DER NEUE WESTEN
Der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die weltpolitische Lage tiefgreifend verändert. Das auf dem Wertekanon aus offenen Gesellschaften, demokratischen Rechtsstaaten, Menschenrechten und Marktwirtschaft beruhende westliche Modell hat seit dem Fall der Mauer 1989 immer wieder Krisen durchlebt. Jetzt wird dieses „westliche Demokratiemodell“ offen herausgefordert. Aber: Wenn sich die westlichen Staaten auf ihre liberale Ordnung besinnen und Kooperationen ausbauen, dann könnten sie aktiv eine neue, friedlichere Weltordnung mit gestalten.
Text: Thomas Ilka und Sascha Tamm
DER NEUE WESTEN
Der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die weltpolitische Lage tiefgreifend verändert. Das auf dem Wertekanon aus offenen Gesellschaften, demokratischen Rechtsstaaten, Menschenrechten und Marktwirtschaft beruhende westliche Modell hat seit dem Fall der Mauer 1989 immer wieder Krisen durchlebt. Jetzt wird dieses „westliche Demokratiemodell“ offen herausgefordert. Aber: Wenn sich die westlichen Staaten auf ihre liberale Ordnung besinnen und Kooperationen ausbauen, dann könnten sie aktiv eine neue, friedlichere Weltordnung mit gestalten.
Text: Thomas Ilka und Sascha Tamm
Die Staaten, die sich dem westlichen Modell zugehörig fühlen, tragen eine gemeinsame Verantwortung für eine neue Weltordnung. Dafür ist eine intensive Kooperation Europas nicht nur mit den transatlantischen Partnern, sondern auch mit den Demokratien im indopazifischen Raum notwendig. Neben Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland kommt demokratischen Staaten wie Indien oder Indonesien eine wachsende Rolle zu, um gemeinsame Stärken zu betonen und politische Strategien umzusetzen. Nur so kann es gelingen, den Akteuren entgegenzutreten, die heute das westliche Modell bedrohen.
Bedrohung durch autoritäre Staaten
China hat sich zu einer wirtschaftlichen, technologischen und militärischen Weltmacht und einem autoritären System mit totalitären Zügen entwickelt. Immer stärker bestimmen geopolitische Ambitionen das Handeln der chinesischen Führung. Obwohl sehr stark in die Weltwirtschaft integriert, positioniert sich der kommunistische Einparteienstaat als Gegenmodell zum Westen. Dabei ist das Land kein Erfolgsmodell im Umgang mit Krisen, wie zum Beispiel der Umgang mit der Corona-Pandemie zeigt. Und staatliche Institutionen verletzten systematisch Menschenrechte, wie die Unterdrückung und Umerziehung der Uiguren belegt.
Russland unter Putin hat sich spätestens seit dem Einmarsch in Georgien 2008 vom Leitbild friedlicher Koexistenz in einer regelbasierten Weltordnung verabschiedet. Die Unterdrückung der Opposition und unabhängiger Medien gehen Hand in Hand mit propagandistischen Anstrengungen, um das westliche Modell zu diskreditieren. Die Missachtung des Völkerrechts ist eine der wesentlichen Konstanten der Politik Putins. Auch die offene und verdeckte Einflussnahme auf EU-Politik und einzelne Politiker gehört zum Repertoire Russlands.
Wie reagieren demokratische Staaten?
In vielen weiteren Ländern sind Menschenrechtsverletzungen und die brutale Unterdrückung von Minderheiten an der Tagesordnung. Kritik wird als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abgewehrt. Gleichzeitig gibt es auf Seiten der demokratischen Staaten oft unterschiedliche Positionen darüber, wie auf gravierende Menschenrechtsverletzungen reagiert werden soll. Der Forderung nach Sanktionen und klaren politischen Stellungnahmen stehen in vielen Fällen eigene wirtschaftliche und politische Interessen gegenüber. Auch in den demokratischen Rechtsstaaten selbst zeigen sich Entwicklungen, die die Strahlkraft des liberalen Modells gefährden. Die Polarisierung der politischen Landschaft nicht zuletzt in den sozialen Medien strapaziert die Fähigkeit vieler Gesellschaften, gemeinsame Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Das Vertrauen in rechtsstaatliche Institutionen sinkt.
