Wirtschaftswende:
Eine starke Demokratie braucht eine starke Ökonomie. Sonst geht sie zugrunde.
Text: Karl-Heinz Paqué
Die Ampelkoalition ist beendet. Am 23. Februar 2025 wählt Deutschland seinen Bundestag vorzeitig neu. Zentrales Thema des anstehenden Wahlkampfs wird die Wirtschafts- und Finanzpolitik sein. Der Zustand der Wirtschaft erregt Besorgnis: Andere Industrienationen haben sich seit 2020 zügig von Corona erholt, Deutschland dagegen stagniert bzw. schrumpft.
Es geht dabei nicht um ein Luxusproblem. Zugegeben, Deutschland ist im internationalen Vergleich noch immer ein wohlhabendes Land, aber es genügen nur zwei Jahrzehnte einer schwachen Wirtschaftsdynamik, um dramatisch an Boden zu verlieren – im Vergleich zu den Wettbewerbern auf den Weltmärkten. So sorgt ein Abstand zur Konkurrenz von gerade mal zwei Prozentpunkten in der jährlichen Wachstumsrate nach 20 Jahren im Ausland für ein Niveau der Wertschöpfung und Pro-Kopf-Einkommen, das um die Hälfte höher liegt als im Inland. Schnell kann dann ein Teufelskreis entstehen: Junge qualifizierte Arbeitskräfte wandern ab, innovative Unternehmen suchen sich neue boomende Standorte außerhalb des Landes, neues technisches Wissen entsteht anderswo.
Drohende Verteilungskonflikte
Noch ist dies ein düsteres Zukunftsszenario, aber es kann Wirklichkeit werden, wenn nicht gegengesteuert wird. Auch die Demokratie kann durch wirtschaftliche Stagnation und Schrumpfung in Gefahr geraten: Lässt sich der eigene Wohlstand nur mehr dadurch erhöhen, dass man anderen etwas wegnimmt, verschärfen sich die Verteilungskonflikte in einem zunehmend giftigen politischen Klima. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist in dieser Hinsicht wie ein Wetterleuchten: Ob berechtigt oder nicht, viele Menschen fühlen sich „abgehängt“, also nicht mehr als Teil eines optimistischen Zeitgeists, der ihnen positive Lebenschancen und -perspektiven bietet.
So muss es auch diesmal sein. Dafür braucht es aber ein wirtschafts- und finanzpolitisches Programm, das eine Perspektive schafft. Im Jahr 1982 war dies das legendäre „Lambsdorff-Papier“ der FDP, das mit einer gewissen konsequenten Radikalität die Rückkehr zu einem Ordnungsrahmen verlangte, in dem sich private Investitionen und Innovationen lohnten – bei gleichzeitiger Sanierung des Haushalts. Es war gewissermaßen der „Weckruf“ zurück zur sozialen Marktwirtschaft, die mehr als 30 Jahre zuvor den Grundstein für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands und die Stabilisierung seiner jungen Demokratie gewährleistet hatte.
Heute – mehr als vier Jahrzehnte später – ist die Situation ähnlich, vielleicht sogar noch deutlich dramatischer, weil sich die Wachstumsflaute der deutschen Wirtschaft im Vergleich zu anderen Industrienationen noch viel stärker abzeichnet. Diesmal hat der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner als Bundesfinanzminister mit seinem Papier „Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit“ eine Diagnose der Lage vorgelegt, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt. Auffallend ist dabei, dass die Resonanz in Kreisen der Wirtschaft und Wissenschaft überaus positiv war, vielleicht noch uneingeschränkter positiv, als dies seinerzeit bei Lambsdorff der Fall war. Auch dies liegt wohl am internationalen Vergleich, der heutzutage noch viel verheerender für Deutschland ausfällt als Anfang der 1980er-Jahre.
Entweder Deutschland findet zurück zu Wirtschaftswachstum, oder es landet in der ökonomischen Mittelmäßigkeit.
Stabilität mitten in Europa
„It’s the economy, stupid!“ Dieser Satz, geprägt 1992 im Präsidentschaftswahlkampf des Teams von Bill Clinton, ist längst zu einem geflügelten Wort in Kampagnen geworden. Er trifft zur Bundestagswahl in Deutschland 2025 mehr denn je zu, und zwar in einem viel ernsteren und tieferen Sinn, als er damals von den demokratischen Protagonisten in den Vereinigten Staaten gemeint war. Heute stehen wir wirklich an einer Weggabelung der Geschichte: Entweder Deutschland findet durch kluge Politik mit seiner Wirtschaft zurück auf einen dynamischen Kurs des Wachstums, oder es landet in der ökonomischen Mittelmäßigkeit, die auf Dauer sogar zu einer Gefahr für die Stabilität der Demokratie werden könnte. Dabei geht es nicht nur um Deutschland, sondern auch um Europa.
Gewählt wird immerhin in der bevölkerungsreichsten Nation der Europäischen Union, gelegen in der Mitte Europas mit Landgrenzen zu neun (!) Nachbarnationen, tief integriert in die europäische Wirtschaft, den Welthandel und die internationalen Kapitalmärkte, das Ankerland der Währungsstabilität in der Eurozone und die geopolitisch gewichtigste Nation des Kontinents mit Blick auf die Sicherheitslage in Mittel- und Osteuropa nach der „Zeitenwende“ durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Nur mit einer Wirtschaft, die wieder dynamisch wächst, wird Deutschland all die anstehenden Aufgaben bewältigen können – bis hin zu der überragenden sicherheits- und geopolitischen Herausforderung, die mit einem Rückzug des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump aus der Hilfe für die Ukraine verbunden sein könnte. Es geht um sehr viel: „It’s the economy, stupid!“.
Das Wirtschaftswende-Papier
Noch als Bundesminister der Finanzen schrieb Christian Lindner für den internen Gebrauch der Bundesregierung das Papier „WIRTSCHAFTSWENDE DEUTSCHLAND – KONZEPT FÜR WACHSTUM UND GENERATIONENGERECHTIGKEIT“.
Das 18-seitige Papier geriet durch Indiskretion an die Öffentlichkeit. Es ist unter anderem HIER verfügbar.
Das Papier besteht aus drei Teilen und einer Anlage:
I. Deutschland schwächt sich selbst: Strukturelle Wachstumsschwäche in Deutschland
II. Sofortprogramm in drei Handlungsfeldern: Wirtschaftspolitische Neuausrichtung zur Stärkung des Potenzialwachstums
Handlungsfeld 1: Neue Dynamik entfalten
Handlungsfeld 2: Europäische Klimapolitik
statt deutschem Sonderweg
Handlungsfeld 3: Mobilisierung des Arbeitsmarkt
In der Anlage des Papiers wird die Gesamtheit der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Wachstumspolitik in ihrer Wirkung auf den Bundeshaushalt veranschlagt. Die Refinanzierung der Maßnahmen ist dabei gesichert
Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Sein Gedächtnis ist lang genug, um sich an das Lambsdorff-Papier von 1982 zu erinnern. Umso wichtiger nimmt er das Lindner-Papier von 2024.
Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Sein Gedächtnis ist lang genug, um sich an das Lambsdorff-Papier von 1982 zu erinnern. Umso wichtiger nimmt er das Lindner-Papier von 2024.
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