LOBBYISMUS
Lobbyismus ist ein wesentlicher Bestandteil in offenen und liberalen Gesellschaften. Theoretisch hilft er, den Wettbewerb der Ideen fair auszugestalten. In der Praxis aber fehlt es häufig an Transparenz. Denn heute kann niemand nachvollziehen, wer wann und wie Einfluss auf politische Prozesse genommen hat.
Text: Andreas Polk
LOBBYISMUS
Lobbyismus ist ein wesentlicher Bestandteil in offenen und liberalen Gesellschaften. Theoretisch hilft er, den Wettbewerb der Ideen fair auszugestalten. In der Praxis aber fehlt es häufig an Transparenz. Denn heute kann niemand nachvollziehen, wer wann und wie Einfluss auf politische Prozesse genommen hat.
Text: Andreas Polk
Lobbyismus umweht der Hauch des Verruchten. Das ist angesichts von Masken- und Aserbaidschan-Affären nicht überraschend. In einer repräsentativen Umfrage des ZEW Mannheim aus dem Jahr 2019 steht eine Mehrheit der Bevölkerung über alle Parteigrenzen hinweg dem Lobbyismus kritisch gegenüber.
Dabei gehört Einflussnahme auf politische Prozesse der Entscheidungsfindung in einer offenen Gesellschaft dazu. Sie ist wichtig, denn ohne Einflussnahme würde Politik fern der Betroffenen entschieden. Abgeordnete müssen als Generalisten über eine Vielzahl von Themen entscheiden, sie sind daher auf Informationen von Betroffenen angewiesen – auf Einflussnahme. Lobbyismus ist außerdem wichtig, weil wir als Bürgerinnen und Bürger angehört werden wollen, wenn politische Entscheidungen unser Leben berühren. Eine Politik über unsere Köpfe hinweg möchte niemand, sie würde zu Politikverdrossenheit führen und unser gut funktionierendes demokratisches System untergraben.
Klassische Mitnahmeeffekte
Es ist also weniger eine Frage, ob wir Lobbyismus wollen, sondern eher eine Frage, wie die Regeln ausgestattet sind, damit Lobbyismus positive Wirkungen entfalten kann. Dabei spielen mindestens zwei Aspekte eine wesentliche Rolle. Zum einen ist es falsch, davon auszugehen, dass sich alle vorhandenen Interessen automatisch in das politische Spiel einbringen. Die pluralistische Idee, Lobbyismus sei gut, weil er im Wettbewerb stattfinde, ist naiv. Denn im Gegensatz zu Gütermärkten, in denen sich Wettbewerb zum Wohle aller einstellt, wenn Markteintrittsbarrieren beseitigt sind, ist dies bei der Interessenvertretung nicht so.
Auch ohne Markteintrittsbarrieren würde sich kein fairer und ausgeglichener Wettbewerb einstellen. Dies liegt an einem Trittbrettfahrerproblem im kollektiven Handeln, das der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Mancur Olson schon früh untersucht hat: Individuen, die sich als Interessenvertretung für ein politisches Anliegen einsetzen, engagieren sich automatisch auch für alle, die dieses Interesse verfolgen. Lobbyismus hat damit aus Sicht von Gleichgesinnten die Eigenschaft eines öffentlichen Guts. Ein umweltorientierter Bürger profitiert vom Eintreten anderer für Klimaschutz, eine Bank von einer laxen Finanzmarktregulierung aufgrund von Lobbyismus Dritter. Das bedeutet, dass Anreize bestehen, sich auf das Engagement anderer zu verlassen. Nach Olson fällt es zum anderen jedoch bestimmten Gruppen systematisch leichter, dieses Anreizproblem zu überwinden. Zum Beispiel, wenn die Gruppen nur aus wenigen Mitgliedern bestehen und diese ein starkes individuelles Interesse an der politischen Maßnahme haben. Dann reichen die individuellen Anreize aus, um selbst aktiv zu werden – und zwar häufig für wirtschaftliche Interessen.
Vorurteile sind die Pathologie der Rassisten und nicht der Betroffenen.
Anders ist das bei Gruppen, die aus vielen Individuen bestehen, die jeweils nur ein geringes Interesse an der Politikmaßnahme besitzen. In diesem Fall tritt das Trittbrettfahrerproblem in den Vordergrund. Mangels Anreizen sind viele Individuen dabei unterrepräsentiert. Das heißt nicht, dass sie nicht organisiert sind. Aber im Vergleich zum tatsächlich in der Gesellschaft vorhandenen Ausmaß von Interesse sind sie eher schlecht organisiert oder zum Beispiel unterfinanziert. Das ist häufig bei Bürgerinitiativen der Fall, bei Fragen zum Klima- und Umweltschutz, zum Tierwohl oder zur Qualität der Schulen.