In den letzten Jahren haben außerdem globale Organisationen und multilaterale Kooperation stark an Bedeutung verloren. Viele Länder setzten immer mehr auf bilaterale „Deals“ statt auf langfristig tragfähige multilaterale Lösungen. Doch globale Probleme müssen global – und lokal – gelöst werden. Dazu zählt vor allem der Klimawandel. Diese Herausforderung verlangt zwingend nach einer weltweiten Zusammenarbeit, auch mit Staaten, die demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien missachten.
Liberale Antworten sind notwendig
Diese beschriebenen Entwicklungen verlangen nach neuen politischen Antworten. Dabei kommt es darauf an, auf sieben Handlungsfeldern aktiv zu werden und die liberalen Grundwerte von individueller Freiheit, Menschenrechten, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft offensiv für eine stabile Weltordnung einzusetzen.
1. Sicherheit durch Allianzen
Gemeinsam gilt es die liberalen Demokratien gegen Bedrohungen zu schützen. Wie soll heute und morgen Wohlstand errichtet, bewahrt und in kommende Generationen übertragen werden? Wie wird Freiheit erhalten und Gerechtigkeit gegen jedermann in unseren Gesellschaften geübt? Deutschland wird seine bewährten Allianzen, zuvorderst die NATO und die EU, erweitern und verändern müssen. Der Neue Westen reicht auch in den indopazifischen Raum: Daher sind Südkorea, Japan, Taiwan, Australien und Neuseeland natürliche Partner. Das erfordert zudem eine neue Ostpolitik – im Umgang mit Russland und China – und eine echte Westpolitik, die verlorenes Vertrauen bei unseren Verbündeten zurückgewinnt. Daneben helfen thematische Allianzen, globale Herausforderungen in der Klimapolitik, der Gesundheitspolitik und bei anderen Aufgaben zu bewältigen. Das verlangt auch eine Kooperation mit Staaten, die nicht unserem Lebensmodell entsprechen.
2. Schutz von Recht und Freiheit
Die universellen Menschenrechte sind ein unverzichtbares Fundament der liberalen Demokratien und gleichzeitig ein klares Unterscheidungsmerkmal zu autoritären und totalitären Herrschaftsformen. Diese Kernpunkte des liberalen Selbstverständnisses sind Messlatte aller inhaltlichen Positionen. Das Eintreten für Menschenrechte muss glaubwürdig und robust sein. Gerade auf diesem Feld ist es besonders wichtig, weltweit Partnerschaften einzugehen und z.B. Kämpfer für Menschenrechte offen zu unterstützen. Liberale Politik spielt sich nicht nur zwischen Regierungen ab. Sie muss auch die einschlägigen Zivilgesellschaften bis hin zu einzelnen Persönlichkeiten zu Partnern machen.
3. Handlungsfähigkeit durch Resilienz
Russland hat durch den Angriff auf die Ukraine die weltweite Sicherheitsarchitektur schwer erschüttert. Jenseits der unmittelbaren Reaktionen durch NATO und EU werden weitere Umbauten und Anpassungen folgen müssen: Reduzierung der Rohstoffabhängigkeit von Russland, Neuausrichtung der militärischen Fähigkeiten und klare Signale für Demokratie und Menschenrechte. Letztlich geht es um eine neue politische und wirtschaftliche globale Ordnung, verbunden mit dem Anspruch, diese auch mitzugestalten. In der Corona-Krise wurden bereits Themen wie die Neuordnung von Lieferketten, Aufbau strategischer Reserven und der Abbau von Abhängigkeiten bei Schlüsseltechnologien diskutiert. Das Begriffspaar Resilienz und strategische Souveränität Europas sind hier das Leitmotiv der gegenwärtigen politischen Diskussion. Widerstandsfähig(er) kann nur werden, wer den Gefahren und Herausforderungen der Zukunft mit der Kraft eigener Bündnisse und ohne einseitige Abhängigkeit von Dritten begegnen kann. Deutschland muss dabei der Anker für transatlantische, westliche Bündnisorientierung sein. Ohne die USA, Japan, das Vereinigte Königreich und weitere westliche Partner wird die EU weder militärisch, noch politisch oder wirtschaftlich die neue Ordnung der Welt maßgeblich beeinflussen können.
