Attraktive Konkurrenz

Wettkampf der Systeme

Die Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik China prägt die Welt. Die Europäische Union lässt sich an den Rand des Geschehens drängen. Die Länder des globalen Südens wie Indien und Brasilien müssen sich positionieren.

Text: Alexander Görlach

Attraktive Konkurrenz

Wettkampf der Systeme

Die Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik China prägt die Welt. Die Europäische Union lässt sich an den Rand des Geschehens drängen. Die Länder des globalen Südens wie Indien und Brasilien müssen sich positionieren.

Text: Alexander Görlach


Der Systemwettkampf zwischen den USA und der Volksrepublik China drängt Europa zunehmend an den Rand. Während das Ringen zwischen der einzigen Supermacht und ihrem totalitären Her­ausforderer die Welt bewegt, militärische Allianzen befördert und den Welthandel verändert, gelingt es der Alten Welt nicht, ein Narrativ ins Werk zu setzen, das die Europäische Union nach innen zusammenhält und nach außen attraktiv macht. Europa formuliert weder eine Vision noch ein politisches Postulat. Die USA hingegen sehen sich als „das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, und die Pekinger Diktatur offeriert der Welt einen „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“.

Die größte Stärke sowohl beim US-amerikanischen als auch beim chinesischen Narrativ liegt in der Dringlichkeit, mit der beide ihre Relevanz unterstreichen. Man kann es sich als Bewohner eines noch so entlegenen Flecks der Erde nicht mehr erlauben, keine Meinung zu China oder zu den USA zu haben, sehr wohl aber zur Europäischen Union. Beleg dafür ist zum einen die weltweite Berichterstattung rund um die Präsidentschaftswahlen im November, bei denen Joe Biden und Donald Trump um den Einzug ins Weiße Haus ringen. Zum anderen wird nicht nur die jährliche Zusammenkunft des Nationalen Volkskongresses im März, seit Xi Jinping Schritt für Schritt die totale Kontrolle über die Volksrepublik übernommen hat, in Medien weltweit gefeatured. Jede Bewegung der chinesischen Seestreitkräfte, sei es im zu den Philippinen gehörenden Südchinesischen Meer, sei es in der unmittelbaren Umgebung des demokratischen Inselstaates Taiwan, schafft es in die Breaking News von „New York Times“ und BBC. Die internationale Berichterstattung zur im Juni stattfindenden Europawahl wird im Vergleich dazu unter „ferner liefen“ abgehandelt.

Zahlen zeigen, dass die Anziehungskraft der USA die der totalitären Volksrepublik China weit übertrifft.
Alexander Görlach

Die Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik verlangt von den Ländern des globalen Südens eine Positionierung. Die Pekinger Diktatur punktet hier mit ihrer Erzählung von der postkolonialen Macht: Wie die Länder der südlichen Hemisphäre sei auch China von den europäischen imperialistischen Ländern besetzt und unterjocht gewesen. Das ist zwar so nicht richtig, aber Narrative beziehen ihren Erfolg und ihre Identifikationskraft nicht aus historischen Fakten, sondern aus griffigen Verkürzungen, der Kraft der Erzählung und nicht zuletzt der Macht des Vergessens. Angesichts der Kriege, die die USA geführt haben, der Besatzung des Irak, klingt die US-amerikanische Erzählung von einer regelbasierten internationalen Ordnung der Freiheit in den Ohren vieler im globalen Süden hohl und bigott. Laut Umfragen in diesen Ländern fühlt sich, anders als in den Nationen des Nordens, rund die Hälfte der Bevölkerung zu China und seiner Erzählung hingezogen.

Sprecher für den globalen Süden

Auch die politischen Führer Indiens und Brasiliens, Narendra Modi und Lula, versuchen in dieser Gemengelage eine postkoloniale, demokratische Sprecherrolle für den globalen Süden einzunehmen. Sie sehen hier ihre Chance, da die neutrale Positionierung gegenüber den USA im globalen Süden nicht automatisch eine Parteinahme für Chinas Kurs und politische und militärische Kooperation bedeutet, die den globalen Vorrang der Vereinigten Staaten infrage stellen würde. Im Gegenteil haben alle Partner der USA in Asien ihre militärische Zusammenarbeit mit Washington aufgrund von Chinas zunehmender Aggressivität und Aufrüstung intensiviert.

