) vorgeführt bekommen – in ihren eigenen Wohnzimmern. Am 14. September 2011 läuft im US-Fernsehen „Jeopardy“, die beliebteste Quizshow des Landes. Auf der einen Seite ein Mensch: Ken Jennings, langjähriger Rekordhalter. Auf der anderen eine Maschine: die KI Watson, gebaut vom Techkonzern IBM. Amerika rätselt: Kann es einer KI gelingen, eine für Computer bisher unlösbare Aufgabe zu meistern, nämlich eine frei formulierte Frage zu verstehen und eine korrekte Antwort auszuspucken? Das Ergebnis ist Geschichte: Der Computer Watson, so groß wie zehn Kühlschränke und gefüttert mit 200 Millionen Seiten aus Lexika, Romanen und der Bibel, gewinnt. „Ich für meinen Teil begrüße unsere neuen Computer-Herrscher“, scherzt Jennings.

Der Vorgang ist zwölf Jahre her – und erinnert stark an die heutige Debatte um ChatGPT, die neue KI des Microsoft-Partners OpenAI. Seit diese im Herbst 2022 vorgestellt wurde, diskutieren Beobachter über die Chancen und Abgründe der Technik. Das KI-Wettrennen ist neu entbrannt, die Akteure heißen Microsoft, Google und Co. Dabei ist die Technik nicht neu, wie der Fall Watson zeigt. Aber erstmals könnte sie große Bereiche unseres Lebens verändern.

Der Taschenrechner der Zukunft

Auf der Techkonferenz „South by Southwest“ in Austin, Texas, prophezeite die Zukunftsforscherin Amy Webb im März 2023 den massenhaften Durchbruch von KI: Schon bald würden wir uns alle, „ob uns das gefällt oder nicht“, auf KI-Systeme verlassen – und zwar in der Schule, bei der Arbeit und in der Politik. „Wir haben die assistierte Computer-Ära betreten. Sie werden nie wieder allein denken“, sagte Webb. KI werde künftig wie der Taschenrechner genutzt werden, glauben Beobachter: Dieser hilft uns, mathematische Probleme zu lösen. Analog werde generative KI uns helfen, kreative Probleme zu lösen – zum Beispiel, bessere Texte zu schreiben, bessere Bilder zu erstellen oder besseren Code zu programmieren. Laut einer Umfrage der Beratungsfirma Gartner glauben 21 Prozent der befragten Topmanager, dass KI in den nächsten drei Jahren die größte Auswirkung auf ihre Branche haben werde – vor allen anderen ökonomischen und gesellschaftlichen Trends. Eine Studie von OpenAI und der University of Pennsylvania kommt zu dem Schluss, dass bei rund 80 Prozent aller Jobs KI helfen kann, einen Teil der Aufgaben zu automatisieren. „KI wird Sie nicht ersetzen. Aber die Menschen, die die KI bedienen können“, lautet eine Warnung.  

Das Wettrennen der Techgiganten

Für Unternehmen wie Organisationen bieten sich viele Einsatzfelder für generative KI. Und die Techkonzerne bringen sich in Stellung für das Wettrennen. Microsoft hat durch seine Partnerschaft mit OpenAI aktuell Oberwasser. 13 Milliarden Dollar hat Microsoft investiert und ChatGPT in seine lange darbende Suchmaschine Bing eingebaut. Jeder kann dort bereits experimentieren. „Wir betreiben die fortschrittlichsten KI-Modelle“, frohlockte Konzernchef Satya Nadella. Als Nächstes sollen die eigenen Cloud-Kunden von der künstlichen Intelligenz profitieren, darunter Firmen wie Mercedes-Benz, Shell und Shopify. Gartner-Analyst Chirag Dekate erwartet, dass Unternehmen künftig eigene KI-Anwendungen auf der Basis von Plattformen wie jener von Microsoft entwickeln. Ein Problem für Google, glaubt Dekate: „Angesichts der aggressiven generativen KI-Strategien von ‚Microsoft Azure‘ und ‚Amazon Web Services‘ sieht sich Google einem zunehmenden Druck auf seine KI-Führerschaft ausgesetzt – und damit auf einen Bereich, in dem der Konzern traditionell stark war.“

