FUNDSTÜCK
Zur Frage der Toleranz und ihren Grenzen hat der Philosoph Karl Popper zum Ende des Zweiten Weltkriegs alles gesagt.
Text: Thomas Volkmann
FUNDSTÜCK
Zur Frage der Toleranz und ihren Grenzen hat der Philosoph Karl Popper zum Ende des Zweiten Weltkriegs alles gesagt.
Text: Thomas Volkmann
Die Atmosphäre in Deutschland wird zunehmend ruppig. Da wird gern fundamental gedacht, und gern auch mal fundamentalistisch. Die Ziele, die Beweggründe und auch die Maßnahmen sind sicherlich nicht vergleichbar: Die einen nehmen sich das Recht heraus, so ziemlich alles „doch mal sagen zu dürfen“. Die anderen hängen so an ihrer Meinung, dass sie sich am Boden festkleben. Die einen diskriminieren Menschen, wollen Menschen vertreiben, die anders sind als sie selbst, schreien Andersdenkende zusammen oder erkennen Wahlergebnisse nicht an; die anderen werfen Lebensmittel auf Kunstwerke oder blockieren Straßenkreuzungen, nehmen Menschen die Fortbewegungsfreiheit oder gefährden sie sogar. Aber die Ansätze sind vergleichbar: Beide sehen sich im Besitz der wirklichen und einzigen Wahrheit, die sie zu ihren Handlungen ermächtigt. Und immer fordern sie alle Toleranz für ihr Verhalten, das ja schließlich einem höheren Ziel diene – aber gleichzeitig sind sie intolerant gegen andere Meinungen.
Karl Popper hat, zum Ende des Zweiten Weltkriegs, das Notwendige dazu gesagt. Alles Leben ist Problemlösen. Probleme löst man nur durch Argumente, durch Streit über und Offenheit für die Argumente auch der Gegenseite. Unterschiedliche Meinungen sind essenziell für eine offene, demokratische Gesellschaft, und Toleranz für die Meinung des anderen – der ja in der einen oder anderen Frage vielleicht auch recht haben könnte – ist unbedingt notwendig. Die Gesellschaft muss offen, muss pluralistisch sein, wenn sie demokratisch und gerecht sein soll. Es muss möglich sein – und garantiert werden –, dass unvereinbare Ansichten geäußert und gegensätzliche Ziele verfolgt werden.
Was aber, wenn sich eine Seite aller ihr entgegengesetzten Argumentation widersetzt, diese nicht akzeptiert – also „intolerant ist“? Popper nannte dies das „Paradoxon der Toleranz“. Die liberale, offene Gesellschaft muss mit Streit leben – aber gleichzeitig muss sie nicht alles hinnehmen.
Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die unbeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen. Damit möchte ich nicht sagen, dass wir zum Beispiel intolerante Philosophien auf jeden Fall gewaltsam unterdrücken sollten; solange wir ihnen durch rationale Argumente beikommen können und solange wir sie durch die öffentliche Meinung in Schranken halten können, wäre ihre Unterdrückung sicher höchst unvernünftig. Aber wir sollten für uns das Recht in Anspruch nehmen, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu unterdrücken; denn es kann sich leicht herausstellen, dass ihre Vertreter nicht bereit sind, mit uns auf der Ebene rationaler Diskussion zusammenzutreffen, und beginnen, das Argumentieren als solches zu verwerfen; sie könnten ihren Anhängern verbieten, auf rationale Argumente – die sie ein Täuschungsmanöver nennen – zu hören, und sie werden ihnen vielleicht den Rat geben, Argumente mit Fäusten und Pistolen zu beantworten. Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.
„Die Unduldsamen nicht dulden“
Karl Popper: „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, Mohr Siebeck, Tübingen (7. Aufl. 1992), Band 1, S. 333
Thomas Volkmann ist Stellvertretender Leiter des Liberalen Instituts. Er wurde in Bochum geboren und geprägt und hat ein Magisterstudium der Fächer Sozialwissenschaften / Schwerpunkt Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der FernUniversität Hagen abgeschlossen.
Thomas Volkmann ist Stellvertretender Leiter des Liberalen Instituts. Er wurde in Bochum geboren und geprägt und hat ein Magisterstudium der Fächer Sozialwissenschaften / Schwerpunkt Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der FernUniversität Hagen abgeschlossen.
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