Mag die Erzählung einer Volksrepublik, die sich gegen US-Imperialismus stemmt, in manchen Teilen der Welt erfolgreich sein, so zeigt ein Blick auf wirtschaftliche Rahmendaten, dass das US-amerikanische Narrativ attraktiver ist als das totalitäre chinesische. So wurde in den USA 2023 mehr in künstliche Intelligenz investiert als in der Volksrepublik. Auch ist der Zustrom von klugen Köpfen in die USA ungebrochen, wohingegen die Zahl der Ausländer, die in China arbeiten, überschaubar bleibt. Dieser Umstand wird umso interessanter, als dass das politische Klima in den USA sich zum einen gegen Einwanderung wendet und zum anderen Washington genauso wie Peking nach innen schaut und die Biden-Administration nicht mehr als Speerspitze des Freihandels fungiert.

Das Wirtschaftswachstum in den USA ist solide, Kapital fließt, es herrscht Vollbeschäftigung. In Xis China sieht es ganz anders aus: Die Wirtschaft lahmt, die Jugendarbeitslosigkeit ist auf einem Rekordhoch, und Kapital wird aus dem Land abgezogen. Europa kommt auch hier, im Ringen um wirtschaftliche Dominanz und Vorherrschaft in den entscheidenden Zukunftstechnologien, nicht vor. Das politische Europa bietet weder seinen Einwohnerinnen und Einwohnern noch den Beobachtern von außen einen griffigen Ansatz der Selbst- und Zielbestimmung: Was ist Europa? Wo will es hin? Es sieht nach wie vor so aus, als ob wegweisende Ideen und Konzepte in Paris ersonnen und in Berlin verworfen werden. Der in Deutschland zur kühnen Weisheit hochgejazzte Satz, wonach der, der Visionen habe, zum Arzt gehen solle, verstellt den Weg in die weiten Möglichkeiten des Denkens, was der deutschen Volkswirtschaft als viel zitiertem Motor der europäischen Wirtschaft nach sechzehn Jahren Merkel-Stillstand nun auf die Füße gefallen ist.

In allen europäischen Ländern herrscht bestenfalls Skepsis, schlimmstenfalls rassistische Ablehnung gegenüber Einwanderung. Ob in den Niederlanden, in Italien, Ungarn oder Deutschland: Die Rechte dominiert den Diskurs und macht den Standort Europa damit gewiss nicht zu einem begehrten Einwanderungsziel. Zur gleichen Zeit leben derzeit rund 2,4 Millionen Einwanderer aus China in den Vereinigten Staaten. Die USA sind das beliebteste Ziel derer, die der Volksrepublik den Rücken kehren. Von den Einwanderern aus China haben etliche höhere Bildungsabschlüsse, die sie für gute Jobs qualifizieren. Derzeit gibt es rund 300 000 Studierende aus China in den USA. Umgekehrt leben Schätzungen zufolge maximal 110 000 Amerikaner in der Volksrepublik, und nur rund 200 Studierende aus den USA haben sich an chinesische Universitäten verirrt. Allein diese Zahlen zeigen, dass die Anziehungskraft der USA die der totalitären Volksrepublik übertrifft.

Sogar im Schwarzmalen sind die beiden Kontrahenten besser als Europa: Xi Jinping spricht von einer finsteren, schweren Zeit, die vor seinem Land liege. Dunkle Kräfte hinderten die Volksrepublik am Fortschritt. Damit will der Machthaber vom eigenen Versagen ablenken und gleichzeitig seine Untertanen auf einen möglichen Krieg gegen die Philippinen oder Taiwan vorbereiten. In den USA hat Joe Biden den düsteren Ausblick, den Donald Trump auf das Land hat, übernommen und lamentiert genauso wie der New Yorker Immobilienentwickler über das Geschick der Vereinigten Staaten, obwohl alle Rahmendaten keinen Grund zur Verzagtheit geben. In Europa bleibt man auch beim Jammern Juniorpartner Washingtons. Noch nicht einmal ein Aus des militärischen Schutzschilds der NATO, mit dem Donald Trump droht, sollte er ins Weiße Haus zurückkehren, hat die Alte Welt zum Herumreißen des Ruders inspiriert. Europa weiß nicht, wohin mit sich.

Alexander Görlach unterrichtet Demokratie-Theorie an der New York University. Er ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs.

Alexander Görlach unterrichtet Demokratie-Theorie an der New York University. Er ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs.

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