Klimawandel und Ökonomie

„Wir stehen an einem Kipppunkt des ökonomischen Denkens“

Der Klimawandel dominiert zunehmend den öffentlichen Diskurs in der Ökonomie. Bei der Suche nach Alternativen zur freien Marktwirtschaft laufe das liberale Narrativ Gefahr, an den Rand gedrängt zu werden, sagt die österreichische Ökonomin Heike Lehner.

Interview: Christoph Giesa

Klimawandel und Ökonomie

„Wir stehen an einem Kipppunkt des ökonomischen Denkens“

Der Klimawandel dominiert zunehmend den öffentlichen Diskurs in der Ökonomie. Bei der Suche nach Alternativen zur freien Marktwirtschaft laufe das liberale Narrativ Gefahr, an den Rand gedrängt zu werden, sagt die österreichische Ökonomin Heike Lehner.

Interview: Christoph Giesa

Liebe Frau Lehner, als Fridays for Future 2018 gegründet wurde, waren Sie 23 Jahre alt. Wie oft waren Sie bei Demonstrationen der Klimaaktivisten?

Heike Lehner: Ich war kein einziges Mal dabei. Und das, obwohl ich damals gerade meine Bachelorarbeit zum Thema Umweltökonomie geschrieben habe. Das Thema Klimawandel finde ich durchaus relevant. Aber es gibt bei Fridays for Future einen linken Flügel, der ein anderes Wirtschaftssystem fordert. Da gehe ich nicht mit. Auch sonst haben mich die Lösungsansätze der Klimabewegung damals nicht überzeugt, und sie tun es auch heute noch nicht.

Was hätte Sie denn überzeugen können, auf die Straße zu gehen?

Die Herausforderungen unserer Zeit beschränken sich nicht auf den Klimawandel. Die Staatsschuldenkrise, heute die Inflation, das sind Themen, die bei ökonomischen Forderungen mitbedacht werden müssen.

Wenn Sie finden, dass ökologische und ökonomische Themen gemeinsam betrachtet und angegangen werden sollen, dann müsste Ihnen eigentlich gut gefallen, wie die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Mandat heute interpretiert, oder?

Ganz im Gegenteil, ich empfinde den Versuch der EZB, neben dem Kampf gegen die Inflation auch zunehmend den Kampf gegen den Klimawandel zum Ziel der Geldpolitik zu machen, gefährlich. Natürlich kann man argumentieren, dass der Klimawandel Auswirkungen auf die Inflationsrate hat, wenn etwa durch Starkwetterereignisse Ernten öfter ausfallen und sich die Preise erhöhen. Aber das gilt für andere Megatrends durchaus auch, etwa für die Digitalisierung oder die Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz. Soll die EZB sich diesen Themen nun auch widmen? Ich meine nicht. Die EZB ist die Hüterin der Geldwertstabilität, und das soll sie auch bleiben. Die anderen Themen sind Aufgaben für die Politik.

Und wenn die Politik sich dieser Aufgaben nicht annimmt?

Dann kann die Antwort trotzdem nicht sein, dass die EZB Aufgaben einfach an sich zieht. Entscheidungen auf diesem Feld haben eine enorme Tragweite. Banken sind potenziell betroffen, Unternehmen sind potenziell betroffen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind potenziell betroffen. Welche Richtung da eingeschlagen werden soll, darüber müssen in liberalen Demokratien letzten Endes die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Das geht nicht ohne öffentliche Debatte.

Womit wir wieder bei den Demon­strationen von Fridays for Future wären.

Die Tatsache, dass die EZB zunehmend Aufgaben an sich zieht, für die eigentlich die Politik zuständig wäre, bestätigt durchaus das, was Fridays for Future sagt: Es passiert zu wenig und zu langsam. Deswegen halte ich es auch für grundsätzlich richtig, den Finger in die Wunde zu legen, etwa durch Demon­strationen. Aber ich sehe andere Lösungsansätze eben als deutlich geeigneter an, weil sie einen stärkeren Effekt im Bereich der Kosteneffizienz haben.

Sie meinen die verschiedenen Konzepte der CO2-Bepreisung.

