START-UPS

Bürokratie bremst
Migrant Founders

Gründerinnen und Gründer aus dem Ausland und Erwerbstätige mit Migrationshintergrund sind für Deutschland ein Gewinn. Dennoch müssen sie besonders viele Hindernisse überwinden, wenn sie unternehmerisch aktiv werden wollen.

Text: Judy Born


START-UPS

Bürokratie bremst Migrant Founders

Gründerinnen und Gründer aus dem Ausland und Erwerbstätige mit Migrationshintergrund sind für Deutschland ein Gewinn. Dennoch müssen sie besonders viele Hindernisse überwinden, wenn sie unternehmerisch aktiv werden wollen.

Text: Judy Born


Es ist das Neue, das es bisher so noch nicht gab. Etwas, das uns das Leben leichter macht, in manchem Fall sogar das Leben retten kann. Start-ups sind die Petrischale, in der solche Ideen zu einem konkreten Produkt heranreifen. Sei es ein KI-basiertes Übersetzungsprogramm wie DeepL oder ein für viele lebenserhaltender Corona-Impfstoff wie der von Biontech. Stellt sich heraus, dass so eine Erfindung aus Deutschland kommt, ist die Überraschung oft groß. Noch größer ist sie, wenn dahinter ein sogenannter Migrant Founder steckt. 

„Migrant Founders“ sind Gründer und Gründerinnen mit Migrationshintergrund. Im Klartext: eine Person, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt oder die mindestens einen Elternteil hat, bei dem das der Fall ist. In Zeiten des Fachkräftemangels ist Zuwanderung ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das gilt für Mitarbeiter und Angestellte ebenso wie für Selbstständige und Gründer. Im Jahr 2021 gab es in Deutschland 703 000 Selbstständige mit Migrationshintergrund. Mehr als die Hälfte von ihnen waren Alleinunternehmer. Knapp 47 Prozent waren selbst Arbeitgeber und sorgten schätzungsweise für weit über zwei Millionen Arbeitsplätze.

Wer „Start-up“ sagt, denkt meist nicht sofort an Deutschland, sondern an Silicon Valley, Tel Aviv oder Tallinn. Zu Unrecht, denn immerhin hat jeder oder jede fünfte Start-up-Gründende hierzulande einen Migrationshintergrund. Seit drei Jahren fassen der Bundesverband Deutsche Startups und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit den aktuellen Stand im „Migrant Founders Monitor“ zusammen. Es handelt sich um gut ausgebildete Leute – drei Viertel von ihnen haben einen Hochschulabschluss, meist in Wirtschafts- und MINT-Fächern. Sie kamen entweder als Kind und verbrachten schon ihre Schulzeit hier (knapp 26 Prozent) oder sind zum Studieren nach Deutschland gekommen (29 Prozent). Etwas mehr als jeder Fünfte zog wegen eines Jobs her und machte sich dann selbstständig. Die wenigsten kamen gezielt für eine Gründung nach Deutschland. Eine Tatsache, die zeigt, dass noch viel getan werden muss, um internationale Talente anzulocken.

Fehlende Sprachkenntnisse

Woran liegt es, dass Deutschland bei Gründern so wenig Attraktivität besitzt? Haben es Menschen mit Migrationshintergrund hier schwerer? Zweifelsohne sind die größten Barrieren die Bürokratie und die Sprache. Dazu kommt, dass es zwar viele Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten für Arbeitssuchende und Gründer gibt, die Informationen darüber Menschen mit Migrationshintergrund jedoch oft nicht bekannt sind. So sehen sich beim Aufbau von adäquaten Netzwerken denn auch gute 23 Prozent der Migrant Founders im Nachteil gegenüber deutschstämmigen Gründern. Dabei würde ein Blick auf die Website der Integrationsbeauftragten im Deutschen Bundestag genügen, um sich dort zum Beispiel über verfügbare Fördermöglichkeiten zu unterrichten.

Wer sich mit Lea Bergmann und Beata Rozwadowska, den Gründerinnen von BeginnerLuft in Berlin unterhält, bekommt all das bestätigt. Die beiden Frauen haben sich 2019 zusammengetan und ein soziales Unternehmen ins Leben gerufen, das Menschen internationaler Herkunft mithilfe eines individuellen Job- & Karriere-Coachings bei der beruflichen Weiterentwicklung unterstützt. Sie plädieren dafür, dass es für jeden, der in Deutschland beruflich Fuß fassen möchte, einen einzigen Ansprechpartner gibt. „Mentorinnen und Mentoren auf Zeit, die die Hilfsangebote kennen und wissen, was man tun muss, um sie wahrzunehmen. Die einen durch den Behördendschungel begleiten, ihr Wissen an ihre Mentees weitergeben, um sie zu ermächtigen, sich selbstständig zu organisieren.“

Bei BeginnerLuft in Berlin machen sie genau das. Statt Mentoren gibt es einen Coach, die Mentees werden Teilnehmer genannt. Der Fokus: bei der Organisation der beruflichen Laufbahn zu helfen. Sei es die Ausbildung mittels einer Lehre oder eines Studiums, das Finden eines Jobs durch Weiterbildung und Umschulung oder die Unterstützung beim Wunsch, sich selbstständig zu machen. Letzteres schaffen tatsächlich nur wenige. „Von unseren vielen Teilnehmern in den letzten Jahren ist es nur einem gelungen“, sagt Bergmann. Dabei wäre das Potenzial groß. „Wir haben es oft mit gut ausgebildeten, erfahrenen Menschen zu tun, die in ihrer Heimat als Architekten, Mediziner, IT-Experten, Lehrer und Erzieher gearbeitet haben.“