Anders ist das bei Gruppen, die aus vielen Individuen bestehen, die jeweils nur ein geringes Interesse an der Politikmaßnahme besitzen. In diesem Fall tritt das Trittbrettfahrerproblem in den Vordergrund. Mangels Anreizen sind viele Individuen dabei unterrepräsentiert. Das heißt nicht, dass sie nicht organisiert sind. Aber im Vergleich zum tatsächlich in der Gesellschaft vorhandenen Ausmaß von Interesse sind sie eher schlecht organisiert oder zum Beispiel unterfinanziert. Das ist häufig bei Bürgerinitiativen der Fall, bei Fragen zum Klima- und Umweltschutz, zum Tierwohl oder zur Qualität der Schulen.
Lobbyismus ist asymmetrisch, denn Macht- und Ressourcen sind ungleich verteilt. Für eine positive Wirkung des Lobbyismus wäre es jedoch ideal, wenn alle Interessen Einfluss nehmen könnten. Nur so kann sich ein ausgeglichener Wettbewerb der Ideen einstellen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich große Gruppen nie artikulieren oder gar durchsetzen. Als Beispiel können die jüngsten Entwicklungen in der Fußball-Bundesliga dienen, als die DFL Teile der Medienrechte verkaufen wollte: Grob gesprochen stand hier die große Gruppe der Fans einer kleinen Gruppe gegenüber, die an einem Verkauf interessiert war. Letztendlich hat sich die große Gruppe durchgesetzt – was auch daran lag, dass der ohnehin hohe Organisationsgrad der Fanszene im Stadion die politische Artikulation vereinfachte. Die Fans zu Hause vor dem Bildschirm wiederum, die in der Regel nicht organisiert sind, waren in der Debatte nicht wahrnehmbar, obwohl auch sie dem Projekt vermutlich kritisch gegenüberstanden. Warum? Schon am Sonntagabend verstehen sich die meisten nicht mehr primär als Fußballfans, sondern wenden sich anderen Interessen zu. Kurz: Sie artikulieren sich nicht.
Mehr Transparenz
Wir müssen also damit umgehen, dass der Wettbewerb im Lobbyismus nicht fair ausgestaltet ist. Eine Idee ist es, Interessengruppen staatlich zu finanzieren. Das birgt viele Gefahren in sich, denn der Staat müsste entscheiden, wen er in welchem Ausmaß fördert. Hier gäbe es außerdem ebenfalls Anreizprobleme, weil eine Förderung auch Akteure anzieht, die an den Mitteln und nicht an der Sache interessiert sind. Auf der anderen Seite gibt es bereits solche Ansätze, beispielsweise in der staatlichen Finanzierung der Verbraucherzentrale Bundesverband. Ein zentrales Thema ist daher die Transparenz. Es ist wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger erfahren, wer auf welchem Weg und mit welchen Informationen Einfluss nimmt. Seit Beginn des Jahres 2022 haben wir das Lobbyregister im Bund, auch viele Landtage verfügen mittlerweile über eines. Nun kann die interessierte Öffentlichkeit nachvollziehen, wer mit welchen finanziellen und personellen Ressourcen Einfluss nimmt. Dies ist ein wesentlicher Schritt zu mehr Transparenz.
Dennoch besteht weiterer Handlungsbedarf, den unter anderem die Group of States against Corruption des Europarats (GRECO) regelmäßig anmahnt: So fehlt bisher ein legislativer und exekutiver Fußabdruck, der nachvollzieht, wer wie und wann auf Gesetzgebungsprozesse Einfluss nimmt. Die Regierungskoalition in Deutschland hat sich dies mit dem Koalitionsvertrag auf die Agenda gesetzt, eine Gesetzesinitiative steht aus. Wenn die Parlamente erkennen, dass mehr Transparenz nicht gegen sie arbeitet, sondern Vertrauen schafft und das demokratische System stärkt, dann könnte der Ordnungsrahmen für Lobbyismus gestärkt werden. Und dann könnte auch der Wettbewerb der Ideen sein positives Potenzial entfalten. Bis dahin ist noch ein Stück zu gehen.
Andreas Polk ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.
Andreas Polk ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.
Wer sich in sozialen Medien und in akademischen Debatten äußert, wird aufgrund vermeintlicher „Privilegien“ oft als unglaubwürdig abgestempelt. Der Politiker Jens Teutrine und der Philosoph Jörg Scheller nehmen den toxisch gewordenen Begriff unter die Lupe.
Bei den westlichen Partnern gibt es viel Misstrauen Deutschland gegenüber, sagt Gerhart Baum. Deutschland ist immer in Gefahr, eine Sonderrolle zu spielen.
Kann sich die EU im globalen Wettlauf um Subventionen behaupten? Qualifizierte Arbeitskräfte, ein führendes Wissenschaftssystem und eine gute Infrastruktur haben den Binnenmarkt auch ohne Protektionismus zum Erfolgsmodell gemacht.