ZUKUNFT DER ARBEIT

Von Organisationsfloristen und Abfalldesignern 

Neue Technologien verdrängen Jobs, schaffen aber auch neue. Wie neue Berufsbilder und Ausbildungsfelder entstehen – und welche Möglichkeiten damit verbunden sind.

Text: Julia Thiem


ZUKUNFT DER ARBEIT

Von Organisationsfloristen und Abfalldesignern 

Neue Technologien verdrängen Jobs, schaffen aber auch neue. Wie neue Berufsbilder und Ausbildungsfelder entstehen – und welche Möglichkeiten damit verbunden sind.

Text: Julia Thiem


Digitalisierung führt zu Arbeitsplatzverlust und Massenarbeitslosigkeit – dass das eine reale Sorge der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger ist, belegen Umfragen immer wieder. Kein Wunder, wenn künstliche Intelligenz wie ChatGPT jetzt schon die Hausaufgaben der Schulkinder übernimmt, Roboter an Flughäfen und in Einkaufszentren Auskünfte geben und Maschinen in fast menschenleeren Fabriken Produkte fertigen. Es stimmt ja auch: Neue Technologien, Digitalisierung und ein hoher Grad an Automatisierung verändern die Berufswelt nachhaltig – und verdrängen Jobs.

Die Experten der Unternehmensberatung Deloitte rechnen in ihrer Studie „Die Jobs der Zukunft – Berufswelt bis 2035“ vor, dass etwa 35 Prozent der heutigen Arbeitszeit in Zukunft von Maschinen übernommen werden. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings auch, dass 65 Prozent der Arbeitszeit nicht durch Technologie ersetzt werden können. Und genau das seien auch die Jobs, die in Zukunft stärker gebraucht werden, glauben die Unternehmensberaterinnen und -berater. Die Nachfrage nach Mitarbeitenden für Jobs, die wenig automatisierbar sind, wird in Zukunft demnach sogar deutlich stärker steigen als die Zahl der Stellen, die durch Automatisierung wegfallen. Netto dürfte es zu einem Zuwachs von 1,3 Millionen Jobs kommen.

Der Wandel verändert den Bedarf an Fähigkeiten

Etwa im Gesundheitswesen: Dort fördert das Krankenhauszukunftsgesetz den Digitalisierungsschub derzeit massiv. Weil gerade hier der Datenschutz eines der Kernthemen ist, die durchaus auch große Vorhaben wie die elektronische Patientenakte oder das eRezept immer wieder ausbremsen, gilt es, langfristig besonders ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Die müssen erstens die Prozesse in der Arztpraxis oder im Krankenhaus kennen, bestenfalls über ein grundlegendes medizinisches Wissen verfügen und schließlich festlegen können, welche Daten benötigt, wie sie erhoben, wo sie abgelegt, wie sie verarbeitet und wo sie wieder rausgegeben werden. Ob dieser Job eines Tages „medizinischer Datenmanager“ heißen wird oder eine „fancy“ englische Bezeichnung bekommt, wird sich zeigen. Doch der Bedarf nach solchen Arbeiten besteht, und entsprechend gibt es erste Studiengänge im Bereich Digital Health, die zumindest in Ansätzen das dafür nötige Wissen vermitteln. Seit Herbst 2022 bieten das die Masterstudiengänge Digital Health und Digital Health Management an der Apollon Hochschule Bremen. Und am Hasso-Plattner-Institut erwerben aktuell 97 Studierende in Kooperation mit der Universität Potsdam den „Master of Science: Digital Health“, der Datenmanagement und Data Science als eigene Module enthält. Der Studiengang wurde im Wintersemester 2018/19 eingeführt, 31 Studierende haben ihn bereits abgeschlossen.

Es sind also in erster Linie der Wandel und die sich verändernden Bedingungen, die neue Jobs und Ausbildungszweige schaffen. Wandel löst zwar viele Probleme der Gegenwart, schafft gleichzeitig jedoch auch neue. „Die Schlüsselfähigkeit wird sein, sich selbst etwas beibringen zu können. Und am besten auch noch anderen – als Teil des regulären Arbeitsprozesses“, heißt es in der internationalen Delphi-Studie des Mil-lennium Projects „2050: Die Zukunft der Arbeit“.  Neue Jobs entstehen offensichtlich immer nach einem bestimmten System. Ein Unternehmen steht vor einer Herausforderung, und es gibt Menschen, die sich dieser Herausforderung stellen. Der Lösungsansatz hat sich bewährt und kann also als Best Practice in die Breite getragen werden. Und weil damit eine gewisse Nachfrage nach neuen Fähigkeiten entsteht, entwickeln sich neue Aus- und Weiterbildungsangebote und mit ihnen ganz neue Berufsbilder. Plötzlich gibt es Scrum Master oder den Agile Coach in Unternehmen – Jobbezeichnungen, die erst einmal nicht wirklich verraten, was die Aufgabe der jeweiligen Person ist, aber Teil der agilen Arbeitsmethoden sind, um die zunehmende Komplexität zu beherrschen. Doch mittlerweile gibt es zahlreiche Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich.

Der Abfalldesigner ist ein weiteres Beispiel. Dahinter verbirgt sich eine Kombination aus Industriedesign und Materialwissenschaften. Das Ursprungsproblem: die enormen Umweltprobleme durch Verpackungsmüll. Die Lösung: Erstens Produkte so zu gestalten, dass weniger Müll entsteht und dass die Rohstoffe des geringeren Mülls dann zweitens auch noch wiederverwendet werden können – das ist die Aufgabe der Abfalldesigner. Weil die passende Ausbildung noch fehlt, haben „Quereinsteiger“ oder Gründer mit einem Hintergrund als Produkt- oder Verpackungsdesigner gute Chancen. Im Ausland werden schon neue Studiengänge im Bereich Materialwirtschaft angeboten, etwa der Master in Design through New Materials an der Elisava-Fakultät in Barcelona.

35 Prozent der heutigen Arbeitszeit könnten künftig von Maschinen übernommen werden.

Bei aller Technologie ist Menschlichkeit gefragt

Und dann gibt es trotz Digitalisierung und Automatisierung noch einen hohen Bedarf an menschlicher und kommunikativer Kompetenz. Denn auch das zeigt sich: Das Konfliktpotenzial in den Unternehmen und in der Gesellschaft nimmt zu. In den Unternehmen werden Hierarchien abgebaut, Führung wird immer dezentraler. Für eine reibungslose Zusammenarbeit sind Menschen nötig, die für ein positives Miteinander sorgen. Auch hier bleibt das Bild stimmig: Veränderung sorgt für neue Herausforderungen, und Menschen, die mit ihren Fähigkeiten maßgeblich zu einer Lösung beitragen, haben plötzlich einen neuen Job. Davon zeugen die Jobbezeichnungen „Happiness Manager“ oder „Organisationsfloristen“, die dafür sorgen, dass die Menschen im Unternehmen wachsen und gedeihen.

Natürlich ist auch ein gewisses Umdenken bei den Menschen notwendig. Arbeitnehmende müssen offener für Veränderungen werden und die Chancen dahinter erkennen. Zudem braucht es eine gewisse Eigenverantwortung. Auch deshalb heißt es in der Delphi-Studie: „Wir müssen schon in der Schule den Kindern beibringen, was selbstständiges Unternehmertum bedeutet.“

Julia Thiem arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich als Journalistin und Autorin.

Julia Thiem arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich als Journalistin und Autorin.

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