4. Globalization of the Willing
Auch in Zukunft werden Unternehmen aus Europa, den USA und anderen Marktwirtschaften mit Unternehmen und Akteuren aus Wirtschaftssystemen interagieren, in denen es ein hohes Maß an staatlichen Steuerungsmechanismen für die Wirtschaft gibt. Decoupling, Reshoring und Friendshoring im politischen und im unternehmerischen Handeln sind Reaktionen auf die dabei entstehenden Risiken. Trotzdem bleiben die Globalisierung, die weltweite Arbeitsteilung und der globale Wettbewerb die größten Wohlstandstreiber. Deshalb setzen Liberale auf globale Institutionen und Vertragswerke. Die Wirtschaft des Westens muss innovativ und wachstumsorientiert bleiben. Die Neusortierung der globalen strategischen Lage mit ihren Rückwirkungen auf die Ökonomie begann schon lange vor dem Krieg in der Ukraine. Der Aufstieg Chinas, der Klimawandel, die Folgen von 9/11, die Schulden- wie auch die Flüchtlingskrise in Europa und schließlich die COVID-Pandemie haben Einflusssphären und Ressourcen neu verteilt: Europa ist mehr denn je strategisch herausgefordert.
Europas Wirtschaft und seine Wirtschaftspolitik müssen robuster werden. Im Binnenmarkt muss Europa Hindernisse beseitigen, zum Beispiel bei der Banken- und Kapitalmarktunion. Aber die Europäische Union und gerade Deutschland werden ihre ökonomischen Stärken nur in einem Kontext der Offenheit gegenüber Märkten und Partnern behaupten können. Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) oder mit Neuseeland sind wichtige Signale an zentrale transatlantische und pazifische Werte-Partner. Nun ist es Zeit für einen neuen Anlauf für ein strategisches Freihandelsabkommen mit den USA. Aber auch hier gilt: Sogar mit systemischen Gegnern wird der Westen auf bestimmten Feldern Einigungen erzielen müssen. Fraglich ist, inwieweit Foren wie die G7 oder die G20 den Rahmen für gegebenenfalls auch sehr konfrontative Diskussionen setzen können.
5. Kampf gegen Desinformation
Offene Gesellschaften sind das Fundament für Freiheit und Selbstverantwortung. Das bedeutet: die Vielfalt der Lebensentwürfe und Planungen, der individuellen Wertvorstellungen und Ansprüche sind das große Plus westlicher Gesellschaften. Wer meint, die Stärke von autoritären Systemen sei, Handlungen der Menschen, die in ihnen leben, effektiver steuern zu können – China zum Beispiel löse Probleme schneller und besser –, der irrt aus drei Gründen: Es gibt kein Recht darauf, individuelle Freiheitsrechte in einer Weise einzuschränken, die über allgemeine Rahmenbedingungen hinausgeht. Zudem ist es gerade die Vielfalt der Ideen, die es uns ermöglicht, Probleme zu lösen und die Zukunft zu gestalten. Und schließlich müssen auch Staaten wie China international eingegangene Verpflichtungen erfüllen. Gleichzeitig gibt es immer stärkere Versuche, die öffentliche Debatte und das Denken vieler Menschen durch gezielte Desinformation, besonders in den sozialen Medien, zu beeinflussen. Auch das ist ein Indikator der Zeitenwende. Diese Versuche werden von Staaten wie Russland und China aktiv gesteuert. Deshalb müssen die Fundamente der demokratischen Institutionen geschützt werden. Wie das geht, zeigt der Digital Services Act der EU, der oft als "Grundgesetz für das digitale Zeitalter" bezeichnet wird und die Verantwortung regelt, die Plattformen für Desinformation übernehmen müssen.
