SOLIDE FINANZEN
Der Ökonom Stefan Kolev erklärt die aktuelle Inflation als Folge der langen Niedrigzinsphase in Kombination mit Coronapandemie und Ukrainekrieg. Der Bundesregierung rät er, die Schuldenbremse angezogen zu lassen.
Interview: Maximilian Reinhardt
SOLIDE FINANZEN
Der Ökonom Stefan Kolev erklärt die aktuelle Inflation als Folge der langen Niedrigzinsphase in Kombination mit Coronapandemie und Ukrainekrieg. Der Bundesregierung rät er, die Schuldenbremse angezogen zu lassen.
Interview: Maximilian Reinhardt
Die Inflation ist in aller Munde. Was genau bezeichnet der Begriff?
Die heute übliche Definition lautet: Es wird die Preisentwicklung eines festgelegten, möglichst repräsentativen Warenkorbs im Zeitverlauf gemessen. Die Wachstumsrate des so ermittelten Preisindexes ist die Inflationsrate.
Und dieser Wert zeigt die grundsätzliche Preisentwicklung an?
Wie jeder Indikator ist auch dieser nicht perfekt. Menschen, deren Warenkorb vom repräsentativen wesentlich abweicht, fühlen sich verzerrt abgebildet. Außerdem ändern sich nicht nur der Preis, sondern auch die verwendeten Technologien und damit die Qualitäten. Ein Beispiel: Mobiltelefone haben in den vergangenen zwanzig Jahren ihre technologischen Eigenschaften und damit ihren Nutzen grundlegend verändert. Würde der Warenkorb nicht angepasst, würde die Realität verzerrt.
Warum sind die Preise in Deutschland im letzten Jahr deutlich gestiegen? Darüber ist man sich ja einig.
Die einen sehen die Schuld in der Geldschwemme der EZB, die anderen in den Angebotsschocks der letzten drei Jahre – etwa weil die Pandemie Lieferketten störte und sich so das Angebot vieler Güter verknappt hat – und natürlich das Ausbleiben von russischem Gas und Öl nach dem Überfall auf die Ukraine. Man kann beide Ursachen auch komplementär denken: Die lockere Geldpolitik wäre in diesem Bild ein Pulverfass und die Angebotsverknappungen der Zündfunken.
Heißt das, dass das Angebot ausgeweitet werden sollte?
Drehen wir das Ganze mal um: Das gängige Rezept aus der Weltwirtschaftskrise fordert zusätzliche Nachfrage, damit die Krise vorbei ist. Aber Pandemie und Krieg haben das weltweite Angebot von Gütern doppelt verknappt. Wenn man nun die Nachfrage erhöht, verschlimmert sich das Problem noch, weil sich der Preisdruck erhöht. Umgekehrt heißt die Antwort der Angebotspolitik: Wir brauchen mehr Produktion – idealerweise gepaart mit Investitionen in effizientere Technologien sowie großen Anstrengungen bei der Aus- und Weiterbildung. Denn der Mangel an Fachkräften ist bereits ein sehr enger Flaschenhals.
Haben der Anstieg der Preise und der deutliche Anstieg der Kreditzinsen etwas miteinander zu tun?
Preise und Zinsen hängen über verschiedene Kanäle miteinander zusammen. Die am häufigsten diskutierte Verbindung ist der Leitzins der Zen-tralbanken. Schaut man auf die letzten anderthalb Jahre zurück, war die Reaktion der Zentralbanken ziemlich mutig, auch in der Eurozone.
Was meinen Sie damit?
Aus Sicht der Zentralbanken ist es einfach, Inflation zu beenden: Erhöhen sie die Zinsen stark genug, wird weniger investiert und konsumiert – die Nachfrage geht zurück. Bei gleichbleibendem Angebot verringert sich also die Inflation. Das kann aber in eine Rezession führen. In unserem Fall heißt das: Die Zentralbanken haben für viele unerwartet kräftig gegengesteuert und ihre Leitzinsen deutlich erhöht. Damit hätte ich in diesem Umfang nicht gerechnet. Ob das reicht, um die Inflation zu zähmen, wird sich zeigen. Denn wir zahlen trotzdem bei vielen Krediten negative Realzinsen, weil die Inflationsrate immer noch die Zinssätze vieler Banken übersteigt. Die Banken erhalten dann weniger Kaufkraft zurück, als sie ausgeliehen hatten.
Stefan Kolev ist Professor für Wirtschaftspolitik in Zwickau. Seit März 2023 ist Kolev der wissenschaftliche Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin.
Stefan Kolev ist Professor für Wirtschaftspolitik in Zwickau. Seit März 2023 ist Kolev der wissenschaftliche Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin.
Können diese neuen Kreditbedingungen der Wirtschaft schaden?
Die Gegenfrage lautet: Haben die sehr niedrigen Zinsen der Wirtschaft nicht noch mehr geschadet? Aus einer Perspektive der Nachhaltigkeit ist das schwer zu beantworten. Nach einer langen Niedrigzinsphase wirkt es zunächst, als sei überall Wachstum und Wohlstand entstanden – das stimmt auch zum Teil. In einer solchen Zinsphase überleben aber auch ineffiziente Firmen und Organisationen. Das bindet Kapazitäten, die woanders sinnvoller hätten eingesetzt werden können. Und es macht die Abkehr von den Niedrigzinsen schwer. Manche Geschäftsmodelle und Investitionen sind plötzlich unrentabel und kollabieren.
Ist die Rückbesinnung auf eine restriktivere Geldpolitik sinnvoll?
Lenin wird der Spruch nachgesagt, dass die bürgerliche Gesellschaft zerstört werden kann, indem man ihr Geldwesen verwüstet. Ich selbst bin im Bulgarien der Neunzigerjahre in einem Umfeld von Inflation und Hyperinflation aufgewachsen. An die Unsicherheit und die Sorgen meiner Eltern kann ich mich gut erinnern. Deshalb weiß ich: Inflation hat nicht nur wirtschaftliche Kosten. Ich unterstütze die aktuell restriktivere Geldpolitik. Sie darf allerdings nicht durch eine expansive Fiskalpolitik konterkariert werden. Die Schuldenbremse hilft, dass der Staat die Inflation nicht weiter anheizt. Expansive Fiskalpolitik würde den Anstrengungen der Zentralbanken zuwiderlaufen.
Maximilian Reinhardt ist Referent für Wirtschaft und Nachhaltigkeit beim Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Maximilian Reinhardt ist Referent für Wirtschaft und Nachhaltigkeit beim Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
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