Doch bevor sie in Deutschland ihrem Beruf nachgehen können, müssen sie zwei große Herausforderungen meistern: die deutsche Sprache sowie die Anerkennung ihrer Zeugnisse und Abschlüsse. „Es ist nachvollziehbar, dass in einigen Berufen ein hohes Sprachniveau verlangt wird“, so Rozwadowska. „Generell ist es jedoch eine enorme Hürde, wenn man erst ein B2- oder C1-Level in Deutsch erreicht haben muss, um die Chance zu bekommen, seinen Beruf auszuüben.“ Für viele Zugewanderte sei das schwer nachzuvollziehen, da sie neben ihrer Muttersprache oft auch Englisch sprechen. „Hier sollten wir offener und innovativer sein und es ermöglichen, die Sprache zeitgleich, quasi on-the-job zu vertiefen.“

Es ist eine enorme Hürde, wenn man erst ein hohes Deutsch-Level erreicht haben muss, um seinen Beruf auszuüben.
Beata Rozwadowska

Migrant Founders müssen sichtbarer werden

Für Deutschland sind Migrant Founders ebenso wie Erwerbstätige mit Migrationshintergrund ein Gewinn, denn sie verbinden wichtige gesellschaftliche Themen wie Migration, Innovation, Wachstum, Offenheit, Toleranz, Diversität und Teilhabe. Insbesondere die Sichtbarkeit, auch häufig als „role model“ bezeichnet, ist von Bedeutung. Erfolgreiche Menschen mit Migrationshintergrund, sei es im Sport, in der Kunst oder im Beruf, können anderen als Vorbild dienen und Mut machen, es ihnen gleichzutun. Ganz nach dem Motto: Wenn die es geschafft haben, schaffe ich das auch. „Für mich ist das ein ganz wertvoller und wichtiger Aspekt“, sagt Lea Bergmann. „Wir leben in einer diversen Gesellschaft, aber wir leben sie noch nicht inklusiv. Das läuft bisher eher parallel, oft hierarchisch und wenig gleichberechtigt.“ 

So zeigt die aktuelle Studie, dass Migrant Founders ihre Belegschaft internationaler aufstellen und häufiger in rein weiblichen oder geschlechtergemischten Teams arbeiten, als es bei deutschen Gründern der Fall ist.

Für Menschen, egal welcher Herkunft

Drei Fragen an Lea Bergmann und Beata Rozwadowska von BeginnerLuft www.beginnerluft.de

1.

Was macht BeginnerLuft anders als staatliche Berufsberatungen?

Rozwadowska: Wir nehmen uns vor allem mehr Zeit. Unser Ziel ist nicht, den Menschen möglichst schnell irgendeinen Job zu vermitteln. Bei uns hat jeder Teilnehmende Zeit, gemeinsam mit einem Coach herauszufinden, welche Arbeit nachhaltig und sinnvoll für ihn ist. Welche Erfahrungen, Kenntnisse und Stärken hat die Person? Worauf lässt sich aufbauen? Ganz wichtig dabei: Was davon lässt sich mit Zeugnissen und Abschlüssen belegen? Da kümmern wir uns um deren Anerkennung.

2.

Wie viel kostet das die Teilnehmenden?

Bergmann: Wir sind als Bildungsträger zertifiziert, sodass in der Regel das Jobcenter die Kosten übernimmt. Wer keine Finanzierung bekommt, den versuchen wir über Unternehmenshilfen zu betreuen. Aktuell können wir zum Beispiel 18 Coachings bestreiten, weil uns die Sparkassenstiftung mit einem Betrag unterstützt hat. Diese Spenden sind enorm wertvoll. Sie stärken nicht nur das Gemeinwohl, sondern ermöglichen Unternehmen, potenzielle Mitarbeiter und Auszubildende zu gewinnen.

3.

An wen richtet sich Ihr Angebot?

Rozwadowska:  Anfangs haben wir uns vornehmlich an Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund gewandt. Mittlerweile richten wir uns an, wie wir es nennen, „Menschen internationaler Herkunft“. Waren es 2019 hauptsächlich Menschen aus Syrien, Afghanistan, Iran und Irak, kommen wir mittlerweile auf 35 Nationen, die wir bei BeginnerLuft betreut haben.

Bergmann: Das Coaching ist für jeden, der intrinsisch motiviert ist, egal welcher Herkunft, welchen Alters oder Geschlechts. Kürzlich hatten wir erstmals eine non-binäre Person, die in Deutschland geboren ist. Jeder, der sich nicht verorten kann und nicht weiß, wie es beruflich weitergehen soll, kann zu uns kommen. Wir schließen niemanden aus.

Der Migrant Founders Monitor 2023 ist auf der Webseite der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit abrufbar: freiheit.org

Judy Born ist freie Journalistin und wäre selbst als Muttersprachlerin bei ihrem Schritt in die Selbstständigkeit gescheitert, hätte ihr nicht jemand die deutsche Behördensprache übersetzt.

Judy Born ist freie Journalistin und wäre selbst als Muttersprachlerin bei ihrem Schritt in die Selbstständigkeit gescheitert, hätte ihr nicht jemand die deutsche Behördensprache übersetzt.

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