Genau. Namentlich eine CO2-Steuer oder eine Ausweitung des Emissionshandels. Wenn die EZB versucht, über den Kauf von Unternehmensanleihen Einfluss auf den Ausstoß von CO2 zu nehmen, dann frage ich mich immer, warum man sich an so einem Experiment versucht, dessen Wirkung schwierig abzuschätzen ist. Die etablierten Instrumente sind da viel effektiver. Gerade die EU tut in dem Bereich durchaus einiges. Ein Grund mehr, dass die EZB auf der europäischen Ebene nicht noch als zusätzlicher Player auftreten, sondern die Verantwortung vielmehr an die Politik zurückgeben sollte.

Heike Lehner ist freiberufliche Ökonomin mit den Schwerpunkten Umweltökonomie und Geldpolitik. Sie ist mit ihren Analysen häufiger Gast in österreichischen Leitmedien.

Wenn man Ihnen zuhört, fühlt man sich ein wenig an die Finanzkrise erinnert. Die Politik wurde der Pro­bleme nicht Herr, die EZB sprang mit Mario Draghis legendärem „What­ever it takes“ ein.

Fraglos ist damals die Grenze zwischen den Aufgabenbereichen von Politik und EZB verschwommen. Und es scheint, als ob wir uns daran ein wenig gewöhnt haben. Ein Unterschied ist aber sicherlich, dass die Akzeptanz für das Handeln der EZB im Bereich Klimaschutz höher ist als damals während der Staatsschuldenkrise. Das betrifft eben alle, während damals nur einige Länder direkt betroffen waren. Aus ökonomischer Sicht ist allerdings beides langfristig problematisch.

Was Sie hier ausführen, war in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich weitgehender Konsens unter Ökonominnen und Ökonomen. Selbst in den Schulbüchern waren die Unabhängigkeit der EZB und ihr Fokus auf die Geldwertstabilität gesetzt. Ist das unter jungen Ökonominnen und Ökonomen auch noch die Mehrheitsmeinung?

Das sehe ich leider überhaupt nicht mehr. Ich würde sogar sagen, wir stehen vor einem Kipppunkt des ökonomischen Denkens, wenn man es mit einem Fachbegriff aus der Forschung zum Klimawandel formulieren will. In den Masterstudiengängen und Doktorandenkollegs entwickeln sich zunehmend Echokammern, in denen man sich gegenseitig die eigene Sichtweise bestätigt. Und die geht eben in die Richtung, dass es richtig ist, dem Kampf gegen den Klimawandel alles unterzuordnen, nicht nur die Geldpolitik. Die wissenschaftlichen Arbeiten aus der Vergangenheit, in denen etwa über die Unabhängigkeit der EZB nachgedacht wurde, existieren natürlich weiterhin. Aber das wird eben weggewischt, wenn es nicht zu den eigenen Überzeugungen passt. Aus meiner Generation hat ja zumindest in den westlichen Industriestaaten niemand erlebt, was es bedeutet, wenn eine Zentralbank gerade nicht unabhängig ist. Und Marktversagen wird als viel gefährlicher wahrgenommen als Staatsversagen. Auch das, weil man es nicht im großen Stil erlebt hat.

Aus einer liberalen Perspektive betrachtet, sind das keine schönen Aussichten. Sehen Sie noch Möglichkeiten, diese Entwicklung aufzuhalten?

Ich glaube, die liberalen Stimmen unter den Ökonominnen und Ökonomen müssen sich zunächst einmal bewusst machen, dass sie es sind, die etwas zu verlieren haben. Die Frage nach Systemalternativen wurde über Jahrzehnte nicht mehr ernsthaft gestellt, aber jetzt kommen aus der Degrowth-Ecke genau solche Gedankenspiele. Und diejenigen, die diese Positionen vertreten, sind laut und haben die Emotionen auf ihrer Seite. Sie wollen zwar häufig gar nicht wirklich mit den Liberalen diskutieren, sondern bleiben lieber unter sich. Aber dann müssen die Gesprächsangebote eben vonseiten der Liberalen kommen. Das ist zwar nicht bequem, aber es ist notwendig. Und es hilft dabei, die eigenen Argumente wieder zu schärfen.

Christoph Giesa ist Ökonom, Kolumnist und Publizist und war Vorsitzender der Jungen Liberalen in Rheinland-Pfalz. 2020 erschien bei Droemer sein Buch „Echte Helden, falsche Helden. Was Demokraten gegen Populisten stark macht“.

Christoph Giesa ist Ökonom, Kolumnist und Publizist und war Vorsitzender der Jungen Liberalen in Rheinland-Pfalz. 2020 erschien bei Droemer sein Buch „Echte Helden, falsche Helden. Was Demokraten gegen Populisten stark macht“.

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