Dabei bleibt immer abzuwägen, welche Abwehr-Instrumente legitim sind und wo Überwachung beginnt, die nicht mit liberalen Werten vereinbar ist. Unabdingbarer Teil der Zivilgesellschaft sind daher Aufklärung über Desinformationsmechanismen und die Verbreitung transparenter Informationen. Aber auch die Regulierung volksverhetzende Desinformation und Propaganda gehört zum rechtsstaatlichen Vorgehen.
6. Militärische Sicherheit
Der Krieg in der Ukraine bietet die Chance, in größeren strategischen Zusammenhängen neu zu denken. Wir sollten nicht vergessen, dass Moskau nach wie vor großes Interesse daran hat, seinen hegemonialen Einfluss in Belarus, Moldawien, Georgien und in der Balkanregion zu verfestigen - notfalls mit militärischer Gewalt. Die Entschlossenheit und Politikfähigkeit muss das freie und demokratische Europa im Verbund mit seinen Partnern nicht nur mit Worten, sondern praktisch und mit langem Atem unter Beweis stellen. In Deutschland hat die Bundesregierung mit dem 100-Milliarden-Euro-Programm einen guten Anfang gesetzt. Nun müssen Taten folgen, die der Bundeswehr wirklich helfen. Wenn die NATO sich wieder stärker auf die Landes- und Bündnisverteidigung in Europa konzentriert, steht Deutschland in der Mitte Europas vor Investitionen in Infrastrukturen in Milliardenhöhe. Für eine nachhaltige Erhöhung der militärischen Fähigkeiten, sollten NATO und EU auch ihre Streitkräfteplanung und Beschaffung institutionell zusammenlegen. Eine Arbeitsteilung könnte sinnvoll sein: Die EU entwickelt einen Marshall-Plan für die Ukraine und die von den Flüchtlingen am stärksten betroffenen Nachbarstaaten. Die NATO wiederum verabschiedet eine langfristig angelegte Roll Back-Strategie gegenüber Russland.
7. Aktiv Zukunft gestalten
Eigenverantwortung, Schöpferkraft und Erkenntnisfähigkeit zeichnen freie Menschen aus. In der Vergangenheit haben Innovationen das Wissen und den Wohlstand der Menschen vermehrt. Globalisierung und Digitalisierung haben neue Perspektiven für immer mehr Menschen geschaffen – fast überall auf der Welt. Die Armut ist massiv und historisch einmalig zurückgegangen. Das Lebensniveau – ob bei Einkommen, Bildung oder Gesundheit – vieler Menschen ist deutlich gestiegen. Anders gesagt: Der freie Austausch von Ideen und Gütern, die Globalisierung ist das mit Abstand erfolgreichste Projekt in der Geschichte, um Armut und Hunger zu bekämpfen. Aus dem Grund ist eine liberale Politik der regelgebundenen Weltarbeitsteilung so wichtig. Eine Politik, die Konflikte mit rechtlichen Mitteln und im respektvollen politischen Dialog beilegt. Eine Politik, die Chancen schafft durch Fortschritt und Innovation, die allen Menschen offen stehen.
Thomas Ilka ist Bereichsleiter Wissenschaft und Politische Strategie der
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Sascha Tamm ist Referatsleiter Nordamerika und Lateinamerika der
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Thomas Ilka ist Bereichsleiter Wissenschaft und Politische Strategie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Sascha Tamm ist Referatsleiter Nordamerika und Lateinamerika der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
In ihrer Radikalisierung ähneln die jungen Klimaaktivisten von heute dem mythischen Sisyphos.
Horst Möller durchwandert die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre.
Private individuals and industry executives are not the only ones who can save electricity and gas. Towns all over Germany have long since begun to turn off energy guzzlers or even generate energy themselves. Here is a selection of good examples.