Tatsächlich hatte der Suchmaschinenriese, aufgeschreckt von ChatGPT, im Februar vorschnell den eigenen Chatbot „Bard“ präsentiert, inklusive Pannen. Selbst Google-Programmierer bezeichneten die Hast als peinlich. Und erste Nutzer in den USA und Großbritannien, wo Bard bereits verfügbar ist, berichten von durchwachsenen Ergebnissen. Auch die Facebook-Mutter Meta ist im KI-Hype unter Druck geraten. Gründer Mark Zuckerberg hatte auf das Metaverse gesetzt, eine Art 3D-Internet, das sich als Rohrkrepierer herausgestellt hat. Nun hat Meta sein großes Sprachmodell namens LLaMA im Internet veröffentlicht – auf Open-Source-Basis. Meta will sich durch den offenen Ansatz von den Wettbewerbern abheben. Apple wiederum hat etwas mehr Zeit, die Entwicklung zu studieren: Der Konzern profitiert indirekt von jeder KI-App, die auf seinen iPhones installiert wird – an den Umsätzen ist Apple beteiligt. Im Mai hat OpenAI die neue ChatGPT-App für Apple-Geräte angekündigt. Und viele weitere Apps, etwa zur Fotobearbeitung, sind bereits im App-Store verfügbar.

Der Geist in der Maschine

Wie geht die Entwicklung weiter? Laut einer Microsoft-Studie folgt auf die „generative KI“, die klingt wie ein Mensch, die „allgemeine KI“, die sogar denkt wie ein Mensch. Als letzter Entwicklungsschritt folge die empfindungsfähige KI („Sentient AI“), die denkt, sie sei ein Mensch. Die Folgen wären unabsehbar. Noch ist Letztere zwar Zukunftsmusik, aber Kritiker fordern schon heute einen sechsmonatigen Entwicklungsstopp. Klar ist: Schon durch die heute verfügbare generative KI droht ein Überfluss an Fake News, an manipulierten Bildern, Audio- und Videoaufnahmen. Im Mai sorgte ein KI-generiertes Bild einer Explosion in Pentagon-Nähe vermutlich zum ersten Mal für einen kurzzeitigen Börsenabsturz. Und UN-Gesundheitsexperten fürchten bereits den Ausbruch von mithilfe von KI generierten Superviren.

Wie kann ein ethischer, verantwortlicher Einsatz von KI aussehen? Geht es nach der „Partnership on AI“ (PAI), einer gemeinnützigen Organisation, in der Firmen wie Apple, Google und Microsoft sowie die University of California, Berkeley, und die US-Psychologievereinigung zusammenarbeiten, müssen bei aller Euphorie die Grenzen von KI verdeutlicht und Transparenz hergestellt werden. Die Algorithmen, auf deren Basis die KI zu einem Ergebnis komme, müssten offengelegt werden. Gleiches gelte für die verwendete Datenbasis. Und wie Christina Montgomery es formuliert, die das US-Handelsministerium in KI-Fragen berät: „Ein Nutzer muss immer wissen, dass er mit einer KI spricht. Und bei der Entscheidungsfindung muss immer ein Mensch beteiligt sein.“ Noch weiter ging vor Kurzem OpenAI-Chef Sam Altman. Er forderte den US-Kongress in einer Anhörung auf, eine Behörde zur KI-Regulierung zu schaffen. Journalisten hatten in Anlehnung an die US-Bundespolizei bereits einen Namen parat: „Federal Bureau of A.I.

Wir haben die assistierte Computer-Ära betreten. Sie werden nie wieder allein denken. 

Amy Webb, Zukunftsforscherin

So hoch könnte der Umsatz im Bereich künstliche Intelligenz weltweit im Jahr 2024 sein. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 lag er um ein Viertel niedriger.

QUELLE: STATISTA

Um so viel könnte die Produktivität von Unternehmen bis 2035 durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz zunehmen. Für Deutschland rechnen Experten mit einem Produktivitätsanstieg um rund 29 Prozent, für die USA mit 35 Prozent.

QUELLE: STATISTA, CRYPTOMONDAY

Jedes sechste Unternehmen in Deutschland plant, künstliche Intelligenz wie ChatGPT zur Textgenerierung einzusetzen. 23 Prozent können sich eine solche Nutzung zumindest vorstellen, 29 Prozent der Unternehmen schließen sie für sich aus.

QUELLE: BITKOM

gibt es mittlerweile weltweit. „Einhorn“ wird ein Start-up genannt, das mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet wird. Führend bei den KI-Start-ups ist OpenAI, das 26 Milliarden US-Dollar wert ist.

QUELLE: CB INSIGHTS

Felix Holtermann ist mehrfach ausgezeichneter Journalist und Buchautor mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Seine Veröffentlichungen über den Wirecard-Skandal 2020 machten ihn bekannt. Seit 2022 ist er Korrespondent für das „Handelsblatt“ in New York.

Felix Holtermann ist mehrfach ausgezeichneter Journalist und Buchautor mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Seine Veröffentlichungen über den Wirecard-Skandal 2020 machten ihn bekannt. Seit 2022 ist er Korrespondent für das „Handelsblatt“ in New York.

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